Interview mit Marcel Torney: Zukünftig "kleinere Brötchen" bei Rohstoffen
26.09.2006 | Dr. Volkmar Riemenschneider
Marcel Torney, Jahrgang 1974, ist seit 2004 Chefredakteur und Herausgeber des "berlinvestor : Rohstoffbörsenbrief". Er besitzt langjährige Erfahrungen beim Trading mit Aktien, Optionsscheinen und Hebelzertifikaten. Das von ihm geführte Musterdepot zählt zu den erfolgreichsten Depots im Rohstoffsegment. Weitere Informationen unter: www.berlinvestor.de
V.R.: Nun erleben wir nach der heftigen Korrektur im zweiten Quartal bereits wieder massive Kurseinbrüche an den Rohstoffmärkten. Ist dies Ihrer Meinung nach bereits ein Zeichen für eine mittelfristige Topbildung oder wird der Rohstoffzug im vierten Quartal wieder mit voller Fahrt weiterfahren?
M.T.: Die aktuelle Situation macht deutlich, dass die Marktteilnehmer sehr sensibel auf Anzeichen einer möglichen Abkühlung der Weltwirtschaft reagieren. Seit einigen Tagen gibt es ja eine größere Diskussion über dieses Thema. Die Entwicklung der Rohstoffpreise ist eng an die Entwicklung der Konjunktur in den wichtigsten Industriestaaten und Schwellenländern gekoppelt und vornehmlich von der Angebot-Nachfrage-Relation bestimmt.
Meiner Meinung nach werden wir in einigen Weltregionen sehr wahrscheinlich in den kommenden Jahren ein langsameres Wachstum sehen. So wies die US-Notenbank in ihrem jüngsten Bericht zur Wirtschaftsentwicklung ja auf die Möglichkeit dieses Szenarios für die USA hin. Auch das Wachstum in China dürfte in den nächsten Jahren moderater verlaufen.
Die chinesische Zentralbank wird nicht müde, erhöht die Zinsen und schränkt die Vergabe von Krediten ein, um eine Überhitzung der Konjunktur zu vermeiden. Das von vielen befürchtete Hard-Landing der Wirtschaft dürfte allerdings ausbleiben. Dagegen werden die Wirtschaften Europas und Japans in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach deutlicher wachsen. In Kombination mit dem dynamischen Wachstum in Schwellenländern wie etwa Indien sollte die Weltkonjunktur insgesamt aber stabil bleiben. Und eine stabile Weltkonjunktur sichert hohe Rohstoffpreise. So denke ich, dass wir derzeit "nur" eine Korrektur sehen. Die meisten Rohstoffmärkte hatten nach ihrer Verschnaufpause im Mai/Juni wieder zügig ambitionierte Kursniveaus erreicht.
Eine Korrektur war unter technischen Gesichtspunkten somit wieder einmal überfällig, und zudem ist diese unter langfristigen Aspekten überaus wünschenswert. Unabhängig vom fundamentalen Umfeld gilt es aber, die Charttechnik im Auge zu behalten. Solange die übergeordneten Aufwärtstrends an den einzelnen Märkten noch intakt sind, ist von einem Korrekturszenario auszugehen. Erst wenn diese übergeordneten Trends verlassen werden, ist das Ende der Hausse gekommen.
Nachdem viele Märkte mittlerweile wieder ihre vorherigen Zwischentiefs aus dem Frühjahr erreicht haben, notieren sie meiner Meinung nach auf interessanten Kaufniveaus. Allerdings sollten wir uns daran gewöhnen, dass zukünftig "kleinere Brötchen" an den Rohstoffmärkten gebacken werden. Für die kommenden Monate erwarte ich "nur" moderate Preissteigerungen.
V.R.: Wie schätzen Sie die aktuellen Kurseinbrüche bei Gold und Silber ein? Sind diese durch die massiven Notenbankverkäufe europäischer Zentralbanken angesichts des nahenden Stichtages des WAGs zu erklären oder spielen hier andere Faktoren eine bedeutende Rolle? Könnte es Ihrer Meinung nach zu einer baldigen Bodenbildung kommen oder steht möglicherweise schon eine mittelfristige Trendwende bevor?
M.T.: Die massiven Kursrückgänge bei Gold und Silber haben mehrere Ursachen. Goldverkäufe durch Notenbanken sind hierbei ein nicht unwesentlicher Faktor. Das "Washington Agreement on Gold" gibt es seit 1999, und damit verbunden stiegen die Goldpreise. Der Grund: Die Zentralbanken verpflichteten sich innerhalb eines Jahres, nur eine bestimmte Menge Gold zu verkaufen. Derzeit existiert es in seiner zweiten Fassung. Die Verkäufe der wichtigsten Zentralbanken sind auf 500 Tonnen pro Jahr bis 2009 limitiert. Stichtag ist hierbei der 26.09. eines jeden Jahres.
Nun könnte man meinen, die Zentralbanken würden kontinuierlich bei ihren Verkäufen vorgehen und diese über das ganze Jahr mehr oder weniger gleichmäßig verteilen, doch regelmäßig sind im Vorfeld des anstehenden Stichtags erhöhte Aktivitäten zu verzeichnen. Allerdings ist dies nicht der einzige Grund für die aktuelle Schwäche der Edelmetalle. Der sinkende Ölpreis und die damit zurückgehende Inflationsangst sowie der wiedererstarkte US-Dollar belasten ebenfalls.
Kurzfristig dürften Gold und Silber aus den genannten Gründen weiter unter Druck stehen. Der Boden ist allerdings nah. Mittelfristig (d.h. auf Sicht von 6-12 Monaten) sind wieder deutlich höhere Kurse zu erwarten. Vor allem beim Silber sollte sich die angespannte Angebotsseite bald in steigenden Notierungen widerspiegeln. Kurse um 550 USD bei Gold und 10,5 USD bei Silber sind unter mittelfristigen Aspekten Kaufkurse.
V.R.: Der Ölmarkt steht auch seit einiger Zeit unter keinem Guten Stern. Nach einem neuen All-zeithoch ist er auf Grund ausbleibender Hurrikans und der Abkühlung beim Nahost- und Irankonflikt wieder drastisch zurückgekommen. Könnte dies das vorzeitige Ende der achtjährigen Ölhausse sein?
M.T.: In der Tat entwickelte sich der Ölmarkt in den zurückliegenden Wochen so, wie es nur von den wenigsten Marktteilnehmern und Analysten erwartet wurde. Noch bis vor kurzem ging man nahezu geschlossen am Markt davon aus, dass die Hausse der Ölpreise ihre Fortsetzung finden würde. Die Gründe für diesen Optimismus sind vor allem die von Ihnen eingangs erwähnten Faktoren gewesen. Darüber hinaus schien der Fluss negativer Nachrichten zum damaligen Zeitpunkt nicht abebben zu wollen. Stellvertretend sei hier an das BP-Problem in Alaska und an die unruhige Situation in Nigeria erinnert. Kurse in Richtung 100 USD bis zum Jahresende schienen ausgemacht zu sein. Heute, nur wenige Wochen später, stellt sich die Situation ganz anders dar. Die Hurrikans sind bislang ausgeblieben.
Die US-Rohöllagerbestände befinden sich auf einem adäquaten Niveau. In den Konfliktregionen ist weitgehend Ruhe eingekehrt. Allerdings darf man nicht außer Acht lassen, dass die Konflikte noch immer schwellen und so jederzeit wieder neu aufflammen können. Zudem gab es auf dem jüngsten Treffen der OPEC keine Signale in Richtung Förderquotenkürzungen. Wie dem auch sei, dem stark auf Nachrichten fixierten Ölmarkt fehlt es derzeit an Unterstützung von dieser Seite. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir in diesen Tagen eine öffentliche Diskussion über die Aussichten für die Weltkonjunktur in den kommenden Monaten und Jahren sehen. Die Signale aus einigen Wirtschaftsräumen lassen zwar eine regional begrenzte Abkühlung in näherer Zukunft erkennen, aber von einem globalen Trendwechsel bereits zu sprechen, halte ich für übertrieben.
Das sind aber alles Punkte, die aktuell zu einer Verunsicherung am Ölmarkt führen. Wenn Sie mich jetzt nach den Aussichten für den Ölpreis fragen, so gilt es aus meiner Sicht, streng nach dessen kurz- und langfristigen Perspektiven zu unterscheiden. Kurzfristig erwarte ich, dass der Ölpreis unter Druck bleibt, d.h. ein Szenario mit Kursen unterhalb von 60 USD ist wahrscheinlich. Ich präferiere ein Korrekturziel von 50 bis 55 USD, das in den nächsten drei Monaten erreicht werden dürfte. Unter langfristigen Gesichtspunkten gehe ich weiterhin von einer robusten Entwicklung der Weltkonjunktur aus, so dass ich einen Ölpreis in einer Spanne von 70 bis 80 USD (in Übertreibungsphasen auch in Richtung 90 USD gehend) im Jahr 2007 erwarte.
V.R.: Wo sehen Sie aktuell Chancen im Sektor der Agrarrohstoffe? Die immer noch hohen negativen Rollrenditen laden ja nicht gerade zu Investments ein. Auch Zucker, der Liebling der Anleger vom Anfang des Jahres, hat mittlerweile deutlich an Terrain verloren.
M.T.: Noch zu Jahresbeginn galten Agrarrohstoffe ja als der kommende Sektor im Rohstoffbereich. Nach der vorangegangenen Rallye bei Edel- und Industriemetallen sowie den Energieträgern sollte in diesem Jahr der Funke auf den Agrarsektor überspringen. Das Nachholpotential schien enorm. Und in der Tat gab es einige wenige Märkte, wie beispielsweise der von Ihnen angesprochene Zuckermarkt, der überaus erfolgreich in das Jahr 2006 startete. Aber insgesamt verlief die Entwicklung der Agrargüter eher bescheiden. Sicherlich gilt vor allem für die Agrarrohstoffe, dass Anleger sehr selektiv vorgehen sollten.
Ausgewählte Märkte bieten aber trotz der Widrigkeit der negativen Rollrenditen gute Chancen. Ich habe derzeit zwei Favoriten im Agrarsektor: Zucker und Mais. Der Zuckerpreis ist nach der massiven Korrektur der letzten Monate auf einem Kursniveau angelangt, das ein Engagement unter fundamentalen und charttechnischen Aspekten interessant erscheinen lässt. Bei Mais hat sich über die letzten Monate hinweg eine relativ breite Tradingrange etabliert. Hier sollten also vor allem technisch orientierte Anleger auf ihre Kosten bzw. Gewinne kommen.
V.R.: Wie schätzen Sie die Entwicklung des US-Dollars bis Ende dieses Jahres ein? Könnte von der Konjunkturseite bald der Zwang zu Zinssenkungen und somit der Beginn einer baldigen Schwächephase des US-Dollars kommen? Wie schätzen Sie den aktuellen Einfluss des US-Dollars auf die Rohstoffpreisentwicklung ein?
M.T.: Der US-Dollar präsentiert sich derzeit überraschend stark. Profitieren kann er aktuell von den anhaltenden Diskussionen über die Notwendigkeit der Wiederaufnahme des Zinsanhebungszyklusses. Im August hat die FED ja das erste Mal seit Juni 2004 auf einen Zinsschritt verzichtet. Mit dem Verweis auf den anhaltenden Inflationsdruck wird derzeit aber weiter darüber spekuliert, ob nicht doch noch Zinsanhebungen folgen müssen. Hilfreich wäre es in diesem Zusammenhang, wenn die FED ein mittelfristiges Inflationsziel kommunizieren würde. Offiziell verfolgt sie ja keines. Derzeit befindet sich die FED in einer Zwickmühle. Das Inflationsrisiko ist unverändert hoch. Eine Abschwächung der US-Konjunktur ist aber bereits zu erkennen. Weiterer Ärger könnte vom Immobilienmarkt drohen.
Die Preise für neue Einfamilienhäuser in den USA stiegen im Juli nur noch um 1,5% gegenüber dem Vorjahresmonat. Im vergangenen Jahr wurden noch zeitweise zweistellige Wachstumsraten verzeichnet. Die Preise für Wohnimmobilien und die Entwicklung des privaten Verbrauchs sind eng aneinander gekoppelt. Aufgrund der höheren Preise können Wohnimmobilien von den Eigentümern besser beliehen werden. Und der US-Bürger konsumiert gern und vornehmlich auf Kredit. Es ist das denkbar schlechteste Szenario, wenn der private Konsum mit seinem Anteil von knapp zwei Dritteln am US-BIP nun wegbrechen sollte. In diesem Fall könnte die FED in der Tat gezwungen sein, die Zinsen schneller und deutlicher zu senken, als ihr lieb wäre. Ich gehe für die kommenden Monate allerdings von einem stabilen Leitzinsniveau in den USA aus.
Gegenüber anderen Währungsräumen sollte sich die Zinsschere damit schließen. So ist in den nächsten Monaten mit einer moderaten Abwertung des USD an den Devisenmärkten zu rechnen. Eine ausgeprägte Schwächephase des US-Dollars sehe ich nicht. So gehen beispielsweise meine Szenarien für die weitere Entwicklung von Euro/USD und USD/JPY von Kursen zwischen 1,30/1,35 USD sowie 109,0/107 JPY in den nächsten drei bis sechs Monaten aus. Der Einfluss des US-Dollars auf die Entwicklung der Rohstoffmärkte dürfte aufgrund dessen leicht positiv sein.
Das Interview wurde für den "Rohstoff Spiegel" am 21. September 2006 geführt.
© Dr. Volkmar Riemenschneider