Das Goldpreismanagement in Zeiten der Finanzrepression (Teil1/3)
24.08.2017 | Lars Schall
Teil Eins: Der Schlüssel zur Goldpreisbeeinflussung
Ein Phänomen namens Finanzrepression
Anfang April 2001 schrieb der britische Ökonom Peter Warburton in einem Essay, der den Titel The Debasement of World Currency - It Is Inflation, But Not As We Know It trug, dass westliche Zentralbanken die ihnen zu Diensten stehenden Investmentbank-Agenten und das Instrumentarium der Derivate nutzen würden, um die Rohstoffpreise allgemein niedrig zu halten. So ließe sich verhindern, dass Rohstoffe zur Absicherung gegen eine monetäre Inflation zum Einsatz kämen. (1)
"Was wir derzeit sehen", schrieb Warburton damals, "ist eine Schlacht der Zentralbanken gegen den Zusammenbruch des Finanzsystems, die an zwei Fronten geführt wird." An der einen Front säßen "die Zentralbanken an den Schalthebeln für die Schaffung zusätzlicher Liquidität für das Finanzsystem, um die Flutwelle fauler Kredite zurückzuhalten, die ansonsten [über die Märkte] hereinbrechen würde.“ An der anderen Front stachelten die Zentralbanken "die Investmentbanken und andere bereitwillige Parteien dazu an, gegen einen Preisanstieg bei Gold, Öl, Basismetallen, weichen Rohstoffen oder allen möglichen sonstigen Werten zu wetten, die als Indikator für inhärenten Wert betrachtet werden könnten.
Ihr Ziel ist es, den unabhängigen Beobachter jeder verlässlichen Benchmark zu berauben, anhand derer der erodierende Wert nicht nur des US-Dollars, sondern aller Papierwährungen gemessen werden kann." Im gleichen Maße versuchten die Zentralbanken "dem Anleger die Gelegenheit zu nehmen, sich gegen die Fragilität des Finanzsystems abzusichern, indem er in einen frei gehandelten Markt für nicht-finanzielle Vermögenswerte wechselt."
Die Schlacht an der zweiten Front fiele den Zentralbanken leichter, urteilte Warburton. "Vergangenen November [November 2000] schätzte ich die Größe des Bruttobestands an globalen Schuldeninstrumenten zur Mitte des Jahres 2000 auf 90 Billionen US-Dollar. Wie viel Kapital bräuchte man, um die kombinierten Gold-, Öl- und Rohstoffmärkte zu kontrollieren? Bei Einsatz von Derivaten vielleicht nicht mehr als 200 Milliarden US-Dollar." Überdies müssten die Zentralbanken die Schlacht nicht selbst schlagen, "wenngleich ihre Goldverkaufs- und Goldleasinggeschäfte sicherlich ursächlich dazu beigetragen haben.
Die meisten großen Investmentbanken haben ihr Kapital so schamlos überstrapaziert, dass, sollten die Zentralbanken den Kampf an der ersten Front verlieren, die Bestände der Investmentbanken wertlos wären. Weil ihr Schicksal mit dem der Zentralbanken verflochten ist, sind die Investmentbanken bereit, sich am Kampf gegen steigende Gold-, Öl- und Rohstoffpreise zu beteiligen." (2)
In neuerer Zeit ist für den beschriebenen Vorgang ein Begriff gefunden worden; er nennt sich "finanzielle Repression / Finanzrepression" (financial repression). Kevin Warsh, der von Februar 2006 bis März 2011 dem Board of Governors des U.S. Federal Reserve Systems angehörte, gab eine Definition des Begriffs Ende 2011 im Wall Street Journal. Er schrieb dort: "(D)ie politischen Entscheidungsträger finden es verlockend, 'Finanzrepression' zu betreiben - die Unterdrückung von Marktpreisen, die sie nicht mögen." Er fügte hinzu: "Anstrengungen, um Asset-Preise zu managen und zu manipulieren, sind nicht neu." (3)
Ein Jahr später versuchte ich im Zuge meiner Recherchen zum Goldmarkt einige Fragen an Warsh zu stellen. Meine Fragen reichte ich bei den Pressestellen der Stanford University und der Hoover Institution ein, wo Warsh (ein damals aktuelles Mitglied der Group of 30 und des Steering Committee der Bilderberg-Gruppe) als Lehrkraft tätig war. In meinem Schreiben kam ich auf den bewussten Artikel im Wall Street Journal zu sprechen, um anschließend zu fragen: "Welche Preise meinten Sie, die der 'finanziellen Repression' unterliegen? Welche früheren 'Anstrengungen, um Asset-Preise zu managen und zu manipulieren', meinten Sie? Haben Sie von der 'finanziellen Repression' während und aufgrund Ihres Dienstes bei der Fed erfahren?"
Bis heute habe ich auf diese Fragen keinerlei Antworten erhalten. (4)
Philippa Malmgren, die 2001-2002 als oberste Wirtschaftsberaterin des US-Präsidenten ein Mitglied des sogenannten Plunge Protection Teams war, pflichtete ihrem früheren Kollegen bei, als ich sie in einem Interview gezielt zu Warshs Aussagen befragte.
Philippa Malmgren: Nun, ich stimme Kevin zu, und wir haben im Weißen Haus zusammengearbeitet. Ich bin absolut seiner Meinung. Ich würde es etwas anders ausdrücken. Ich würde zwei Dinge sagen. Das eine ist, dass wir verstehen müssen, wie Verluste weitergereicht werden. Wenn zum Beispiel die Regierung zu den Pensionsfonds sagt: "Ihr solltet nur sichere Vermögenswerte halten, weil Ihr die Ersparnisse der allgemeinen Öffentlichkeit repräsentiert, aber als "sicher" gelten nur unsere Staatsanleihen", dann müssen all die Pensionsfonds die Staatsanleihen oder staatlichen Schuldverschreibungen von Großbritannien kaufen.
Und wenn deren Wert real sinkt, weil, wenn Rekordniedrigzinsen herrschen und Sie versuchen, Inflation zu erzeugen, und wenn das an einem bestimmten Punkt funktioniert, die Anleihen letztendlich viel weniger wert sind als zuvor, wer trägt dann den Verlust? Das sind die Pensionäre. Das heißt, es ist eine Art finanzielle Repression, die das Ziel hat, einen Verlust von der Haushaltsbilanz des Staates in Ihre persönliche Haushaltsbilanz zu verschieben. Das ist eine Variante, und wir müssen sorgfältig auf die Art und Weise achten, in der Regierungen versuchen, die Verluste auf die Schultern der Durchschnittsbürger zu verlagern.
Das andere ist jedoch, dass Regierungen zurzeit definitiv interventionsorientierter sind. Man hat das Gefühl, dass die Federal Reserve und andere Zentralbanken tatsächlich glauben, dass sie das Niveau des Marktes steuern, am Temperaturregler drehen und entscheiden können, was das richtige Zinssatzniveau oder das richtige Niveau am Aktienmarkt ist. Wenn also der Aktienmarkt nachzugeben beginnt, lassen sie verlauten, dass sie eine weitere Runde der quantitativen Lockerung einläuten könnten, um den Markt wieder in die Höhe zu treiben. Dieser Ansatz ist meiner Meinung nach sehr gefährlich.
Ich meine, wir wissen aus der Vergangenheit, dass sich die Dinge nicht gut entwickeln, wenn Regierungen versuchen, die Preise zu kontrollieren, und heute höre ich, wie die politischen Entscheidungsträger sowohl in Russland als auch China zu mir sagen: "He, wer ist jetzt kommunistischer? Bei wem gibt es mehr staatliche Intervention, bei uns oder bei euch?" Angesichts dessen, dass die Federal Reserve 75% der emittierten US-Treasuries kauft, wer ist stärker an der Gestaltung der Preise beteiligt? Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der die Preisfindung durch den Markt erfolgt. Die Regierungen oktroyieren dem Markt die Preise auf. Ich halte das für gefährlich, wir sollten versuchen, so schnell wie möglich davon wegzukommen. (5)
Bezogen auf den Prozess der "Finanzrepression" schauen wir im Folgenden einmal, ob es (verdeckte) Eingriffe westlicher Zentralbanken im Goldmarkt gegeben haben könnte.
Jelle Zijlstra, der damalige Präsident der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), empfahl in einer Rede, die 1981 im IWF-Hauptquartier in Washington DC gehalten wurde, die "Regulierung des Goldpreises im freien Markt." Zijlstra versprach sich von "relativ kleinformatigen Eingriffen" im Goldmarkt bessere Konditionen für das Goldmanagement seitens westlicher Zentralbanken. (6) In seinem Memoiren, die 1992 erschienen, schrieb Zijlstra dann, dass der Goldpreis seit längerem gedeckelt worden sei: "Gold wird künstlich auf einem viel zu niedrigen Preis gehalten." (7)
Dass die BIZ im Goldmarkt interveniert, ließ ihr leitender Ökonom William R. White im Juni 2005 durchblicken. Für White zählte zu den "unmittelbaren Zielen der Zusammenarbeit von Zentralbanken", dass man mit "vereinten Anstrengungen" die Preise für Vermögenswerte beeinflussen könne, "wo dies als nützlich erachtet wird" - und das gälte insbesondere für Gold und Devisen. (8) White umriss die Ziele der Zentralbanken-Zusammenarbeit dergestalt:
"Erstens, bessere gemeinsame Entscheidungen in den relativ seltenen Fällen, in denen solche koordinierten Maßnahmen vonnöten sind. Zweitens, ein klares Verständnis für die politischen Fragen, da sie Zentralbanken beeinflussen. Hoffentlich spiegelt dies gemeinsame Überzeugungen wider, aber auch ein klares Verständnis von Meinungsverschiedenheiten kann manchmal nützlich sein. Drittens, die Entwicklung von robusten und effektiven Kontaktnetzen. Viertens, die effiziente internationale Verbreitung sowohl von Ideen als auch von Informationen, die die nationale Politikgestaltung verbessern können. Und zuletzt die Bereitstellung von internationalen Krediten und gemeinsame Anstrengungen, um Vermögenspreise (vor allem Gold und Devisen) in Fällen zu beeinflussen, in denen dies als sinnvoll erachtet wird." (9)
In einer 24-seitigen Informationsbroschüre aus dem Juni 2008 präsentierte "die Zentralbank der Zentralbanken" zudem ganz explizit folgenden Punkt: Gold & Forex Services - Interventions ("Gold- und Devisenmarkt-Dienstleistungen - Eingriffe"). (10)
Der BIZ-Jahresbericht 2013 besagte, dass die BIZ im Auftrag ihrer Kunden "Devisen- und Goldgeschäfte" tätige und "ihnen damit Zugang zu einer umfangreichen Liquiditätsbasis" böte, "beispielsweise im Zusammenhang mit der regelmäßigen Neuausrichtung des Reserveportfolios oder erheblichen Veränderungen der Währungsallokation. Zu den Devisendienstleistungen der BIZ gehören Kassageschäfte in den wichtigsten Währungen und in Sonderziehungsrechten (SZR) sowie Swaps, Termingeschäfte, Optionen und Doppelwährungseinlagen. Ferner bietet die Bank Golddienstleistungen wie An- und Verkauf, Sichtkonten, Termineinlagen, Sonderdepots, Legierungsabscheidung, Erhöhung des Feingehalts und Transportdienste an." (11)
Der irische Goldmarktanalyst Ronan Manly identifizierte gen Ende 2015 acht Zentralbanken, welche nicht offenlegen, wo sie ihre Goldreserven aufbewahren - darunter die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. (12)
Stärke und Schwäche zugleich: Das Stock-to-Flow-Verhältnis des Goldes
Verglichen mit anderen Anlagewerten besitzt Gold die Eigenschaft, dass der Goldpreis fällt, wenn die Aktienkurse steigen - oder umgekehrt. Eine strikte Regel ist das gleichwohl nicht. Im Herbst 2008 etwa fiel der Goldpreis bei dem herrschenden Umfeld fallender Aktienkurse, obwohl die Edelmetallhändler der physischen Nachfrage nach Gold, die stattfand, nicht nachkommen konnten. Was etwas seltsam anmutet: denn ja, einerseits lag eine Problemlage vor, in der Liquidität um jeden Preis das Gebot der Stunde darstellte; andererseits kommen "Verkäufe aufgrund krisenbedingten Liquiditätsbedarfs" für den Rückgang des Goldkurses "nicht in Frage, denn dann müsste dieses Gold auch verfügbar sein." Stattdessen gab es 2008 "sogar einen Mangel an Münzen und Barren." (13)
Tatsächlich vermag man geradezu von einer Entkoppelung zwischen dem Goldpreis und der physischen Nachfrage nach Gold zu sprechen. "Der Goldpreis wird im Terminmarkt über Papiergoldkontrakte gesetzt", erklärte mir der österreichische Goldmarktanalyst Ronald Stöferle im Sommer 2015, "und mittlerweile hat sich der Papiergoldmarkt zu einem der am stärksten gehebelten Märkte entwickelt. Gemäß einer hochinteressanten Studie von Thomson Reuters GFMS belief sich das globale Handelsvolumen im Vorjahr auf ca. 550.000 Tonnen. Dies entspricht dem dreifachen Allzeitgesamtbestand an Gold bzw. dem 188-fachen der jährlichen Minenförderung. Wertmäßig entspricht dieser Umsatz 22 Billionen US-Dollar und somit mehr als im Dow Jones, dem S&P500 oder am deutschen Anleihenmarkt gehandelt wird." (14)
Zwei Dokumente sind in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. In einem Jahresbericht (10-K Filing) von 2013 der CME Group, die große Terminbörsen in den Vereinigten Staaten betreibt, wurde offenbar, dass zu den Kunden der CME Group "Regierungen und Zentralbanken" gehören. (15) Das zweite Dokument ist ein Brief vom Januar 2014, der vom Geschäftsführer der CME Group, Christopher Bowen, an die U.S. Commodity Futures Trading Commission geschickt wurde. Dem Brief war zu entnehmen, dass die CME Group den Zentralbanken bei allen Future-Kontrakten Handelsmengenrabatte anbot - nicht nur bei Finanz-Future-Kontrakten, sondern auch bei jenen für Gold, Silber und Rohstoffe. (16)
Wenn Regierungen und Zentralbanken insgeheim Handel an der Börse treiben, sind die Konditionen gegeben, wie sie Peter Warburton in seinem Essay The Debasement of World Currency dargelegt hatte.
Über Goldderivate wird ein Gold-Angebot geschaffen, das nur auf Papier existiert. Fast nie wird das Gold, das an der Terminbörse COMEX in New York gehandelt wird, vom Verkäufer in physischer Form an den Käufer geliefert. Stattdessen kommt es zumeist zu einem reinen Barausgleich.
Gold unterscheidet sich von anderen Rohstoffen, die ebenfalls an Terminbörsen gehandelt werden, an einem Punkt ganz wesentlich: Rohstoffe werden verarbeitet und verbraucht; Gold dagegen wird gehortet, wenn es den Zweck eines Wertaufbewahrungsmittels erfüllen soll. Als ein Wertaufbewahrungsmittel bietet sich Gold an, da zwischen dem Goldbestand, der in der Vergangenheit bisher gefördert wurde (Stock), und der jährlichen Produktion an Gold (Flow) ein sehr günstiges Verhältnis (Stock-to-Flow-Ratio) besteht. Die gängigsten Schätzungen besagen, dass bisher rund 170.000 Tonnen Gold gefördert wurden. (17) Zentralbanken halten davon offiziell etwa 31.000 Tonnen in ihren Tresoren vor. Die jährliche Minenproduktion beträgt etwa 2800 Tonnen; der jährliche Verbrauch rangiert bei circa 2400 Tonnen. (18)
Dieses Stock-to-Flow-Verhältnis, bei dem der Allzeitbestand den pro Jahr anfallenden Verbrauch signifikant übersteigt, trennt Gold von anderen Rohstoffen und Waren. Allenfalls beim Silber lässt sich ein annähernd ähnlich günstiges Verhältnis vorfinden. Günstig, weil: "Während bei anderen Waren der Bestand allenfalls für Monate reicht, könnte man bei Gold die Produktion für viele Jahre einstellen und dennoch den Verbrauch decken. Von den beiden wichtigsten Geldfunktionen hat Gold eben nur die Tauschmittelfunktion verloren, die Wertaufbewahrungsfunktion hat es weiterhin inne." (19)
Rohstoffe wie Öl und Kupfer, die primär dem Verbrauch dienen, gewinnen ihren ökonomischen Nutzen, indem sie verwendet bzw. zerstört werden. Drum haben Industrierohstoffe ein niedriges Stock-to-Flow-Verhältnis, das die Verbrauchernachfrage für nur jeweils wenige Monate abdeckt. Gold dagegen wird als Investment gekauft, um gehalten und später weiterverkauft zu werden; im Aufbewahren besteht sein wirtschaftlicher Nutzen. Diesbezüglich rechnete mir der bereits erwähnte Ronald Stöferle in einem Interview vor:
Das Gesamtvolumen allen Goldes, das jemals produziert wurde, kommt offiziell auf etwa 170.000 Tonnen. Dies ist der Stock. Die jährliche Produktion war 2010 laut Angaben des World Gold Council 2.586 Tonnen. Dies ist der Flow. Das erste durch das letztere dividierend, erhalten wir das Stock-to-Flow-Verhältnis von 65 Jahren.
Lars Schall: Was bedeutet das nun?
Ronald Stöferle: Nun, die globalen Goldreserven wachsen jährlich um 1,5% und damit zu einer sehr viel langsameren Rate als alle anderen Geldmengenaggregate rund um den Globus. Die Wachstumsrate ist vage im Einklang mit dem Bevölkerungswachstum. Das Vertrauen in die aktuelle und zukünftige Kaufkraft des Geldes oder irgendeines Zahlungsmittels hängt nicht nur davon ab, wie viel jetzt verfügbar ist, sondern auch davon, wie sich die Menge im Laufe der Zeit ändern wird. Wenn sich die Minenproduktion um 50% erhöhte (was höchst unwahrscheinlich ist), würde sich dies nur in einer jährlichen Steigerung von 3% übersetzen. Diese Tatsache schafft ein Gefühl der Sicherheit, soweit es die Verfügbarkeit betrifft, und verhindert eine natürliche Inflation. Wenn die Produktion für ein Jahr fiele, würde dies auch nur geringe Auswirkungen auf die allgemeine Situation haben.
Würde auf der anderen Seite die Kupfer-Produktion für längere Zeit unterbrochen werden, würden die Lagerbestände nach etwa 30 Tagen erschöpft sein. Zum Beispiel, wenn eine große neue Mine in Betrieb geht und das Angebot sich verdoppelte, wäre dies mit enormen Folgen für den Kupferpreis verbunden, aber kaum für Gold. Diese Stabilität und Sicherheit ist eine entscheidende Voraussetzung für die Schaffung von Vertrauen. Und es ist das, was Gold und Silber als Geld-Metalle deutlich von Rohstoffen und anderen Edelmetallen unterscheidet. Rohstoffe werden verbraucht, während Gold gehortet wird. Dies erklärt auch, warum traditionelle Angebot-und-Nachfrage-Modelle nur von begrenztem Nutzen für den Goldmarkt sind.
Deshalb wird Gold als wertvoll erachtet, weil die jährliche Produktion so gering bezogen auf den Bestand ist. Dieses Merkmal wurde im Laufe der Jahrhunderte erworben und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. (20)
Aus dem besonderen Stock-to-Flow-Verhältnis ergibt sich auch das Konzept einer Warenpreisregel für die Geldpolitik, die mit Gold verbunden ist. David P. Goldman, in der Vergangenheit der globale Leiter für die Research-Abteilung festverzinslicher Wertpapiere bei der Bank of America (2002-2005) und der globale Leiter für Kredit-Strategie bei Credit Suisse (1998-2002), verriet mir dazu in einem Interview, dass es sich um eine Idee handele, die in unserer Zeit von Robert Mundell vorangetrieben worden sei, aber eigentlich ginge sie bis hin zu David Ricardos Idee des Goldstandards zurück.
David P. Goldman: Robert Mundell ist natürlich der Vater des Euro und der Vater der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, er ist ein Nobelpreisträger, und er war der prominenteste Ökonom, der an der Weiterentwicklung dieser Idee gearbeitet hat; er hat darüber ungefähr die letzten 30 bis 40 Jahre gesprochen. Die Idee ist ganz einfach: die Schaffung einer Art objektiven, auf den Markt beruhenden Regel, die die Fähigkeit der Zentralbanken, Geld zu schaffen und ihre Währungen zu entwerten, eingrenzen würde - oder auf der anderen Seite, um als eine Bremse gegen die Deflation handeln zu können. In anderen Worten: die Benutzung von Marktbeobachtungen der Auktionspreise, die die Erwartungen des allgemeinen Preisniveaus reflektieren, um die Fehler der Zentralbanken zu korrigieren.
Es hat seit Jahrhunderten eine enorme Debatte darüber gegeben, was die Kriterien für die Schaffung von Zentralbankgeld sein sollten und wie wichtig das ist. Mundells Argument ist, dass die Menge des Geldes viel weniger wichtig ist als die Art und Weise, wie der Markt auf den Anstieg des Zentralbankengelds oder der Bankreserven reagiert, und wie sich das auf die Erwartungen des Preisniveaus auswirkt. Zentralbanken sollten also viel mehr auf den Markt hören.
Und Gold gibt einem unter allen Rohstoffen wahrscheinlich das reinste Signal über künftige Preisentwicklungserwartungen. Es gibt einen ganz simplen Grund dafür: die Menge an Gold, die sich in Lagerreserve befindet, beträgt ein Vielfaches (…) des Jahresverbrauchs. Eine Änderung des Wunsches, Gold als Investment zu halten, ist also ein viel wichtigerer Faktor für den Goldpreis als Änderungen beim Minenangebot oder Veränderungen des gegenwärtigen Verbrauchs von Schmuck oder industriellen Anwendungen. Wenn Sie Kupfer oder Platin oder Bauxit oder andere Rohstoffe verwenden, sind die Lagerbestände extrem niedrig relativ zur aktuellen Nutzung.
Und es könnte auch einen technologischen Wandel oder einen Konjunktureinbruch oder eine große Zunahme der Nachfrage geben, was die Preise drastisch beeinflussen würde. Drum ist es viel schwieriger, Preissignale von Industriegütern als Indiz für die Erwartungen des zukünftigen Preisniveaus zu interpretieren. Gold gibt Ihnen viel bessere Informationen. So es hat sicherlich einen Ehrenplatz unter allen Waren als Indikator für die Erwartungen über das Preisniveau und als Leitfaden für die Zentralbankaktivität inne.
Diese Idee eines Rohstoff-Standards, um Vertrauen in den Markt zu schaffen und die Zentralbank-Fehler zu korrigieren, ist der Kern des Konzepts von Mundell. Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, und ich glaube fest daran, dass das monetäre Management im Allgemeinen viel besser gewesen wäre, wenn wir Mundells Sicht und nicht dem Rätselraten der Zentralbanker gefolgt wären.
Sicherlich haben Fehler, die von der Federal Reserve in der Geldpolitik begangen wurden, zur Entwicklung der Finanzblase in den 2000er Jahren beigetragen. Im Jahr 2003 lockerte, wie Sie sich erinnern, die Federal Reserve die Geldpolitik, weil sie Angst vor Deflation hatten - es gab einen großen Rückgang bei der Rendite von Staatsanleihen, und sie sahen das als ein deflationäres Signal. Zu diesem Zeitpunkt erarbeitete meine Abteilung bei der Bank of America umfangreiche Forschungen, und zwar mit dem Argument, dass dies kein deflationäres Signal darstellte, dass sich die Federal Reserve im Irrtum befand, und dass die Lockerung der Federal Reserve falsch war.
Deshalb kann ich an eine Reihe von Fällen zurückdenken, wo die Federal Reserve viel besser daran getan hätte, den Goldpreis zu beobachten, anstatt Anleiherenditen oder Verbraucher-Preisindizes oder die andere Dinge, die sie sich angesehen haben.
Lars Schall: Halten Sie es für sich als lohnenswert, den Goldmarkt zu verfolgen?
David P. Goldman: Oh, absolut! Gold gibt einem extrem wichtige Signale. Die Frage, die sich Finanzanalysten stellen sollten, ist nicht einfach die, was der Markt erwartet, sondern was das Spektrum der Möglichkeiten ist, die der Markt erwartet, und welche Wahrscheinlichkeiten ihnen zugeordnet sind. Mit anderen Worten, die Erwartungen sollten nicht als ein Punkt in der Zukunft gedacht werden - ich glaube, dass der Aktienmarkt um 7,38 Prozent im nächsten Jahr hochgehen wird, das ist meine Erwartung. Stattdessen sollte die Erwartung als Wahrscheinlichkeitsverteilung gedacht werden. Zum Beispiel, wenn Sie rausgehen, um eine Bank auszurauben, haben Sie eine sehr verkorkste Verteilung - auf der einen Seite kommen Sie mit € 50,000 davon, auf der anderen Seite werden Sie erschossen werden. Wenn Sie in Staatsanleihen investieren, erhalten Sie dort eine viel enger gefasste Verteilung.
Die Bereitschaft des Marktes, für Absicherungen gegen extreme Ergebnisse zu zahlen - und Gold ist zu diesem Zeitpunkt eine Absicherung gegen extreme Ergebnisse -, ist also ein sehr wichtiger Hinweis auf das Denken des Markts. Ein interessanter Vergleich besteht zwischen Gold und inflationsfolgenden Wertpapieren (inflation tracking securities) wie TIPS (Treasury Inflation-Protected Securities) in den Vereinigten Staaten. In den letzten fünf Jahren gibt es eine sehr enge Beziehung zwischen dem Goldpreis und den Inflation-Trackers, auf die ich viele Male in der Vergangenheit in meiner Forschung für Kunden hingewiesen habe. Beide sind Absicherungen gegen extreme Ergebnisse.
Derzeitig, wenn Sie einen Inflation-Tracker in den Vereinigten Staaten oder einem der besseren Qualitätsländer kaufen, haben Sie einen negativen Zinssatz - das heißt, Sie investieren 100 €, und wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, erhalten Sie in zehn Jahren 99 € zurück. Warum sollte jemand eine negative Rendite akzeptieren? Weil, wenn Sie eine andere extreme Inflation oder extreme Deflation haben werden, dann wird TIPS andere Anleihen und wahrscheinlich auch andere Aktien übertreffen. Die Tatsache, dass Gold und TIPS einander extrem eng folgen, ist ein Indiz dafür, dass diese beiden Instrumente Absicherungen gegen extreme Ergebnisse sind.
Der Goldmarkt ist also ein extrem wichtiges Signal, er muss aber sorgfältig interpretiert werden. (21)
Zur sorgfältigen Interpretation gehört es, auch den Haken am Stock-to-Flow-Verhältnis aufzuzeigen, der elementar für den Goldpreis ist: "Geringe Teile des Bestandes würden reichen, um den Bedarf zu decken! Umgekehrt würde man viele Jahresproduktionen benötigen, um den Bestand nennenswert zu erhöhen. Sähe man Gold nur als Ware - was es physikalisch unzweifelhaft ist, nicht aber ökonomisch -, würde man sich bei fundamentalen Betrachtungen zum Preis auf Produktion und Verbrauch fokussieren. Was aber für Rohöl oder Weizen gilt, ist bei Gold bestenfalls sekundär."
Von primärer Bedeutung für den Goldpreis ist vielmehr, dass dieser fällt, "wenn aus dem Bestand etwas Gold abgegeben wird, und er steigt, wenn es für den Bestand als Wertaufbewahrungsmittel nachgefragt wird." Und "nur weil sein Bestand so groß und Gold Wertaufbewahrungsmittel ist, kann langjährig von den Finanzinstitutionen erfolgreich auf den Goldpreis Einfluss genommen werden." Die Stärke, die Gold aus dem Stock-to-Flow-Verhältnis bezieht, wird zur Schwäche, denn über den Hebel des Bestandes können die Finanzhäuser die "Nachfrage bedienen, und sie können (potentielle) Anleger zu Bestandsänderungen veranlassen.
Keine Regierung kann langjährig den Benzinpreis halbieren, ohne laufend die Differenz zum Weltmarktpreis aus anderen Quellen bezahlen zu müssen. Sie hat kein Öl für den Verbrauch vieler Jahre in ihren Lagerstätten. Bei Gold hat sie es! Und keine Regierung kann die Autofahrer ohne weiteres motivieren, halb so viel Benzin zu verbrauchen. Sie kann sie nur mühsam über den Preis und schon gar nicht über 'Alternativen zu Benzin-Anlagen' zu Verhaltensänderungen beeinflussen. Bei Gold kann sie es!" (22)
Überdies hat das Terminbörsen-Papiersystem ein imaginäres und elastisches, letztlich aber nie lieferbares Gold-Angebot hervorgebracht, wiewohl ja die Annahme von Goldkäufern gerade dahingeht, dass die Angebotsseite beim Gold - im Gegensatz zum Papiergeld der Banken - nicht elastisch ist, sondern sich auf die gesamte Goldherstellung der Vergangenheit plus die jährliche Minenproduktion beschränkt. Dieser Kernvorzug, den Anleger beim Gold erkennen, namentlich dass es nicht weginflationiert werden kann, wird durch eine Art umgekehrte Alchemie ausgehebelt.
Das Motiv des Goldpreismanagements
Die Funktion von physischem Gold als Wertaufbewahrungsmittel, das gehortet wird, bietet an und für sich die Chance, aus dem Finanzsystem auszusteigen. Das Geld wird dem System entzogen und in Gold umgetauscht, woraufhin das Gold bisweilen auf Jahre und Jahrzehnte herumliegt, ohne wieder in Geld umgetauscht zu werden und ins Finanzsystem zurückzukehren. Die Akteure des Finanzsystems mögen Gold von daher eher nicht. Ihre Aufgabe besteht darin, das Geld der Anleger von vornherein innerhalb des Systems zu halten - in Aktien, Anleihen, Devisen, Immobilien und diversen Finanzprodukten. Gold ist ihr Konkurrent.
Zu diesen Akteuren zählt die U.S. Federal Reserve Bank. Der US-Dollar, den sie zusammen mit dem US-Finanzministerium schöpft, korreliert negativ zu Gold: geht der Wert des Dollar nach oben, fällt der Goldpreis - und umgekehrt. Gold ist eine Art internationale Währung, die zur Bewertung anderer Währungen herangezogen wird. Die negative Korrelation zu Gold besteht auch bei Staatsanleihen: das Auf-und-Ab des Goldpreises läuft zumeist in die jeweils gegensätzliche Richtung des Hin-und-Her dieser Staatspapiere. Ein steigender Goldpreis wird an den Finanzmärkten obendrein als Krisenzeichen und Indikator für eine steigende Inflation bzw. Inflationsfurcht gewertet.
Dem Finanzsystem kommt zugute, dass es manchen Akteuren, beispielsweise Versicherungen, von vornherein per Gesetz untersagt ist, Investitionen in Gold tätigen zu dürfen. Stattdessen werden (in einer Manifestation des "Finanzrepression"-Phänomens) die Investitionsgelder in Staatspapiere gelenkt. Der Kauf von Staatsanleihen gilt als "sichere Investition", gerade auch in Zeitläuften der Krise. (23)
Entgegen seines Rufs als "sicherer Hafen" geht der Goldkurs dagegen statistisch belegbar seit den 1990er Jahren im Laufe von Problemphasen an den Finanzmärkten zurück, "als gehörte Gold wie Aktien zu den in Krisenzeiten mit hohen Risiken behafteten Investments." (24) Mit diesem atypischen Verhalten trägt der Goldpreis zur Stabilität in solchen Krisensituationen bei: ein rückgängiger Goldkurs zeigt an, dass die Lage nicht so schlimm sein kann, wodurch Gold "als Krisen-Investment uninteressant" wird, und "die Gelder strömen in die verbleibenden Anlageklassen, insbesondere in die Staatsanleihemärkte.
Anschließend fließen sie auch wieder schneller in die Aktienmärkte zurück. Zudem wird der Eindruck einer unkontrollierten Krise vermieden." (25) Insofern dürften Zentralbanken durchaus "genügend Gründe" besitzen, "sich gerade in schwierigen Marktphasen einen fallenden Goldpreis zu wünschen." (26)
Dem Transkript eines Meetings des Federal Open Market Committee (FOMC) der U.S. Federal Reserve Bank von Mitte Mai 1993 ist zu entnehmen, dass Wayne D. Angell, ein stimmberechtigtes Mitglied des FOMC, den Goldpreis ins Auge fasste, und sagte: "Ich meine nicht, dass wir die Zinssätze um 300 Basispunkte anheben sollten. Wenn wir es aber täten, bin ich ziemlich sicher, dass der Goldpreis sofort beginnen würde, rasch [und stark] [zu fallen]. Es würde so schnell geschehen, dass Sie nur zum Bildschirm gehen und zusehen müssten.
Würden wir die Sätze für Federal Funds um 100 Basispunkte anheben, würde der Goldpreis sicher wieder nach unten gehen, außer die Lage ist schlimmer als ich denke. Wenn wir die Fed-Fund-Sätze um 50 Basispunkte anheben würden, weiß ich nicht, was mit dem Goldpreis passieren würde, aber ich würde es bestimmt gern herausfinden! [Gelächter]" (27)
Wenig später führte Angell zum Goldpreis aus: "Der Preis von Gold wird weitgehend durch das bestimmt, was Leute, die dem Papiergeldsystem nicht vertrauen, als Fluchtweg aus einer Währung nutzen wollen, und sie wollen Sicherheit gewinnen durch den Besitz von Gold." (28) Mit anderen Worten: Gold steht in Konkurrenz zum Kreditgeld. Ferner meinte Angell, der dem Vorstand der Federal Reserve von 1986 bis 1994 angehörte, dass der Goldpreis weniger eine Frage von Produktion und Verbrauch sei, sondern eher eine der Haltung gegenüber der Inflation. Eine Veränderung dieser Haltung bewirke auch eine Veränderung des Goldpreises. (29)
Im selben Meeting legte der damalige Fed-Vorsitzende Alan Greenspan dar: "Meine Neigung heute - und ich bin ehrlich gesagt, höchst neugierig auf die Meinung anderer - wäre, einen Schwenk in Richtung einer restriktiveren Haltung zu machen und die psychologische Wirkung, so gut wir können, zu beobachten. Mit Letzterem meine ich zu sehen, was mit dem Anleihemarkt, den Börsen und dem Goldpreis passiert." Wenig später brachte Greenspan "noch ein anderes Thema" auf die Tagesordnung. "Ich zögere, es zu tun, aber lassen Sie mich einige der Problematiken beleuchten, die hier eine Rolle spielen. Wenn wir es mit Psychologie zu tun haben, kommt den Thermometern, die man benutzt, um sie zu messen, eine Wirkung zu. Ich habe bei Gouverneur Mullins am Rande die Frage aufgeworfen, was passieren würde, wenn das Schatzamt etwas Gold in diesem Markt verkauft.
Es stellt sich hier eine interessante Frage, denn wenn der Goldpreis in diesem Zusammenhang einbrechen würde, wäre das Thermometer nicht nur ein Messinstrument. Es würde prinzipiell die zugrunde liegende Psychologie beeinflussen. Nun, wir haben kein gesetzliches Recht, Gold zu verkaufen, aber ich bin ehrlich ganz einfach neugierig, was die Leute über Situationen dieser Art denken, weil hier etwas Ungewöhnliches in die Politik hineinspielt. Wir bewegen uns nicht einfach im Rahmen der Standardpolitik, bei der die Geldmenge expandiert, die Wirtschaft expandiert und die Fed die Zügel anzieht. Dies ist etwas ganz anderes." (30)
Die Federal Reserve hatte also durchaus ein Auge auf den Goldpreis gerichtet und fragte sich, ob der Goldpreis "die richtigen Signale" an die Marktteilnehmer senden würde - ein Indiz der psychologischen Komponente, die Gold auf den Markt ausübt. Obendrein machte sich Greenspan Gedanken über eine Beeinflussung des Goldpreises: "… was passieren würde, wenn das Schatzamt etwas Gold in diesem Markt verkauft."
Beim nächsten FOMC-Meeting, das Anfang Juli 1993 stattfand, stand Gold abermals zur Diskussion. Greenspan rief Angell zu einem Wortbeitrag auf, als das Gespräch um eine Erhöhung der Leitzinsen drehte. Angell war ein Fürsprecher einer Zinsanhebung. Im Zentrum seiner Überlegungen stand das Phänomen der Inflation und wie man es wirksam bekämpft. In diesem Zusammenhang sprach Angell den Goldpreis an, welcher seiner Meinung nach beispielsweise nicht von der Goldnachfrage in asiatischen Ländern bestimmt werden würde. Stattdessen ließ er seine Kollegen wissen: "Der Goldpreis wird weitgehend von uns bestimmt", und erklärte ihnen weiter:
"Auf viele Dinge, etwa Grundstückspreise, haben die langfristigen Zinsen einen hohen Einfluss. Aber den größten Einfluss auf den Goldpreis stellen die Opportunitätskosten dar, den US-Dollar zu halten." (31) Wer in der Welt anderen Währungen nicht vertraue, könne in den US-Dollar wechseln - wobei der US-Dollar, das machte er mit dem Hinweis auf die Opportunitätskosten klar, im Wettbewerb mit dem Gold steht: ist der Zins bei Investitionen in US-Dollar attraktiv, nimmt die Attraktivität des Goldes ab. (32) "Wir sind in einer Phase", urteilte Angell wenig später, "die von Inflationserwartung geprägt ist, und diese äußert sich im Goldpreis" - der damals gestiegen war. (33)
Dann wies er auf die geringe jährliche Produktion von Gold im Vergleich zum weltweiten Bestand von Gold hin - jenes Stock-to-Flow-Verhältnis, das "eine der Voraussetzungen für direkte Interventionen ist" - nämlich durch Verkauf- und Leihgeschäfte von Gold, das von Zentralbanken gehalten wird. (34) Jedenfalls sagte Angell, dass "eine Menge" des Goldbestandes "von Zentralbanken gehalten" würde. Mit keinem Wort sprach Angell von direkten oder gar systematischen Eingriffen; aber die Möglichkeit, wie man das machen könnte, wenn man denn wollte, stand nun im Raum. Zudem wird in seinen Ausführungen klar, dass ihm der steigende Goldpreis (und die damit einhergehende Inflationsfurcht) ein Dorn im Auge war.
Die leidige Sache mit dem steigenden Goldpreis könne beendet werden, eröffnete er seinen Kollegen dann: "Wir können den Goldpreis sehr leicht halten" - und zwar durch eine Erhöhung der Zinsen. "Wir müssen lediglich hohe Opportunitätskosten bei den Leitzinsen und [bei den Zinsen] der Treasury Bills verursachen, um es unrentabel zu machen, Gold zu halten", denn das Wertaufbewahrungsmittel Gold wirft keine Zinsen ab. (35) Den Effekt erhöhter Zinsen auf den Goldpreis hatte Angell, wie gesehen, schon beim vorherigen Treffen des FOMC im Mai erwähnt. Mit seiner Auffassung, dass für höhere Zinsen zu stimmen sei, stand Angell im FOMC zu der Zeit jedoch alleine da. Zu groß waren unter den anderen stimmberechtigten Mitgliedern die Bedenken, dass die wirtschaftliche Aktivität im Lande durch angezogene Zinsen negativ beeinträchtigt hätte werden können.
Beim nächsten FOMC-Meeting am 17. August 1993 zeigte sich Angell ob der inzwischen beim Goldpreis eingetretenen Entwicklung dann recht glücklich gestimmt: "Ich stelle fest, dass der Goldpreis von 400 Dollar auf 371 Dollar zurückgekommen ist. Das ist wirklich ein Vorgang, der der Bewegung entspricht, die im Anleihemarkt stattfand. Und das hat sehr, sehr gut funktioniert." (36)
Seltsam nur: "die von ihm in der vorherigen Sitzung vorgeschlagene Methode der Zinserhöhung war ja abgelehnt worden." Das kann den Preisrückgang nicht bewirkt haben. Gleichwohl zieht er "die Verbindung (…) zum parallel stattgefundenen Rückgang der Renditen am Anleihemarkt. In der vorherigen Fed-Sitzung hatte er diesen Aspekt nur angesprochen, hier zeigt Angell, dass er den Rückgang der Renditen, also steigende Anleihekurse, für eine Folge des 'Haltens' des Goldes hält." (37)
Wie ist dieses "Halten" des Goldpreises aber zu erklären?
Handelsplatz New York
Seit vielen Jahren ist zu beobachten, dass der Goldpreis häufig während der Handelszeit der New Yorker Rohstoffbörse COMEX fällt - auch wenn sich der Goldpreis an den asiatischen und europäischen Börsen hält oder gar steigt. Typischerweise geht der Goldpreis besonders in den ersten beiden Handelsstunden und in zeitlicher Nähe zum PM-Fixing in London zurück, wo eine Art Weltgoldpreis gesetzt wird. Außerdem verliert der Goldpreis oft, wenn der New Yorker Schlusskurs ansteht. Anhand statistischer Untersuchungen der Kursbewegungen des Goldes im Innertagesverlauf vermag Zufall als Erklärung ausgeschlossen zu werden. Stattdessen lässt sich eine Anomalie nachweisen, namentlich "ein wiederkehrendes kurzfristiges Muster, das weit außerhalb eines markttypischen Verlaufs liegt." (38)
Auf ersten Untersuchungen aufbauend, die von Harry Clawar und Michael Bolser jeweils im Jahre 2000 durchgeführt wurden, (39) ging der Goldmarktanalyst Dimitri Speck in den Folgejahren mit einem verfeinerten Ansatz Zigtausende von Innertagesverläufe des Goldpreises durch, die zusammen nicht nur "eine hohe statistische Signifikanz" aufweisen, sondern auch "eine taggenaue Datierung des Beginns" der Goldkursanomalie erlauben. (40) Etwaige Markteingriffe durch verdeckt getätigte Verkäufe "zielen auf den Kurs, sie müssen sich somit am Kurs bemerkbar machen. Wir messen die Intervention direkt, wenn wir den Kurs betrachten." (41)
Und siehe da: die Schwäche des Goldpreises im Laufe der New Yorker Handelszeit ist ab dem 5. August 1993 nachweisbar. "An diesem Tag begannen die systematischen Interventionen gegen einen festen Goldpreis", urteilt Speck. "Diese werden maßgeblich mit Hilfe des New Yorker Terminmarktes Comex durchgeführt. Seitdem entwickelte sich der Preis dort meist schlechter als zur übrigen Handelszeit. Der 5. August 1993 ist ein Schlüsseltag in der modernen Geschichte des Goldes. An diesem Tag begann die systematische Niederringung des einzigen bedeutenden Wettbewerbers des Papiergeldes." (42)
Verfolgt man die Entwicklung der Interventionen, die seither geschahen, entpuppt sich ihre Intensität zu Beginn als besonders hoch. "Sie waren auch wirksam, denn der Goldpreis fiel nun schnell, nachdem er zuvor gestiegen war. Außerdem waren sie ein zweites Mal ab 1999 besonders stark, nachdem infolge des Washington Agreement on Gold (WAG) Gold sprunghaft stieg. (…) Die Interventionen wurden zudem nach einigen kleineren Anstiegen intensiviert." Ein Vergleich der Goldkursbewegung in New York gegenüber dem Rest der Welt lässt "sehr schön erkennen, dass Goldkursrückgänge in der Regel mit einer in New York beheimateten Schwäche des Goldes im Intraday-Verlauf einhergehen (für diesen Zusammenhang dürfte sich wohl auch nur schwerlich eine Erklärung jenseits von Interventionen finden lassen)." (43)
Der Handelsplatz New York ist für eine US-geführte Manipulation des Goldpreises als Heimspielstätte erste Wahl, weil: "Kursinterventionen müssen wie alles Übrige auch praktisch organisiert werden, und da bietet sich der Heimatmarkt an. Man kennt sich aus, hat Kontakte, und es ist weniger aufwendig, als rund um die Uhr tätig zu sein. Es ist außerdem weniger kostspielig, sich auf Kursmarken wie das Nachmittagsfixing und den Schlusskurs in New York (und des Terminmarktes) zu konzentrieren, an denen sich die Marktteilnehmer orientieren. Diese Kursmarken bleiben in Erinnerung, Handelsentscheidungen werden weit öfter an ihnen orientiert getroffen als an irgendwelchen Kursen zwischendrin." (44)
Ins Auge stechen bei der Intraday-Anomalie die schockartigen Rückgänge des Goldpreises, die aus heiterem Himmel geschehen. Speck: "Immer wieder fällt der Goldpreis wie ein Stein, binnen Minuten um Beträge von 10 Dollar oder mehr. Ohne jeden äußeren Grund wie eine Marktnachricht." (45) Am 5. August 1993 beispielsweise, dem Beginn der systematischen Intervention, fiel der Goldpreis um 8.27 Uhr New Yorker Zeit "in einer schnellen, für Investoren schmerzhaften Abwärtsbewegung. Binnen nur sieben Minuten verlor der Goldpreis 13 Dollar. Einen so plötzlichen und schnellen Rückgang hatte es zuletzt sechs Jahre zuvor, am (…) 27. April 1987, gegeben (bei dem auch einiges auf eine Intervention hindeutet)." (46) Seither gehören schockartige Goldkurseinbußen zum New Yorker Handelsgeschehen.
Stutzig macht obendrein ein Vergleich der Schlusskurse der Jahre 1997 bis 1999 in New York: die Schlusskurse waren "bis auf 1,3 Dollar gleich und betrugen alle drei beinahe genau 288 Dollar! Dies kann nun wirklich kein Zufall mehr sein. Die Spanne engt sich sogar noch weiter ein, wenn man die Jahresschlusskurse des maßgeblichen Frontmonats, des Februar-Kontrakts, an der Comex nimmt", dann nämlich liegt die Differenz gerade noch "bei maximal 0,7 Dollar! Da wird tagaus, tagein über Jahre fleißig gehandelt und eifrig spekuliert, nur damit am Jahresende immer wieder der gleiche Kurs herauskommt, als wären die Preise amtlich fixiert." (47)
Rechnet man die Wahrscheinlichkeit aus, "mit der ein Kurs dreimal hintereinander auf diese Weise den gleichen Wert einnimmt", fällt der Wert marginal aus, sodass "mathematisch und sachlich (…) klar" wird: "es liegt kein normales Marktgeschehen vor. (…) Der ermittelte Wert ist insgesamt gut belastbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schlusskurse dreier aufeinanderfolgender Jahre so eng beieinanderliegen, wie sie es von 1997 bis 1999 taten, liegt bei oder unter 0,002 Prozent." (48)
Das vorrangige Motiv, um im Jahre 1993 verdeckt aktiv zu werden, bestand darin, dass man die Inflationssorgen einschläfern wollte. Die Federal Reserve steckte in einem Dilemma: sie konnte die Leitzinsen nicht anheben, da ein solcher Schritt die Konjunktur unter Mitleidenschaft gezogen hätte. Ferner sah man sich primär einer von Erwartungen geschürten Inflation gegenüber. Während des FOMC-Treffens im Mai 1993 sagte Alan Greenspan: "Nun denn, das ist eine sehr kritische Periode für uns", und: "Ich denke, wir können ausschließen, dass das übliche Geld- und Kreditphänomen die Inflation vorantreibt."
Fed-Gouverneur Robert McTeer rätselte derweil: "Ich verstehe diese kürzliche Spaltung in der Wirtschaft nicht, bei der die Realwirtschaft nach unten zu driften und zur gleichen Zeit Inflation aufzukommen scheint. Für mich ist das ein Mysterium." Fed-Gouverneur Lawrence B. Lindsey erklärte ihm das Mysterium sodann: "Ich glaube, der Grund, warum wir die höhere Inflation hatten, war von Ihnen, Herr Vorsitzender, gut ausgeführt. Sie basiert auf Erwartungen." (49)
Wenn man die Zinsen nicht anheben wollte, um auf die Inflation einzuwirken, die Inflation aber selbst "Folge einer hohen Inflationserwartung war, konnte die Inflation bekämpft werden, indem man auf die Inflationserwartung Einfluss nahm. Das ,Thermometer‘ war Gold, sein gestiegener Preis signalisierte die Gefahr einer Geldentwertung." Eingriffe im Goldmarkt boten den "Schlüssel zur Lösung dieses Spagats: Wie bekämpft man die Inflation, ohne die Leitzinsen anzuheben und damit die Wirtschaft zu gefährden? Indem man den Goldkurs drückt und den Leuten damit Geldwertstabilität signalisiert." (50)
Über eine geringere Inflationserwartung sind Anleger eher geneigt, in Anleihen zu investieren - was dann wiederum deren Renditen fallen lässt und somit "den Aufwand für den Schuldendienst (insbesondere des amerikanischen Staates) reduziert." (51) Ein weiterer Vorteil: "Im Dreiergespann der Währungen (Gold - Dollar - übrige Währungen) stützt ein schwacher Goldpreis aber auch den Dollar. Der inverse Zusammenhang von Dollar zu Gold ist auch empirisch gut belegt. Ein fester Dollar hat wiederrum weitere Folgen, darunter erneut die Möglichkeit, sich günstig zu verschulden (da kein Währungsrückgang eingepreist werden muss)." (52)
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© Lars Schall
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