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Manipulation oder Revolution? Die wahre Bedeutung des Barclays Silber-ETF

15.11.2006  |  Peter Boehringer

Der Barclays Global Investors iShares Silver Trust (SLV) hat schon vor seiner Zulassung durch die amerikanische Börsenaufsicht SEC und vor seinem Start an der AMEX Ende April 2006 zu ganz erheblichen Diskussionen und auch Preisbewegungen am Silbermarkt geführt. Mit diesem Artikel soll die Bedeutung dieses ersten (angeblich) physisch hinterlegten Silber-ETFs für den Silbermarkt beleuchtet werden. Hat er wie von vielen Marktteilnehmern erwartet das Potenzial, den Silbermarkt zu revolutionieren und das Preisniveau ganz erheblich anzuheben? Mein vorab-Fazit dazu: "Ja!", ...


Dieses Fazit gilt trotz der im Prinzip berechtigten Einwände, dass...

Seit der ersten Ankündigung des Barclays Silber-ETF im Sommer 2005 sorgte er sowohl bei den Profis als auch in den Internetforen für hitzige Diskussionen: Alle Meinungen zwischen "großer Papiersilberbetrug" bis zu "Zündsatz für Explosion des Silbermarkts" wurden z.T. intensiv vertreten. Der Emittent selbst machte diese Diskussionen durch eine eher verwirrende Informationspolitik nicht eben leichter, erweckte aber stets den Eindruck, die Einlagegelder in den ETF würden vollständig und zeitnah in physischem Silber angelegt. Zielgruppe waren somit von Anfang an private und institutionelle Anleger mit dem klaren Wunsch, über dieses bequeme ETF-Vehikel physisches Silber zu erwerben. Wäre dieser Eindruck von Barclays nicht erweckt worden, hätte weder die Lobby der industriellen Silbernutzer (Silver Users Association, SUA) massive Proteste gegen die ETF-Genehmigung eingelegt, noch wäre der lange Genehmigungsprozess bei der SEC verständlich gewesen. Ein reines Papiersilber- bzw. Silbertrackingprodukt hätte den physischen Silbermarkt kaum tangiert und wäre inmitten der vielen Silberderivate und Silber-Futures kaum aufgefallen, bei denen von den Zeichnern fast nie physische Lieferung verlangt wird. Nur die in allen Pressemeldungen und auch auf der iShares-Homepage bis heute eindeutig suggerierte physische Hinterlegung des Silbers rechtfertigte Erwartungen einer Preisexplosion des Silbermarktes! Nach Durchführung einer näheren Analyse muss man diese Hinterlegung jedoch bezweifeln:

Wo stehen wir heute - fünf Monate nach Auflage des SLV? Man kann auf den ersten Blick nicht sagen, dass sich der Silberpreis seit April erheblich verändert hätte. Die Silberunze kostet heute mit knapp 12 Dollar sogar etwas weniger als damals. Wie ist das möglich - angesichts des Erfolgs des ETF, den man schlichtweg als phänomenal bezeichnen kann? Dazu ein paar Zahlen zur Einordnung:

Per September 2006 hielt der von der SEC für bis zu 130 Mio. Unzen (gut 4.000 Tonnen) Silber zugelassene SLV nach eigenen offiziellen Angaben bereits über 103 Mio. Unzen (3.214 Tonnen). Er war somit nach nur 5 Monaten zu fast 80% ausverkauft! Die Vollzeichnung dürfte aus heutiger Sicht noch 2006 erreicht werden!

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Falls die SEC dann eine Aufstockung über 130m Unzen hinaus genehmigen sollte, wird der ETF bis April 2007 in nur einem Jahr eine Silbernachfrage von fast 200m Unzen (6.000 Tonnen) Silber generiert und auf sich gezogen haben. Dieses Volumen alleine würde die Weltnachfrage nach Silber gegenüber 2005 (als diese noch zu 95% industriell getrieben war) von ca. 900 Mio Unzen aus um mehr als 20% steigern! Jederzeit denkbare Nachahmer-ETFs sind in dieser Rechnung noch nicht einmal berücksichtigt.

Warum also geht diese für jeden nachvollziehbare Entwicklung am Silberpreis derzeit noch fast spurlos vorüber?

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Es gibt eine Reihe möglicher Erklärungen, wobei auch mehrere davon zugleich richtig sein können.


1. Der physische Silbermarkt gibt die vom SLV benötigten 130 Millionen Unzen problemlos her.

Diese Möglichkeit kann man angesichts der vielfach belegten Enge des Marktes bei den o.g. Mengen ausschließen. Der kleine aber vergleichbar strukturierte "Central Fund of Canada" hat vor einiger Zeit nachweislich (nur) 8 Mio. Silberunzen physisch bezogen und hat dafür Monate benötigt.


2. Barclays kauft zeitnah immer nur "kleine" Mengen physisches Silber entsprechend den Netto-Neueinlagen in den SLV.

Diese Variante ist unwahrscheinlich, weil die derzeit benötigten etwa 3-5 Mio. Unzen pro Woche eben keine "kleinen Mengen" darstellen und daher sofort den Preis erheblich bewegen müssten! Zudem wäre sie kaufmännisch unklug und für den Silbermarkt und für Barclays untypisch weil geradezu revolutionär transparent... Zwar wird ein solches Vorgehen den Anlegern suggeriert (fast täglich veröffentlicht der SLV die aktuelle Zahl der "ounces in trust"). Die SLV-Bedingungen lassen jedoch -gut verklausuliert- zu, dass der SLV nicht sofort beim Eingang von Neueinlagen physisches Silber ankauft. Auch sind Papiersilber-Transaktionen (z.B. über Futures oder über angeblich mit physischem Silber hinterlegte Produkte dritter Anbieter) möglich und zulässig! Die veröffentlichten Silbermengen sind insofern eher als Silberäquivalent zu verstehen, d.h. als "physisches Silber und Silberforderungen", auch wenn das so klar nicht auf der Homepage des SLV steht. Dieses Vorgehen hat ein "Vorbild" in den Bilanzen der meisten Notenbanken, die -von der BIZ und vom IWF sanktioniert- diese beiden grundverschiedenen Positionen bei Gold ebenfalls in einer Bilanzposition ausweisen und nicht weiter erläutern!


3. Barclays hat die 130 Millionen Unzen über die offiziellen physischen Märkte bezogen - aber schon vor dem Start im April 2006.

Dies hat Barclays noch bis etwa Frühjahr 2006 suggeriert ("physische Unterlegung des ETFs mit derzeit über 100 Mio. Unzen" - Meldung durch "Godmode Trader" unter Berufung auf Barclays). Tatsächlich hatte Barclays zum Start des SLV dann jedoch lediglich 1,5 Mio. Unzen offiziell hinterlegt, was noch nicht einmal 1,5% der bereits heute gezeichneten SLV-Anteile entspricht. Es wäre auch kaum vorstellbar, dass eine physisch getrennte ("allocated") Einlagerung von über 100 Mio. Unzen in England unbemerkt hätte geschehen können. Daher ist eine solche "saubere" physische Hinterlegung nicht wahrscheinlich.


4. Barclays hat die 130 Millionen Unzen außerbörslich bezogen.

In der Tat hält sich am Markt hartnäckig das Gerücht, dass Barclays direkt oder wohl eher indirekt das ehemals Buffet´sche Silber angekauft hat. Warren Buffet hat dieses Silber (exakt 130 Mio. Unzen) vor 1998 gekauft und vor 2006 wieder verkauft. Die Identität dieser Menge (und sogar des Lagerorts London) mit dem genehmigten SLV-Volumen lässt diese Variante wahrscheinlich erscheinen. Selbstverständlich stellt sich in diesem Fall sofort die Frage, woher dann im Falle einer Aufstockung des SLV oder eines anderen neuen Silber-ETFs die Silbermengen zur Deckung kommen sollen! Ein zweiter Silber-Hort in der Buffet´schen Größe ist weltweit nicht bekannt.


5. Barclays hat sich die 130 Millionen Unzen über entsprechende Long-Positionierungen am Silber-Futures-Markt seit Herbst 2005 bis zum SLV-Start im April 2006 gesichert.

Diese Variante ist durchaus denkbar. Falls es so gewesen sein sollte, kann man feststellen, dass alleine diese "Papiersilber"-Transaktionen den Silberpreis von etwa 9 Dollar/Unze bis auf 14 Dollar/Unze um mehr als 50% nach oben getrieben haben! Auch hier kann man die Frage stellen, was eine Aufstockung des SLV über 130 Mio. Unzen hinaus bewirken würde oder gar, was geschehen würde, wenn der SLV -statt die Future-Positionen immer wieder zu prolongieren- von seinen Future-Gegenparteien nun tatsächlich Lieferung verlangen würde. Ähnlich wie am Nickelmarkt der LME im August 2006 geschehen, müsste die Comex dann wohl den sofortigen "Default" (kurzzeitige Aufhebung der Lieferverpflichtungen) im Silbermarkt verfügen - um danach eben doch die unvermeidliche Preisexplosion zuzulassen!


6. Parallel zu preistreibenden physischen Käufen wird der Markt durch Gegentransaktionen tief gehalten.

Diese Variante macht zwar aus Sicht der SLV-Anleger keinen Sinn. Durchaus jedoch für eine Barclays, die ebenso wie andere US-Großbanken schon in der Vergangenheit durch fortgesetzte Short-Manipulationen der Edelmetallmärkte aufgefallen ist: Barclays war im Zusammenspiel mit Notenbanken und anderen Bullion Banken jahrelang im Goldleihe-Geschäft involviert. Auch das berüchtigte "Hedging" (Gold-Vorausverkäufe) großer Goldminengesellschaften wurde durch Barclays mitbetrieben - immer mit dem Ziel der fortgesetzten Goldpreisdrückung oder auch nur zur Generierung von Zins- oder Gebührenerträgen. Wer eine solche Vergangenheit hat, dem darf man ohne weiteres das preisdrückende Verleihen physischer SLV-Silberbestände oder auch Short-Spekulationen mit SLV-Anlagegeldern zutrauen! Beides wäre natürlich völlig unseriös gegenüber den SLV-Kunden und entgegen dem Geist eines auf steigende Silberpreise setzenden Silber-ETFs. Beides ist jedoch gemäß dem von der SEC genehmigten SLV-Regelwerk nicht verboten und damit zulässig!


7. Barclays leiht sich in London lagernde Silberbarren befreundeter Banken oder "kauft" sie auf, obwohl sie bereits einen anderen Eigentümer haben.

Solche "preisneutralen" Mehrfachkäufe oder Mehrfachleihen von Edelmetallbarren sind mangels unabhängiger Audits bei den großen Lagerstellen zwar nicht beweisbar - aber durchaus wahrscheinlich. Ausschließen könnte man dies nur bei unabhängig überwachter, von Fremdbeständen komplett getrennter physischer Lagerung der SLV-Barren (sog. "allocated silver"). Das SLV-Regelwerk lässt aber "unallocated silver" explizit zu. Da immer weniger physisches Silber bei den großen Notenbanken der Welt lagert, dürfte jedoch die praktische Bedeutung dieser Mehrfachverkäufe derzeit sinken.





Welche dieser Erklärungen sind nun wahrscheinlich? Es spricht einiges dafür, dass eine oder mehrere der vier letzten Varianten zutreffen, ohne dass man es abschließend beweisen könnte. Jedenfalls würde dies die Auffälligkeiten des Silbermarktes 2006 erklären:


Zwischenfazit: Dieser SLV ist (jedenfalls bis heute) ein Anlegerbetrug und ein Skandal: Die große Mehrzahl der (vor allem US-amerikanischen) Anleger wollten nachweislich in physisches Silber investieren. So wurde er beworben und nur so konnte und kann er so erfolgreich sein! Offenbar ist er jedoch derzeit nur ein ganz gewöhnlicher Indextrackerfonds. Falls er (teilweise - oder im Buffetsilber-Fall sogar komplett) doch mit physischem Silber hinterlegt sein sollte, muss man feststellen, dass dieses Silber ohne weiteres zur Preisdrückung zweckentfremdet werden könnte. Aus Sicht der an niedrigen Silberpreisen interessierten Parteien (Notenbanken, Politiker, Bullion Banken) ist der SLV jedoch ein großer Erfolg: Bis heute wurden über 1,2 Mrd. Dollar, die für ein Investment in den physischen Silbermarkt vorgesehen waren, von diesem erfolgreich abgelenkt in die bunte Welt des Papiergelds und Papiersilbers! Hat der ETF dennoch eine Bedeutung? Ja - eine große sogar:


Signalwirkung des ETF: Silber ist auch ein Anlagemetall!

Sobald sich -was zwangsläufig geschehen wird- im Laufe der Zeit herumspricht, dass dieser ETF lediglich ein Papiersilbervehikel ist, werden die Anleger in Massen umschichten zugunsten dann mit Sicherheit entstandener anderer ETFs, die glaubhaft und ohne Hintertür in physisches Silber investieren! Der Barclays ETF hat der Welt gezeigt, welche riesigen Volumina an Anlagegeldern für physisches Silber vorhanden sind und kurzfristig mobilisiert werden können! Das ist eine völlig neue Erkenntnis für einen Markt, dessen Nachfrage bislang zu 95% industriell getrieben war. Bis 2003 war das weltweite Netto-Investment in physischem Silber zu Anlagezwecken praktisch Null. 2004 gab es mit knapp 40 Mio. bzw. 2005 mit knapp 50 Mio Unzen erstmals messbares Investitionsinteresse außerhalb der Schmuckindustrie. Die 50 Mio Unzen entsprachen etwa 5% der Gesamtnachfrage nach physischem Silber und damit einem Anlagevolumen von etwa 330 Mio Dollar. Und 2006 schafft es dieser ETF alleine, diesen Wert von 2005 mindestens zu vervierfachen!

Wenn die für Silber allokierten Gelder der großen institutionellen Investoren in echte Silber-ETFs fließen werden (und das Buffet-Silber dann nicht mehr für weitere ETFs zur Verfügung steht), wird ab 2007 bereits über 20% der physischen Silbernachfrage aus dem Anlagebereich kommen. Silber wird dann nicht mehr ausschließlich als Industriemetall angesehen werden können. Die Albträume der Silbernutzer-Lobby und der Silber-Shortseller könnten Wirklichkeit werden, denn ein Nachfrageschub von über 20% müsste den Silberpreis explodieren lassen. Ab einem bestimmten Knappheitspunkt diktiert nicht mehr (wie heute) der Silber-Futures-Markt den Spotpreis, sondern umgekehrt! Die Minenförderung könnte niemals mit der Zusatznachfrage Schritt halten, und wahrscheinlich wird noch nicht einmal die Schmucknachfrage mit steigenden Preisen einbrechen: Steigende Edelmetallpreise haben nämlich traditionell die Eigenheit, dass sie die Nachfrage nach Anlage-Edelmetall (inklusive Schmuck) nicht bremsen, sondern sogar noch fördern (Spekulationseffekt)! Auch bei den meisten anderen industriellen Anwendungen von Silber ist vorläufig noch keine starke Substitution durch andere, billigere Metalle zu erwarten - dafür sind die physikalischen Eigenschaften von Silber zu einmalig und der Silber-Verbrauch pro produziertem Gut meist zu gering.

Silber wird sich nach Jahrzehnten vom reinen Industriemetall wieder zum Anlagemetall entwickeln. Das ist die Botschaft des ETF und diese Signalwirkung ist wichtiger als das vielleicht oder auch nicht gehortete physische Material des SLV! Und wer weiß - vielleicht erleben wir auch gerade die Renaissance von Silber als Geld! Wenn es erst ausreichend teuer ist, wird es (ähnlich wie Gold) irgendwann eben doch substituiert und dann kaum mehr industriell verbraucht. Eine offizielle Remonetisierung wurde bereits versucht (z.B. jüngst in Mexiko - dort allerdings nochmals verhindert), und historisch wäre Silbergeld keineswegs ungewöhnlich.


© Peter Boehringer (Stand: 09/2006)
www.pbvv.de



Dieser Beitrag wurde im "Edelmetall- und Rohstoff-Magazin 2006-07", dem Begleitheft der "Internationalen Edelmetall- & Rohstoffmesse" 2006 publiziert. Neben vielen weiteren Beiträgen von über 40 Autoren werden zudem über 50 Minengesellschaften auf je einer DIN-A4 Seite vorgestellt. Das Magazin ist für 16,90 € über den Goldseiten-Buchshop erhältlich.