Kein Silberstreif am Horizont
15.03.2018 | Kelsey Williams
So falsch die Kommentatoren mit ihren Prognosen zur Entwicklung des Goldpreises auch oft liegen - bei Silber ist es noch schlimmer. Hier eine Auswahl der Ankündigungen, die in den Überschriften der Finanzmedien in letzter Zeit hinausposaunt wurden:
- "Sprunghafter Anstieg der Silberpreise zu erwarten"
- "Silber: Die Ursachen der künftigen Preisexplosion"
- "Warum Sie Silber besitzen müssen"
Meine Lieblingsüberschrift war allerdings: "Was läuft nur falsch am Silbermarkt?" Das verleiht all den Emotionen und der Verwirrung der Silberanleger angemessen Ausdruck. Doch vielleicht wäre es besser zu fragen: "Was läuft richtig am Silbermarkt?" Was genau macht das weiße Metall in den Augen so vieler Investoren und Finanzberater denn eigentlich so besonders?
Es gibt natürlich verschiedene Faktoren und Gegebenheiten, auf die gern hingewiesen wird, um die Behauptung zu stützen, dass der Silberpreis stark steigen wird. Ein Argument ist beispielsweise die Anhäufung eines riesigen, physischen Silbervorrats durch die Großbank JP Morgan Chase. Das allein bedeutet aber noch lange nicht, dass dem Silberpreis nach oben keine Grenzen gesetzt sind.
Verschiedene Marktbeobachter schlussfolgern, dass die Silberkäufe von JP Morgan bullisch für Silber sind. Auch Vergleiche zwischen den Aktivitäten der Bank und dem Verhalten der Brüder Hunt, die in den späten 1970er Jahren versuchten, den Silbermarkt zu cornern, wurden bereits gezogen. Aber die Bemühungen von Nelson Bunker Hunt und William Herbert Hunt waren letztlich nicht von Erfolg gekrönt.
Obwohl der Silberpreis damals in die Höhe schoss (definitiv nicht nur aufgrund der Käufe der beiden Brüder), stürzte er kurz darauf genauso schnell wieder ab. In nur vier Monaten, zwischen dem 18. Januar 1980 und dem 22. Mai 1980, fiel der Silberkurs von 49,45 $ je Unze auf 10,89 $. Das war jedoch noch nicht das Ende des Abwärtstrends. Erst zwölf Jahre später, im Dezember 1992, erreichte Silber bei 3,67 $ je Unze sein endgültiges Tief.
Man sollte sich zudem bewusst machen, dass beim Anstieg des Silberpreises von 1,33 $ im November 1971 auf sein Allzeithoch von 49,45 $ im Januar 1980 verschiedene Faktoren zusammenspielten. Die Spekulationen, die auf die umfangreichen Silberkäufe der Brüder Hunt folgten, gossen nur zusätzlich Öl ins Feuer und trieben die Situation wahrscheinlich so weit auf die Spitze, dass der Kurs jedes vernünftige Niveau überschritt, das zur damaligen Zeit noch zu rechtfertigen gewesen wäre. Folglich war auch der anschließende Preissturz viel heftiger als am Goldmarkt.
Welche Intentionen verfolgt JP Morgan überhaupt mit dem gehorteten Silbervorrat? Will die Bank den Markt cornern? Den Kurs nach oben treiben und das Silber dann mit enormen Gewinn verkaufen?
Nach dem Anlegen umfangreicher physischer Bestände steht der Käufer typischerweise vor einem großen Problem: Wann und wie lässt sich der Besitz wieder veräußern, um einen gigantischen Profit zu erzielen - ohne dabei für ein Überangebot am Markt zu sorgen? Fragen Sie die Brüder Hunt. Diesen fiel es schwer, ihre Bestände überhaupt zu irgendeinem Preis verkaufen, auch ohne riesige Gewinne.
Doch was, wenn JP Morgan ganz andere Ziele verfolgt? Was, wenn die Bank den Marktpreis für Silber dauerhaft nach unten drücken will? Nicht jeder hat ein Interesse an steigenden Preisen.
Die obenstehenden Absätze mögen die Fantasie beflügeln und auf Verschwörungen und groß angelegte Marktmanipulationen hindeuten, oder vorhandene Hinweise auf solche Machenschaften scheinbar stützen. Doch lassen Sie sich davon nicht zu vorschnellen Schlüssen verleiten! Ich möchte nur Fragen aufwerfen, die normalerweise von denjenigen, die überall fundamentale Gründe für bullische Preiserwartungen sehen, nicht gestellt werden.
Ein weiterer häufig genannter, positiver Preisfaktor ist die Korrelation zwischen Silber und Gold. Optimistische Prognosen für den Goldpreis führen oft zu noch wilderen Spekulationen über steigende Silberpreise, die meist auf dem Gold/Silber-Verhältnis basieren.
Im Coinage Act von 1792 wählte die US-Regierung für die Preise von Gold und Silber ein willkürliches Verhältnis von 16:1. Der Goldpreis wurde bei 20,67 $ je Unze fixiert, der Silberpreis bei 1,29 $ je Unze. Aus Gründen der Einheitlichkeit und Beständigkeit innerhalb des herrschenden Währungssystems war ein festes Verhältnis durchaus sinnvoll. Allerdings lag der verwendete Silberpreis von 1,29 $ je Unze deutlich über dem damaligen Marktpreis.
1859 wurde in Virginia City, Nevada, die Comstock Lode entdeckt. Dabei handelte es sich um die größte Silberader der Welt. Die schier unglaubliche Menge des neuen Silberangebots führte in der Folge zu einer langen Periode, in der die Marktpreise verglichen mit dem offiziellen Preis extrem niedrig waren. Fast 70 Jahre lang kaufte die Regierung alles überschüssige Silber zum offiziellen Kurs von 1,29 $, doch der Marktpreis sank bis auf 0,25 $ im Jahr 1932.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die 1960er Jahre hinein die Verwendung des weißen Metalls in der Industrie zunahm, wechselte die Regierung ihre Rolle und begann ihre Bestände zu verkaufen, um einen Preisanstieg zu verhindern. Da der Staat in den vorangegangenen sieben Jahrzehnten fast 2 Milliarden Unzen gehortet hatte, war er nun in einer hervorragenden Lage dafür.
Als sich der Silberkurs dennoch dem offiziellen Preis von 1,29 $ annäherte und drohte, noch weiter zu klettern, sah sich die Regierung mit einem Problem konfrontiert: Der Wert des Silbers überstieg den Nennwert der in Umlauf befindlichen Silbermünzen. Auch das Prägen der Münzen verursachte nun höhere Kosten als das Geld anschließend wert war. Das war einer der entscheidenden Gründe, die die US-Regierung dazu bewogen, nach 1964 kein Münzgeld mit einem Silbergehalt von 90% mehr herauszugeben.
Silber war in den Vereinigten Staaten mehr als 170 Jahre lang das wichtigste Metall zur Herstellung von Münzgeld. Und die Regierung tat während dieser Zeit ihr Bestes, um das offizielle Gold/Silber-Verhältnis von 16:1 und den offiziellen Silberpreis von 1,29 $ je Unze zu garantieren. Doch die Geschichte des Edelmetalls ist in dieser Zeit durch permanentes Stützen und Drücken der Preise gekennzeichnet. Es gibt keine substantiellen, fundamentalen Gründe für ein Verhältnis von 16:1 zwischen Silber und Gold.
Unter dem diesem Link finden Sie einen Chart, der die Entwicklung des Gold/Silber-Verhältnisses in den letzten 100 Jahren zeigt. Er weist keinerlei Muster auf, mit denen sich eine Argumentation für ein Verhältnis von 16:1 - oder jedes andere feste Verhältnis - stützen ließe.
Investoren, die darauf wetten, dass sich der Silberkurs künftig besser entwickeln wird als der Goldkurs, sind davon abhängig, dass das Gold/Silber-Verhältnis wieder sinkt. Doch wenn sich aus dem Chart überhaupt etwas ablesen lässt, dann eher das Gegenteil. In den letzten 50 Jahren lag das Verhältnis oberhalb einer steigenden Trendlinie und befindet sich nun schon seit Langem auf einem deutlich höheren Niveau.
Abgesehen von der Debatte um das Verhältnis von 16:1 besteht angeblich eine enge Beziehung zwischen den beiden Edelmetallen. Das ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Sowohl Gold als auch Silber können auf eine lange Geschichte als Währungsmetalle zurückblicken, wobei sie oft unabhängig voneinander, oft aber auch gleichzeitig als Geld dienten. Beispiele sind u. a. die silbernen Drachmen im alten Griechenland, die Silbermünzen und Gold als wichtigste Währungseinheit im alten Rom, das silberne Pfund Sterling zur Zeit des British Empire und die US-Währung, die sowohl an Silber als auch an Gold gekoppelt war.
Die Verbindung zwischen Gold und Silber ist allerdings begrenzt. Einfach gesagt: Gold ist das einzige echte Geld. Es ist ein Tauschmittel, ein Wertmaßstab und ein Vermögensspeicher. Silber ist dagegen in erster Linie ein Industriemetall. Seine Verwendung als Geld ist zweitrangig. Zudem ist Silber kein Vermögensspeicher.
Nachdem Präsident Nixon 1971 die letzte Verbindung zwischen dem US-Dollar und Gold gekappt hatte, konnten sich beide Edelmetalle ihr jeweiliges Preisniveau auf Grundlage der Marktsituation suchen. Sie bekamen sozusagen die Gelegenheit zu zeigen, was in ihnen steckt, und sie enttäuschten nicht - zumindest nicht gleich. Als der Edelmetallmarkt mit den Blow-Off-Tops der Gold- und Silberpreise 1980 seinen Höhepunkte erreichte, kehrte auch das Gold/Silber-Verhältnis kurzzeitig zu seinem vielgepriesenen Wert von 16:1 zurück. Doch danach stieg es rasend schnell auf höhere Werte als zuvor und erreichte 1993 schließlich ein Allzeithoch von 100:1.
In absoluten Werten konnte Silber nicht beweisen, dass es die Bezeichnung "Geld" verdient, denn in den letzten 50 Jahren hat es an Wert verloren. Deutlich zu erkennen ist das in diesem inflationsbereinigten Chart. Nach dem gleichzeitigen Hoch im Januar 1980 hat Gold 58% zugelegt, während Silber 66% gefallen ist.
Um unter Einbeziehung des Wertverlustes des US-Dollars eine ähnliche Preisentwicklung widerzuspiegeln wie Gold, müsste Silber derzeit bei 77 $ je Unze notieren. Offensichtlich ist das weiße Metall davon weit entfernt. Nicht einmal bei seiner Annäherung an die 50-$-Marke vor sieben Jahren kam der Kurs auch nur in die Nähe dieses Niveaus.
Manch einer wird nun argumentieren, dass genau das der Grund für die künftige Preisexplosion ist; dass Silber gegenüber Gold fälschlicherweise vorübergehend unterbewertet ist. Leider bietet die Geschichte der letzten 250 Jahre keine Hinweise, die dieses Argument der Silberbullen bestätigen würden.
Fans des weißen Metalls betonen zudem gern das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Silbermarkt. Doch auch das war schon immer Teil der Geschichte des Edelmetalls und hatte zeitweise sogar negative Folgen für den Preis, wenn das Angebot die Nachfrage überstieg. Bestes Beispiel dafür sind die 70 Jahre nach der Entdeckung der Comstock Lode, als die Welt kaum wusste, wohin mit all dem Silber.
In den späten 1960ern und Anfang der 1970er trugen der erhöhte Verbrauch und die unzureichenden Fördermengen dann zum Anstieg des Silberpreises bei. Alles in allem lässt sich jedoch feststellen: Nach Jahrzehnten der "fundamentalen" Gründe und der Angebotsdefizite, hat Silber noch immer keine Anzeichen dafür gezeigt, dass es einer Neubewertung bedarf, um vergangene oder aktuelle Ungleichgewichte zwischen Bedarf und Produktion auszubalancieren.
Eine weitere Preisexplosion am Silbermarkt ist keineswegs auszuschließen. Doch sollte es dazu kommen, werden die hohen Preise nur von kurzer Dauer sein. Der anschließende Einbruch des Kurses wird mit Sicherheit ebenso heftig ausfallen wie bei vergleichbaren früheren Episoden - oder schlimmer.
Historisch betrachtet spricht sowohl kurzfristig als auch langfristig nicht viel für höhere Silberpreise. Und die Argumente werden im Laufe der Zeit immer schwächer.
© Kelsey Williams
Der Artikel wurde am 13. Februar 2018 auf www.kelseywilliamsgold.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.