Gold: Preis fällt unter Wert
20.08.2018 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Einiges deutet darauf hin, dass auf den Finanzmärkten die Systemrisiken unterschätzt und der US-Dollar als “sicherer Hafen” überbewertet wird. Der aktuelle Preis des Goldes dürfte mittlerweile merklich unter seinem Wert liegen.
Kundige Investoren wissen: Es gibt einen Unterschied zwischen Preis und Wert. Der Preis steht für das Geld, das man zahlen muss, um zum Beispiel eine Aktie, Anleihe oder eine Feinunze Gold zu kaufen. Der Wert ist das, was man für sein Geld bekommt. Für Aktien und Anleihen lässt sich der Wert im Prinzip mit einer Formel errechnen, und zwar als Barwert der künftig zu erwartenden Zahlungen. Bei Edelmetallen ist das nicht so einfach, beziehungsweise für sie gibt es keine einfache Bewertungsformel.
Die Märkte sind im Regelfall allerdings recht gut in der Lage, Preis und Wert in Einklang zu bringen. Aber es gibt auch immer wieder Phasen, in denen Preis und Wert auseinanderfallen. Wenn zum Beispiel Investoren ihrer Gefühlslage nachgeben, wenn sie euphorisch oder panisch reagieren, kommt es häufig zu Über- oder Untertreibungen bei den Marktpreisen: Die Preise übersteigen oder unterschreiten dann den Wert der gehandelten Güter. Das sind Phasen, in denen der aufmerksame Investor fündig wird.
Denn für den Anlageerfolg ist es wichtig, dass man zu einem Preis kauft, der unter dem Wert liegt. Wenn man zum Beispiel in einer "Panikphase" eine Aktie für 50 Euro an der Börse kaufen kann, die 100 Euro wert ist - und man davon ausgehen kann, dass der Preis über kurz oder lang auf 100 Euro steigt -, trägt das natürlich dazu bei, die Investitionsrendite zu erhöhen. Gleiche Überlegungen sind für die “Währung Gold” anzustellen.
Es gibt Phasen, in denen Aktien überteuert sind - ihr Preis also ihren Wert übersteigt -, und es besser ist, Kasse, also Geld, zu halten. Gleichermaßen kann eine Währung überteuert oder unterbewertet sein gegenüber anderen Währungen. Beispielsweise kann der Goldpreis in US-Dollar oder Euro gerechnet zu stark steigen oder zu stark fallen - und das Gold ist dann über- oder unterbewertet. Allerdings ist es nicht ganz so leicht, den Wert des Goldes zu bestimmen - und ihn muss man mit hinreichender Genauigkeit kennen, um sinnvolle Anlageentscheidungen treffen zu können.
US-Dollar-Nachfrage
Am 12. August 2018 rutschte der Goldpreis unter 1.200 US-Dollar pro Feinunze. In einem Umfeld, in der die Währungen vieler aufstrebender Volkswirtschaften - ausgelöst durch die Währungskrise der türkischen Lira - stark gegenüber den großen Währungen US-Dollar, Euro und japanischer Yen abgewertet haben. Die Sorge, dass viele der aufstrebenden Volkswirtschaften ihre hohe Verschuldung in Fremdwährung nicht der mehr stemmen können, hat Kapitalflucht ausgelöst: Die Währungen dieser Länder wurden verkauft, und vor allem der US-Dollar wurde verstärkt nachgefragt.
Der US-Dollar ist aus Sicht vieler Investoren aktuell der “sichere Hafen”. Dieser Status wird sicherlich dadurch befördert, dass der Investor hier einen Zins bekommt: Die Rendite für beispielsweise 2-jährige US-Staatsschuldpapiere liegt derzeit bei etwa 2,6 Prozent. So verständlich jedoch der “Herdentrieb”, der die Investoren in den US-Dollar umschichten lässt, auch ist: Es gerät hier aus dem Blick, dass die Flucht in den US-Dollar eine problematische Abwärtsspirale für die internationale Kredit- und Geldarchitektur in Gang setzt.
Der US-Dollar ist die international nach wie vor unangefochtene Leitwährung für Anlage-, Finanzierungs- und Transaktionszwecke. Vor allem die letzten Jahre der extrem niedrigen US-Zinsen haben viele internationale Schuldner veranlasst, verstärkt Kredite in US-Dollar aufzunehmen. Die Abwertung der Schuldnerwährungen gegenüber dem US-Dollar hat daher besonders dramatische Konsequenzen: Die Refinanzierung der Kredite verteuert sich, insbesondere die laufenden Zinszahlungen, die die Kreditgeber nun fordern, steigen in die Höhe.
Die Konsequenzen sind absehbar: Der Konjunkturaufschwung, finanziert mit üppigen und billigen US-Dollar-Krediten, kommt zum Ende. Das wiederum belastet die Konjunkturen in den entwickelten Volkswirtschaften. Es setzt die Banken, die internationale Kredite vergeben haben, unter Druck. Kurzum: Die US-Geldpolitik, wenn sie die Zinsen weiter anhebt, treibt die aufstrebenden Volkswirtschaften, die von US-Dollar-Kredite abhängen, in den Ruin - und dadurch würde natürlich auch der US-Aufschwung in schwieriges Fahrwasser geraten.
Die internationale Bedeutung des US-Dollar und die weltweite Verflechtung in Form von Handels- und Finanzströmen dürften mittlerweile so gewichtig geworden sein, dass die Fed keine Geldpolitik allein mehr für Amerika betreiben kann, sondern sie muss eine Geldpolitik für die Welt verfolgen, damit es zu keiner “Selbstschädigung” kommt. Konkret bedeutet das: Das internationale Finanzsystem muss weiter mit US-Dollar-Krediten versorgt werden, die US-Dollar-Zinsen dürften nicht zu stark ansteigen. Der US-Zinspolitik sind daher - mehr denn je - Grenzen gesetzt.
US-Dollar versus Gold
Wenn auf den Finanzmärkten sich die Einsicht durchsetzt, dass die US-Dollar-Geldmenge weiter ausgeweitet werden muss, und dass auch die US-Zinsen nicht weiter steigen können, damit nicht eine neue weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise losgetreten wird, dann wird vermutlich auch der Reservestatus des Greenback überdacht: Der US-Dollar ist letztlich ja auch nur eine ungedeckte Papierwährung, die nach politischem Kalkül vermehrt wird und die daher in letzter Konsequenz kein verlässlicher Wertspeicher ist.
Auf den Finanzmärkten herrscht allerdings bislang weiter große Zuversicht, dass die Zentralbanken das Wirtschafts- und Finanzsystem vor einer erneuten Krise bewahren werden, dass es keine systemgefährdenden Zahlungsausfälle von Staaten und Banken geben wird. In der Tat haben die Zentralbanken den Finanzmarktakteuren durch ihre Politik in den letzten Jahren signalisiert, dass sie ein “Sicherheitsnetz” unter die Märkte gespannt haben. Das hat die Kreditausfallsorgen der Investoren vertrieben, und sie gehen bereitwillig wieder risikoreiche Investitionen ein.
Gleichzeitig scheinen die absehbaren Folgen einer solchen Geldpolitik - die Herabsetzung der Kaufkraft des Geldes - nicht zu besorgen: Die Inflationserwartungen auf den Finanzmärkten sind nach wie vor recht gezähmt. Beides zusammen - eingeschläferte Kreditausfallsorgen und ausbleibende Inflationssorgen - dürften maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Goldpreis merklich nachgegeben hat. Doch es gibt gut Gründe zu vermuten, dass lediglich der Preis, nicht aber der Wert des Goldes zurückgegangen ist.
Gold als Währung
Die Probleme in der internationalen Kredit- und Geldarchitektur sind in den letzten Jahren nicht kleiner geworden. Auch nach der Krise 2008/2009 sorgen die Zentralbanken dafür, dass neues Geld per Kredit in Umlauf gebracht wird, dass die Verschuldung der Volkswirtschaften immer weiter ansteigt. Das hat zwar in den letzten Jahren die Konjunkturen beflügelt, Produktion und Beschäftigung weltweit ansteigen lassen. Aber dass das immer so weitergehen wird, ist aus ökonomischer Sicht recht unwahrscheinlich.
Das Geldmengenvermehren durch Kreditvergabe und das Heruntermanipulieren des Zinses sorgen für Ungleichgewichte in den Volkswirtschaften, und wenn sie sich zeigen, wird versucht, sie mit noch mehr Kredit- und Geldmengenvermehrung und noch niedrigeren Zinsen aus der Welt zu schaffen. Das weltweite ungedeckte Geldsystem ist im Grunde auf Krediten aufgebaut, die sich mit stabilem Geld nicht mehr zurückzahlen lassen. Damit der Schwindel nicht auffliegt, braucht es künstlich niedrig gehaltene Zinsen und inflationäres Geld.
Gold hat zwei Eigenschaften, die es zu einer verlässlichen Währungen machen: Die Kaufkraft des Goldes kann durch die Politik der Zentralbanken nicht herabgesetzt werden, und es ist auch keinem Zahlungsausfallrisiko ausgesetzt wie zum Beispiel Bankeinlagen. Es gibt daher gute Gründe zu vermuten, dass der Rückgang des Goldpreises in den letzten Tagen zu einer Situation geführt hat, in der der Preis des gelben Metalls unter seinem Wert liegt: Die Investoren scheinen den Risiken im internationalen Kredit- und Geldsystem wenig Aufmerksamkeit zu schenken und den Wert des Goldes zu unterschätzen.
Einige Gedanken über den "fairen Wert" des Goldes
Wie im obenstehenden Text angeführt, lässt sich beim Gold und Silber kein einfaches Bewertungsmodell heranziehen, um (zumindest innerhalb gewisser Bandbreiten) deren Wert im Sinne eines "fairen" Preises zu ermitteln. So gesehen ist die "Bewertungsfrage" bei Gold und Silber prinzipiell weitaus schwieriger zu lösen als bei zum Beispiel Aktien oder Anleihen. Um einer Lösung für das Bewertungsproblem nahezukommen, untersuchen wir regelmäßig den Zusammenhang des Goldpreises mit makro-ökonomischen Variablen, und zwar über lange Zeiträume.

(1) Periode: Januar 1972 bis Juli 2018. Erklärende Variablen: USGeldmenge, US-Realzins (kurzlaufend) und Kreditaufschlag. Graue Fläche: Standardfehler
Auf Basis dieses Ansatzes zeigt sich derzeit, dass der "fundamental" geschätzte Goldpreis deutlich über dem aktuellen Goldpreis von 1.175 USD/oz liegt. Das signalisiert zunächst einmal, dass das Gold relativ günstig ist - denn es ist ja zu erwarten, dass der tatsächliche Goldpreis sich früher oder später auf den geschätzten Goldpreis hinbewegt. Doch es ist die Frage zu stellen: Ist der Schätzwert hinreichend stabil? Könnte es sein, dass zwischen dem Goldpreis und den ihn erklärenden Größen ein "Bruch" aufgetreten ist? Das ist prinzipiell möglich. Denn ein Zusammenhang, der in der Vergangenheit gegolten hat, muss nicht notwendigerweise auch in der Zukunft halten.
Es kann beispielsweise sein, dass neue erklärende Faktoren, die in der Schätzung nicht berücksichtigt werden konnten, die alten überlagern und damit der geschätzte Goldpreis "fehlerhaft" wird.

Graue Fläche: Tatsächlicher Goldpreis liegt unter dem geschätzten Preis
Allerdings gibt es eine Reihe von Gründen, die den Befund, dass der Goldpreis mittlerweile merklich unter dem geschätzten Preis - also unter seinem Wert - handelt, stützen. Die wichtigsten von ihnen werden im nebenstehenden Aufsatz behandelt. Sie repräsentieren gute Gründe dafür, dass das Gold derzeit merklich "unterbewertet" ist in US-Dollar, aber auch in Euro. Nun kann man jedoch nicht mit hinreichender Gewissheit sagen, wann sich der Goldpreis seinem "fairen Wert" annähert.
Für den Goldhalter bedeutet das: Wer Gold zu Jahresbeginn gekauft hat, verzeichnet einen Buchverlust. Zu bedenken ist dabei jedoch: Gold hat nun ein erhebliches Aufwertungspotential, das nach dem Kursrutsch, der etwa im Mai 2018 eingesetzt hat, noch größer ist als noch vor dem Preisrückgang.
Es mag an dieser Stelle zudem hilfreich sein, sich die Rolle des Goldes im Portfolio des Anlegers vor Augen zu führen: Gold ist eine Währung und steht damit in Konkurrenz mit anderen (ungedeckten) Währungen wie US-Dollar oder Euro, sein direkter Wettbewerber sind nicht die Aktien oder Häuser. Und anders als die ungedeckten Währungen eröffnet das Halten von Gold langfristig die Chance, keine dauerhaften Kaufkraftverluste zu erleiden.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH