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Wohin sind all die Silbermünzen verschwunden?

04.05.2019  |  John Paul Koning

Früher wurden Münzen mit geringem Nennwert aus Silber gefertigt. Der US-amerikanische Vierteldollar bestand beispielsweise einst aus 90% Silber. Jede Münze bestand also aus 5,6 Gramm des Edelmetalls. Doch im Jahr 1965 stoppte die U.S. Mint die Ausgabe von Münzen mit Silbergehalt. Heutzutage bestehen Vierteldollar größtenteils aus Kupfer und etwas Nickel.

Im Vereinigten Königreich bestanden die Münzen bis 1920 aus 92,5% Silber und danach nur noch aus 50% Silber. Heutzutage findet man in den Münzen, die von der Royal Mint in Zirkulation gegeben werden, jedoch keine Spur mehr von diesem Edelmetall.

Warum reduzierte man den Silbergehalt der Münzen solange, bis sie keine Spur dieses Metalls mehr enthielten? Grund dafür ist der technologische Fortschritt. Die Menschen haben herausgefunden, dass das Geldsystem effizienter funktioniert, wenn man die Stückelungen, die ursprünglich von Silbermünzen repräsentiert wurden, durch Münzen ersetzte, die Basismetalle wie Kupfer und Nickel beinhalteten. In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie "silberlose" Münzen das Geldsystem verbessert haben. Doch zuerst müssen wir 200 Jahre zurückgehen, in die frühen 1800er Jahre.


Die große Neuprägung von 1816

Zu Beginn dieses Artikels habe ich einige bekannte Münzen des 20. Jahrhunderts genannt, deren Silbergehalt reduziert wurde. Doch schon vorher gab es eine Reihe an derartigen Reduzierungen. Die Rolle des Silbers als Münze wurde erstmals in den frühen 1800er Jahren in Großbritannien beschnitten. Im Jahr 1816, als der Coinage Act verabschiedet wurde, verkündete das Parlament, dass die Royal Mint fortan das Gewicht - und damit den Silbergehalt - des britischen Silbermünzgeldes reduzieren würde. Shilling, Crown und Half-Crown waren ebenfalls betroffen.

Das war eine große Sache! Mehrere Jahrhunderte hatte die Royal Mint garantiert, dass jeder neu geprägte Shilling etwa 5,6 Gramm Silber beinhalten würde. Mit dem Jahr 1817 endete diese Tradition schließlich. Der Silbergehalt dieser neu geprägten Shilling wurde um 6% auf etwa 5,2 Gramm reduziert.

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Crown (¼ Pfund) aus dem Jahr 1818 mit St. George & Drache


Auch wenn die britischen Münzen nun 0,33 Gramm weniger Silber beinhalteten, so verkündete das Parlament, dass sie noch immer den gleichen Wert besitzen würden. Ein neuer Shilling - wenn auch leichter als ein alter - war also noch immer ein Zwanzigstel so viel wert wie eine 1-Pfund-Goldmünze. So wie es schon Jahrzehnte der Fall gewesen war. Der Coinage Act änderte nichts für den alltäglichen britischen Münznutzer. Sie konnten mit ihren Shilling noch immer genauso viele Lebensmittel, Bier und Kleidung kaufen wie zuvor.


Scheide- vs. Kurantmünze

Die Proklamation des Parlaments reduzierte nicht nur den Silbergehalt des britischen Münzgeldes, sondern veränderte das gesamte Wesen der britischen Münzen. Silbermünzen, die von der Prägestätte ausgegeben wurden, waren schon immer "Kurantmünzen." Das bedeutet, dass ein Shilling zum Zeitpunkt seiner Prägung Silber im Wert genau eines Shilling beinhaltete. Der Marktwert eines neuen Shilling entsprach also dem Marktwert des Metalls, aus dem er bestand. Doch nach 1816 galten die Silbermünzen Englands nicht länger als Kurantmünzen, sondern fungierten als "Scheidemünzen."

Eine Scheidemünze ist mehr wert als der Marktwert des Metalls, aus dem sie besteht. Beispielsweise konnte man mit einem Shilling, der nach 1816 geprägt wurde - der etwa 5,2 Gramm Silber enthielt - etwa 5,5 Gramm Silber erwerben. (Der Marktpreis 1817 lag bei etwas mehr als 5 Shilling/Unzen Standardsilbers, oder 0,16 Shilling je Gramm). In anderen Worten: Ein Shilling war mehr Silber wert als das eigentliche Silber, aus dem der Shilling bestand.

Wie konnte ein Shilling mehr wert sein als sein eigentlicher Silbergehalt? Der Produzent - die Royal Mint - versprach, das Angebot einzuschränken. Wenn nötig würde die Regierung die Münzen zu deren Nennwert mit Goldmünzen oder Banknoten erwerben oder einlösen. Zuletzt zwangen Gesetze zwecks des gesetzlichen Zahlungsmittel die Schuldner dazu, diese Münzen zu deren Nennwert und nicht deren Metallwert zu akzeptieren. Diese Garantien stellten sicher, dass die Scheidemünzen mit einem Aufpreis zu ihrem Metallwert weitergereicht wurden.


Bimetallismus und Münzknappheiten

Die Reduzierung des Silbergehalts innerhalb des Münzgeldes und die Übernahme der Scheidemünzen waren brillante Möglichkeiten ein ganz bestimmtes Problem zu lösen, das Großbritannien plagte: die Knappheit von Münzen mit geringem Nennwert. Münzknappheiten waren unter einem bimetallischen Standard ziemlich alltäglich. Dies war das Geldsystem, das Großbritannien mehrere Jahrhunderte offiziell unterhielt.

Unter dem Bimetallismus wurde die Recheneinheit des Pfundes - der £ - gemeinsam von geldpolitischen Obrigkeiten als eine feste Menge Gold- oder Silbermünzen festgelegt. So wurde eine Umtauschrate zwischen Gold und Silber etabliert. Doch das System brach zusammen, wann immer die von den Obrigkeiten gewählte Umtauschrate von der Umtauschrate des Marktes abwich. Wenn das passierte, dann war das eine Metall gegenüber dem anderen unterbewertet. Im Falle von Großbritannien war Silber seit Beginn der 1700er Jahre unterbewertet.



Dank der Unterbewertung des Silbers waren Silbermünzen, wie der Shilling, wertvoller, wenn man sie einschmolz, exportierte und zu ihrem echten Wert als Bullion verkaufte. Demnach zirkulierten in den 1700er und den frühen 1800er Jahren beinahe keine Silbermünzen in Großbritannien. Doch die Briten benötigten dringend Münzen mit geringen Nennwerten wie Penny und Shilling, um Waren zu kaufen und Gehälter zu bezahlen. Knappheiten von Münzgeld führten dazu, dass der Handel schwieriger wurde.

Hier ein Auszug aus einem Brief von 1771, in dem dieses Problem beschrieben wurde: "Händler leiden seit mehr als zehn Jahren unter der Knappheit des Münzgeldes, die zudem täglich zunimmt; und niederträchtige Menschen machen es sich zu Nütze, indem sie Kredite für geringfügige Summen aufnehmen, die sie niemals zurückzuzahlen beabsichtigen."


Schluss mit dem Schmelzen

Die Neuprägung von 1816 schaffte den Anreiz ab, die Münzen ihres Metallwerts wegen einzuschmelzen. Indem eine Reduzierung des Silbergehalts um 6% von Shilling, Half-Crown und Crown eingeführt wurde, stellte das Parlament sicher, dass sich der Marktwert des Silbers, das sich in jeder dieser Münzen befand, deutlich unter dem Marktwert der Münzen bewegte. Fortan machte es für einen Briten wenig Sinn, einen Shilling einzuschmelzen, um ihn als Bullion zu verwenden - besagter Shilling wäre in Münzform immer mehr wert. So wurde den Münzknappheiten und dem resultierenden Einfluss auf den Handel ein jähes Ende gesetzt.

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Neues Münzgeld; angekündigt von W.W. Pole, Leiter der Royal Mint (Quelle)


Nur wenn der Marktpreis des Silbers - der damals bei 5 Shilling je Unze lag (oder 0,16 Shilling je Gramm) - auf etwa 6 Shilling je Unze steigen würde und so verblieb, könnte Großbritannien erneut Münzknappheiten verzeichnen. Dann wäre der Shilling nicht länger eine Scheidemünze. Der Wert dieser 5,2 Gramm Silber in einem Shilling nach 1816 wäre mehr wert als der Shilling selbst und würde dann wieder eingeschmolzen werden. Doch das wurde nie zum Problem: Der Silberpreis blieb jahrzehntelang niedrig.


Eine frühere private Reaktion

Die Einführung von Scheidemünzen im Jahr 1816 war einer der ersten Versuche, die Münzknappheiten zu beheben, die durch einen hohen Silberpreis ausgelöst wurden. Doch es war nicht der erste seiner Art. In seinem Buch, Good Money, zeichnete George Selgin die frühen Versuche des Privatsektors auf, die Knappheit von Münzen mit geringem Nennwert anzugehen, indem privates Münzgeld ausgegeben wurde. Ende der 1700er Jahre prägten Unternehmer wie Matthew Boulton und Thomas Williams große Mengen an Kupfermünzen, um ihre eigenen Arbeiter zu bezahlen oder um diese an Klienten zu verkaufen, die Münzgeld benötigten. Das waren kleine Münzen wie der Penny und der Half-Penny, keine Shilling (ein Shilling = 12 Penny). Hier ein Beispiel:

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Penny-Scheidemünze aus dem Jahr 1811

Aufgrund staatlichen Missmanagements des Münzgeldes verließ man sich auf private Produzenten wie Samuel Fereday, um die britische Nachfrage nach Münzen mit geringem Nennwert zu erfüllen. Privates Kupfermünzgeld wurde 1818 verboten, doch Feredays Scheidemünzen waren laut George Selgin im Jahr 1866 "noch immer verbreitet."


Anfänglich konzentrierten sich die privaten Münzproduzenten Großbritanniens auf die Herstellung von Kupfermünzen mit geringen Nennwerten, doch bis zum Jahr 1811 waren sie dazu übergegangen, auch Silbermünzen mit höheren Nennwerten zu produzieren. Diese kommerziellen Münzen waren Scheidemünzen, keine Kurantmünzen.



Da sie fürchteten, man würde ihre Münzen aufgrund ihres Silbergehalts einschmelzen, stellten die Hersteller sicher, dass der Silbergehalt der Münzen weniger wert war als der eigentliche Nennwert der Münzen. Die Öffentlichkeit akzeptierte diese "leichten" Scheidemünzen freiwillig zu ihrem Nenn- und nicht Metallwert. Grund dafür war die Tatsache, dass die Produzenten versprachen, diese auf Anfrage zu ihrem Nennwert umzutauschen, oftmals gegen Banknoten.

Diese privaten Produzenten bereiteten also den Weg für die Lösung Großbritanniens allgemeiner Münzknappheit. Die verspätete Einführung von Scheidemünzen im Jahr 1816 war sicherlich kein bahnbrechendes Manöver - die Regierung replizierte schlicht eine Technologie, die von den "Versuchskaninchen" des privaten Sektors bereits vor einigen Jahren getestet worden war.


Währenddessen in den USA ...

Ähnlich wie Großbritannien wurden die USA von Münzknappheiten geplagt. Aufgrund des steigenden Silberpreises in den 1840er Jahren überstieg der Metallwert der US-amerikanischen Silbermünzen deren Nennwert. Silbermünzen mit geringen Nennwerten wie Groschen und Vierteldollar begannen zu verschwinden, als man sie einschmolz.

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Vierteldollar aus dem Jahr 1853


Die U.S. Mint gab Kurantmünzen aus. Doch der Coinage Act von 1853 änderte dies, indem Silbermünzen zu Scheidemünzen wurden. Das Gesetz reduzierte das Gewicht der aus Silber bestehenden Groschen, Halbgroschen, Vierteldollar und Halbdollar um 7%. Während ein Vierteldollar vor 1853 also mit 6,01 Gramm Silber produziert wurde, so enthielt ein Vierteldollar nach 1853 nur noch 5,6 Gramm. Diese Silberreduzierung schaffte wirksam jeglichen Anreiz aus der Welt, Münzen für ihr Silber einzuschmelzen. Ebenso wie die Silberreduzierung in England deren Münzknappheiten einige Jahrzehnte zuvor gelöst hatte, so beendete die Reduzierung des Silbergehalts in den USA ebenfalls Münzgeldknappheiten.


Weitere Silberreduzierungen

In den 1800er Jahren verließen sich sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Vereinigten Staaten auf Silberscheidemünzen, um die Nachfrage der Bürger nach Münzgeld mit geringem Nennwert zu bedienen. Doch von Zeit zu Zeit wurden diese Scheidemünzsysteme strapaziert, wenn der Marktpreis des Silbers stieg und den Metallwert in einer Münze über den Nennwert trieb. Dann schmolz man die Münzen erneut ein und exportierte das Metall, was wiederum zu einer Münzknappheit führte.

Genau das passierte, als der weltweite Silberpreis 1919 und Anfang 1920 eine Spitze bildete. Im Vereinigten Königreich waren 5,2 Gramm Silber in einem Shilling plötzlich mehr wert als der Shilling an sich. Das Parlament reagierte auf den Silberpreisanstieg, indem die Feinheit der Silbermünzen von 92,5% auf 50% reduziert wurde. So blieb das Gewicht jedes Shilling gleich, während der Silbergehalt auf 2,6 Gramm reduziert wurde. So vermied man umfangreiches Einschmelzen britischer Münzen.

Kanada, mein Heimatland, reagierte im Jahr 1920 auf denselben Silberpreisanstieg mit der Reduzierung der Feinheit aller Silbermünzen von 92,5% auf 80%. Im Jahr 1922 reduzierte man den Silbergehalt des 5-Cent-Stücks auf Null und gab stattdessen eine Nickelmünze mit "99,9% Nickel" aus.

Aufgrund bürokratischer Trägheit reagierten die Vereinigten Staaten auf die Silberpreisspitze von 1919 bis 1920 mit keiner Reduzierung des Silbergehalts ihres Münzgeldes. Der Marktpreis des Silbers fiel bald darauf und die Gefahr des Einschmelzens schwand daraufhin wieder. Doch Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre fand erneut ein Silberbullenmarkt statt. Erneut begannen die US-amerikanischen Silbermünzen zu verschwinden. Im Jahr 1965 löste Präsident Lyndon B. Johnson das Problem ein für alle Mal, indem das gesamte Silber aus dem Münzgeld verbannt wurde.

Kanada folgte diesem Beispiel 1968, indem das Silber in den Groschen und Vierteldollar durch Nickel ersetzt wurde. Sowohl Kanada als auch die USA folgten dem Beispiel des Vereinigten Königreichs, das im Jahr 1946 silberlos geworden war.


Zusammenfassung

Die stetige Verbannung des Silbers aus dem Münzgeld, die seit Anfang der 1800er Jahre stattfand, war eine Reaktion auf lähmende Münzknappheiten. Als der Metallwert des nationalen Münzgeldes dessen Nennwert überschritt, wurden Münzen aus der Zirkulation genommen und eingeschmolzen. Indem man Silber durch weniger wertvolle Metalle wie Kupfer ersetzte, wurde das Problem gelöst.

Das Problem des Münzgeldes ist keinesfalls vollständig gelöst. Mitte der 2000er Jahre explodierten die Rohstoffpreise. Das sorgte dafür, dass der Wert der Basismetalle in US-amerikanischen 1- und 5-Cent-Münzen deren Nennwert überstieg. Um die Amerikaner davon abzuhalten, die Münzen einzuschmelzen, erklärte die U.S. Mint das Einschmelzen von Münzen für illegal.

Aktuell scheint dieses Verbot (und der Rückgang der Rohstoffpreise) die Gefahr des Einschmelzens abgewendet zu haben. Doch sobald sich die Rohstoffpreise verdoppeln oder verdreifachen, kann ich mir schwer vorstellen, dass die Leute viel auf das Verbot der U.S. Mint geben werden. In diesem Fall wird die Regierung zurück in die Jahre 1853 und 1965 blicken müssen, um Inspiration zu erhalten - und Kupfer und Nickel durch wertlosere Materialien ersetzen.


© JP Koning
BullionStar



Der Artikel wurde am 09. April 2019 auf www.bullionstar.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.