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So viel zur Unabhängigkeit der Zentralbanken

09.06.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit

Wenn es derzeit eine Unabhängigkeit der Zentralbanken gibt, dann ist es nicht die Unabhängigkeit von Regierungen und Banken, sondern von den Interessen der breiten Bevölkerung.

Der amerikanische Präsident Donald J. Trump nörgelt unverhohlen an den Entscheidungen der US-Zentralbank (Fed) herum: Sie habe mit ihrer Zinserhöhung im Dezember 2018 das Wirtschaftswachstum gebremst und den Aktienkursen einen Dämpfer versetzt; es sei eine unnötige Zinsstraffung gewesen, denn die US-Inflation sei nach wie vor sehr gering.

Die Hauptstrom-Ökonomen hat das aufgeschreckt: Trump untergrabe die Unabhängigkeit der Fed, sagen sie. Auch andernorts drohe nun, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken in Frage gestellt wird. Und da die Regierungspolitiker nur eines wollen - und zwar immer mehr Kredit und Geld zu immer niedrigen Zinsen -, sei nun Inflationsgefahr im Verzug.

Wenn heutzutage davon gesprochen wird, dass die Zentralbanken unabhängig sind, so ist damit gemeint, dass die Zentralbankräte nicht auf Weisungen von Dritten hören dürfen, sondern dass sie penibel dem Auftrag zu gehorchen haben, der ihnen per Gesetz vorgeben ist: Inflation niedrig halten, Konjunktur stützen, Finanzmarktstabilität sichern. Doch hält die Idee, die Unabhängigkeit der Zentralbanken müsse unter allen Umständen gewahrt bleiben, einer Unbedenklichkeitsprüfung stand?

Die Antwort fällt negativ aus. Die Unabhängigkeit, die da beschworen wird, gibt den Zentralbanken den Schein der Überparteilichkeit, umhüllt sie mit der Aura, dem Gemeinwohl verpflichtet zu sein - und eröffnet damit den Zentralbankräten erst recht weitgespannte Handlungsspielräume für ihr inflationäres Geschäft.

Die Zentralbankräte weiten die Geldmenge in der Volkswirtschaft per Kreditvergabe immer weiter aus. (Meist wird dabei geradezu übersteigert von "Geldschöpfung" gesprochen, als handele es sich um einen göttlichen Akt!) Ihre wichtigsten Kunden erhalten dabei eine Vorzugsbehandlung: Banken und Regierungen. Sie sind in der Regel die Erstempfänger des neuen, "aus dem Nichts" geschaffenen Geldes und gewinnen folglich am stärksten von der inflationären Kredit- und Geldmengenvermehrung - die auf Kosten der breiten Bevölkerung geht.

Zudem verursachen die Zentralbanken durch die Kredit- und Geldmengenvermehrung auch Wirtschaftsstörungen in Form von "Boom-und-Bust-Zyklen", und sie führen die Menschen dadurch geradewegs in eine chronische Schuldenwirtschaft und Schuldenkultur.

Systemtreue Hauptstrom-Ökonomen arbeiten eifrig daran, dass die Wahrheit über das inflationäre Zentralbankgeschäft nicht zutage tritt. Beispielsweise verteidigen sie vehement das offizielle Ziel der Zentralbanken, die "Preisstabilität" zu sichern; und sie sind des Lobes, Preisstabilität mit einem Anstieg der Konsumgüterpreise von etwa 2 Prozent pro Jahr gleichzusetzen.

Das ist natürlich völlig absurd: Wenn die Güterpreise jedes Jahr um 2 Prozent steigen, bleiben sie natürlich nicht stabil! Zudem ist ein Ansteigen der Güterpreise um 2 Prozent pro Jahr alles andere als eine Kleinigkeit: Wenn die Güterpreise jedes Jahr um 2 Prozent zu-legen, hat die Kaufkraft des Geldes bereits nach zehn Jahren 18 Prozent verloren, nach 15 Jahren gar schon um 26 Prozent.

Auch ist es nicht sachgerecht, die Inflation anhand der Konsumgüterpreise bemessen zu wollen. Die Preise der Bestandsgüter - hierzu zählen Aktien, Anleihen, Häuser, Grundstücke, Kunst etc. - sind nämlich nicht oder nur unzureichend abgebildet in den Konsumgüterpreisindizes, die die Statistikämter veröffentlichen. Und nicht zuletzt sind Güterpreisveränderungen nur ein Symptom, deren Ursache (vor allem) die Geldmengenvermehrung ist.

So hat die Europäische Zentralbank (EZB) seit Januar 1999 die Euro-Geldmenge um jahresdurchschnittlich 5,2 Prozent ausgeweitet. Wenn Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, keinen entsprechenden Geldzufluß auf ihrem Konto verbuchen konnten, können Sie davon ausgehen, dass andere (vielleicht ihre Nachbarn) sich über einen umso kräftigeren Zuwachs ihres Geldvermögens freuen konnten.

Dieses Beispiel legt übrigens auch den Kern Zentralbankpolitik frei: Sie sorgt für eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen zwischen den Menschen und schafft dabei Gewinner und Verlierer. Die Erstempfänger des neuen Geldes sind die Begünstigten, die Spätempfänger haben notwendigerweise das Nachsehen.

In den letzten Jahrzehnten ist es Regierungen und Banken und ihren "Spin Doctors" aus der Wirtschaftswissenschaftswelt tatsächlich gelungen, der breiten Öffentlichkeit ein chronisch inflationäres Zentralbankwesen - das die Mehrheit der Menschen häppchenweise ausplündert - als "gut und richtig" zu verkaufen; und dass gutes Geld den Fortbestand der erreichten Unabhängigkeit der Zentralbanken erforderlich macht.



All die Regeln, die für die Sicherung der Zentralbank-Unabhängigkeit aufgesetzt wurden, dienen letztlich vor allem Staaten und Banken, damit sie sich recht ungestört und für möglichst lange Zeit das inflationäre Zentralbankwesen zunutze machen können. "Alle für unsere Zeit charakteristischen Überzeugungen, Gewohnheiten, Geschmacksrichtungen, Meinungen, geistigen Einstellungen sind in Wirklichkeit dazu bestimmt, das Mystische der Partei aufrechtzuerhalten und zu verhindern, daß die wahre Natur der heutigen Gesellschaftsordnung erkannt wird", so George Orwell im Jahr 1949.

In diesem Satz lässt sich "Partei" durch "Zentralbank" austauschen, ohne dadurch den Sinn des Satzes zu verändern. Wenn es derzeit eine Unabhängigkeit der Zentralbanken gibt, dann ist es nicht die Unabhängigkeit von Regierungen und Banken, sondern von den Interessen der breiten Bevölkerung. So viel also zur Unabhängigkeit der Zentralbanken!


Italien wird dir Euro-Zwangsjacke zu eng

Schon vor etwa einem Jahr lag die Idee schon einmal auf dem Tisch: Der italienische Staat will seine Verbindlichkeiten im Inland mit Schuldscheinen (sogenannten "Mini-Bots") statt mit Euro bezahlen. Für die Einführung von Mini-Bots hat nun die italienische Abgeordnetenkammer vergangene Woche abgestimmt.

Das Vorhaben signalisiert, dass die italienische Regierung sich ganz offensichtlich nicht verabschieden will von der chronischen Defizitfinanzierung, sondern dass sie vielmehr nach neuen "kreativen" Wegen sucht, um weiter auf Pump operieren zu können. Könnten Mini-BOTs zu einer "Parallelwährung" aufsteigen, die vielleicht sogar die Verwendung des Euro in Italien verdrängt? Wird mit Mini-Bots bereits "heimlich" ein Ausstieg Italiens aus der Währungsunion eingeleitet?

Wenn Mini-Bots als Zahlungsmittel von Privaten und Firmen akzeptiert werden, dann hätte der italienische Staat sich so etwas wie ein eigenes Geld beschafft. Mini-Bots könnten dann für alle möglichen Käufe und Verkäufe Verwendung finden. Allerdings stellt sich die Frage: Können Schuldverschreibungen wie Mini-Bots zu Geld werden? Vermutlich nicht. Denn jeder Arbeitnehmer, jeder Produzent wird bestrebt sein, das "beste Geld" im Tausch für seine Arbeit, für seine Güter zu erhalten. Wären Mini-Bots besser als der Euro? Man kann hier ernste Zweifel anmelden.

Wenn allerdings die EZB die Mini-Bots als Pfand akzeptiert, könnte sich das ändern. Das würde die Mini-Bots in der Gunst der Geldnachfrager vermutlich "aufwerten" beziehungsweise sie möglicherweise auf die gleiche Stufe stellen mit dem Euro. Doch das wäre ein gefährlicher Präzedenzfall: Es würde nichts anderes bedeuten, als dass die EZB Italien mit der Notenpresse finanziert. [In einem solchen Fall hätten die Mini-Bots Ähnlichkeit mit den "Mefo-Wechseln", die im Dritten Reich von den Nationalsozialisten ausgegeben wurden, und die von der Deutschen Reichsbank diskontiert wurden.]

Die Ankündigung, Mini-Bots einführen zu wollen, kann ein Mittel sein, mit dem Italien seine Verhandlungsposition gegenüber Brüssel stärken will - beispielsweise um ein anstehendes Defizitverfahren abzuwehren. Wie dem auch sei: Die Idee, Mini-Bots auszugeben, zeigt unumwunden, wie schwer sich Italien im Euroraum tut. Das Land leidet unter geringem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit und hohen Staatsschulden. Der Euro ist für das Land zu einem großen Problem, zu einer Zwangsjacke geworden: Italien kann seinen Wechselkurs nicht mehr abwerten, um wettbewerbsfähiger zu werden.

Die Finanzmärkte haben reagiert: Die Zinsen für kurz- und langlaufende italienische Staatsanleihen sind in die Höhe geschnellt. Allerdings weniger stark als noch zu Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Grund: Die Investoren rechnen damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im "Notfall" eingreift und italienische Staatsanleihen - und bei Bedarf auch andere Euro-Staatsanleihen - kauft, um die Lage zu beruhigen.

Mit dieser Erwartungshaltung dürften die Märkten richtig liegen - denn eine solche Reaktion der EZB wäre die logische Fortsetzung ihrer seit 2010 eingeschlagenen "Euro-Rettungspolitik". Italien kann so recht ungestraft den gesamten Euroraum in Geiselhaft nehmen, die Rechnung für die eigene Schuldenmisswirtschaft den übrigen Euro-Teilnehmerländern aufbürden, indem sie die EZB "durch die Kraft des Faktischen" dazu bringt, italienische Schulden zu monetisieren. Um das zu erreichen, braucht Italien nicht zwingend Mini-Bots.

Das Anwerfen der elektronischen EZB-Notenpresse ist zweifellos ein machtvolles Instrument: Es kann den Zahlungsausfall von Staaten und Banken verhindern. Doch der Preis dafür ist hoch: Die Kaufkraft des Euro wird entwertet, und das schadet "unbeteiligten" Bürgern und Unternehmen im Euroraum. Zudem führt eine Euro-Entwertung zu einer - nicht parlamentarisch abgesegneten - Umverteilung von Einkommen und Vermögen im Euroraum in großem Stil, die für noch mehr Zank und Streit und Erbitterung zwischen den Ländern sorgen dürfte. Der Wunsch nach Mini-Bots in Italien ist eine schlechte Nachricht für den Euro.



© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH