Über Sozialismus, Konservativismus und Liberalismus
13.10.2019 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
In der Auseinandersetzung mit dem "politischen Globalismus" und seiner interventionistischen-sozialistischen Agenda wird nicht der Konservativismus, sondern nur der echte (klassische) Liberalismus den Sieg davontragen können.
Als Anhang zu seinem Buch "Die Verfassung der Freiheit" (1960) hat der Ökonom Friedrich August von Hayek (1899 - 1992) ein Nachwort angehängt. Es trägt den Titel "Konservatismus und Liberalismus" (der Originaltitel des Artikels ist "Why I am not a Conservative", zu deutsch: "Warum ich kein Konsvervativer bin"). Darin erläutert Hayek die Beziehung zwischen Sozialismus, Konservativismus und Liberalismus. Auch nach etwa 60 Jahren haben Hayeks Überlegungen nichts von ihrer Aktualität verloren.
Doch wissen Sie, verehrter Leser, was mit Sozialismus und Konservativismus und Liberalismus eigentlich gemeint ist? Das sind zwar Begriffe, die auch heute immer wieder auftauchen. Doch der ein oder andere mag sich fragen: Welche Bedeutung haben sie? Weil es stets hilfreich ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, über was man spricht, sollen diese Begriffe zunächst kurz definiert werden:
- Sozialismus bedeutet, dass die Produktionsmittel (wie zum Beispiel Werkzeuge, Maschinen, Firmen, Grundstücke, Häuser und im Grunde auch die menschliche Arbeitskraft) befinden sich im Gemeineigentum, sind der Gemeinschaft beziehungsweise der Zentralgewalt unterworfen.
- Der Vollständigkeit halber soll hier der Gegenentwurf zum Sozialismus, der Kapitalismus, genannt werden: Kapitalismus heißt, dass die Produktionsmittel sich im Privateigentum befinden. Der Kapitalismus ist so gesehen das genaue Gegenteil des Sozialismus.
- Konservativismus bezeichnet eine gesellschaftspolitische Grundhaltung, die danach trachtet, das Bestehende bewahren zu wollen, die sich für den Erhalt traditioneller Wertvorstellungen und Gesellschaftsstrukturen stark macht; die Veränderungen prinzipiell skeptisch oder gar ablehnend gegenübersteht.
- Liberalismus steht ebenfalls für eine gesellschaftliche Grundposition, die die Autonomie des Individuums, also das Selbstbestimmungrecht des Individuums, rationalisiert und einfordert.
Hayek argumentiert nun wie folgt: Der Sozialismus verspricht den Menschen Wohlstand, Gleichheit und Frieden - also Dinge, die sich im Grunde jeder Mensch (wenn er bei Verstand ist) für sich und seine Mitmenschen wünscht. Doch der Sozialismus ist unmöglich, er lässt sich nicht durchführen; die Ziele, die er in Aussicht stellt, lassen sich durch ihn nicht verwirklichen.
Der Sozialismus ist, trotz seines offenkundigen Scheiterns überall auf der Welt, überaus wirkungsmächtig geblieben. Zwar fordern die Sozialisten heute meist nicht mehr offen eine Verstaatlichung der Produktionsmittel. Vielmehr kommen die sozialistischen Ideen heute in einem anderen Gewand daher: als Wohlfahrtsstaat, als Politik der offenen Grenzen, als ungedecktes Papiergeldsystem, als Bestrebungen, das Weltklima retten zu wollen, letztlich eine Weltregierung zu etablieren.
Kann der Konservativismus dem Sozialismus die Stirn bieten? Zwar ist der Konservativismus von festen moralischen Überzeugungen getragen. Doch er zeichnet sich nicht durch ein bestimmtes Ziel aus, das er anstrebt, außer dass er grundlegend Widerwillen äußert gegen Veränderungen. Der Konservatismus sucht gewissermaßen eine Mittelposition zwischen Altem und Neuem.
Hayek schreibt dazu: "Als Befürworter des "Wegs der Mitte", ohne eigenes Ziel, waren die Konservativen von dem Glauben geleitet, daß die Wahrheit zwischen den Extremen liegen muss - mit dem Ergebnis, daß sie ihre Position verschoben, so oft sich an einem der Flügel eine extreme Bewegung zeigte."
Die Konservativen halten einmal in Gang gekommene Entwicklungen folglich nicht auf oder kehren sie um, sondern verlangsamen sie bestenfalls. Hayek kritisiert daher, "dass er [der Konservativismus, A. d. V.] seiner ganzen Natur nach keine Alternative bieten kann zu der Richtung, in der wir uns bewegen. Es mag ihm gelingen, durch seinen Widerstand gegen die bestehenden Tendenzen unerwünschte Entwicklungen zu verlangsamen, aber da er keine andere Richtung anzeigt, kann er ihre Weiterentwicklung nicht aufhalten.“
Zieht der Sozialismus stärker nach links, folgt ihm der Konservativismus dorthin. Der Konservativismus wird sozusagen vom Sozialismus mitgeschleift, er lässt sich gewissermaßen mitschleppen.
Anders der Liberalismus, der sowohl dem Sozialismus als auch dem Konservativismus gewissermaßen entgegensteht. Der Liberalismus hat eine klare Leitlinie: die individuelle Freiheit sicherzustellen und zu verteidigen. Damit ist der Liberalismus unvereinbar mit dem Sozialismus.
Und wenngleich auch Liberale und Konservative häufig im Sozialismus ihren gemeinsamen Gegner identifizieren, so sind Konservativismus und Liberalismus doch weit davon entfernt, sich harmonisch miteinander ver-binden zu lassen.
Der Liberalismus steht wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, soweit sie im Einklang mit der Achtung und Wahrung der individuellen Freiheit stehen, positiv gegenüber. Er hat nicht - anders als der Konservativismus - Angst vor dem Fortschritt und den Veränderungen, die damit verbunden sind. Der Liberalismus hat zudem ein grundlegend positives Menschenbild. Nicht in dem Sinne, dass alle Menschen gut sind, und dass sie stets alles richtig machen. Sondern vielmehr in dem Sinne, dass der Respekt vor Privateigentum, Gleichheit vor dem Recht, freie Märkte und Wettbewerb unverzichtbar und ausreichend sind, um ein friedvolles und prosperiendes Zusammenleben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
Der Konservative hingegen hat Scheu, sich auf die spontanen Kräfte des freien Marktes zu verlassen. Er befürwortet vielmehr Ordnung durch obrigkeitliche Lenkung. Beispielsweise sollen staatliche Behörden Märkte regulieren, beaufsichtigen und überwachen. Das wiederum setzt den gutnaiven Glauben an eine "höhere Elite" voraus, deren verantwortungsvolles Wirken unerwünschte Fehlentwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft abhält.
Diese wenigen Gedanken mögen bereits genügen, um zu verdeutlichen, was Hayek in seinem Aufsatz zum Ausdruck bringt, und um erkennen zu können, welche Relevanz dieser Aufsatz für die aktuellen Geschehnisse dies- und jenseits des Atlantiks hat. Denn es hat sich Widerstand formiert gegen die Politiken und Interessengruppen, die in den letzten Jahrzehnten eine zusehends interventionistische-sozialistische Orientierung von Wirtschaft und Gesellschaft herbeigeführt und vorangetrieben haben (das sind die "politischen Globalisten"), und die - was ihre extremen Kräfte betrifft - auf die Zerschlagung der letzten verbliebenen freiheitlich-kapitalistischen Elemente abzielen.
Die bislang wohl augenscheinlichste Revolte gegen den politischen Globalismus, gegen das "Establishment", gegen die "Elite von Davos" findet in den Vereinigten Staaten von Amerika unter der Amtsführung von US-Präsident Donald J. Trump statt. Auch der "Brexit" lässt sich als das Bestreben der Briten interpretieren, sich der Machtausdehnung eines alles und jeden kontrollieren wollenden Staatskartells namens EU entziehen zu wollen.
Im Lager der Opposition haben nun allerdings vielerorts konservative Denker und Parteien die Meinungshoheit errungen. Sie pochen zum Beispiel auf die Unverletzlichkeit der nationalen Souveränität ein, fordern die Sicherung der eigenen Grenzen. Man könnte meinen, damit stünden sie in gewisser Weise auch auf liberal-libertärem Boden. Und in der Tat gibt es ja hier durchaus Gemeinsamkeiten. Doch die kommen eher zufällig als systematisch zustande. Und das ist eine wichtige Einsicht.
Die Grundprinzipien, die die (echten klassischen) Liberalen leiten, fordern zum Beispiel den Rückbau des Staates auf seine ureigene Funktion: den Schutz des Einzelnen und seines Eigentums vor Übergriffen von innen und außen; sie weisen alle Staatstätigkeit, die darüber hinausgeht, als inakzeptabel zurück. Es geht ihnen folglich nicht wie den Konservativen darum, bestehende Ämter und Posten mit "besseren" und "wohlmeinenderen" Personen zu besetzen, sondern die Staatsmacht im wahrsten Sinne zu entmachten: den Staat zu verkleinern, ihn zurück- und abzubauen.
Denn aus Sicht des Liberalismus ist der Verlust der Freiheit, das Vordringen sozialistischer Ideen, wie sie heute in der westlichen Welt unübersehbar geworden sind, kein "Betriebsunfall", sondern sie sind eine unweigerliche Folge des Staates und der politischen Dynamiken, die er freisetzt. Kurz gesprochen: Aus Sicht der echten Liberalen lässt sich der Staat - der territoriale Zwangsmonopolist mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte in seinem Territorium - nicht zähmen. Vielmehr meinen sie, dass selbst aus einem Minimalstaat ein Maximalstaat wird.
Die größten Bedenken, die die Liberalen gegenüber den Konservativen erheben, sind daher, dass die Konservativen das Übel nicht bei der Wurzel packen; dass ihre Gegenwehr gegen den Verlust der Freiheit zu kurz greift. Diese Sorgen sind keinesfalls an den Haaren herbeigezogen. Denn die linken Programme, die heute in die Tat umgesetzt werden, konnten gewissermaßen jahrzehntelang gedeihen und reifen unter duldender, vielfach sogar fördernder konservativer Hoheit.
Denn, wie Hayek schon deutlich gemacht hat, der Konservativismus bildet keine harte intellektuelle Verteidigungslinie heraus gegen das Vordringen von sozialistischen Bestrebungen. Er wird von ihnen vielmehr mitgezogen. Auch wenn er Bremswirkung entfaltet: Der Konservativismus ist kein Bollwerk gegen den Sozialismus. Das allein kann nur der Liberalismus (oder Libertarismus) leisten. Dass der Konservativismus die politische Linke immerhin abbremst, mag man zwar schon als ein Verdienst zu werten.
Doch der Konservativismus kann und wird die Freiheit des Einzelnen letztlich nicht bewahren können. Das liegt ganz einfach daran, dass der Konservativismus über keine "Kompassnadel" verfügt, die ihn auf Kurs hält, ihn, wenn er auf Abwege gerät, wieder zum "richtigen" Ausgangspunkt zurückführen kann.
Der Konservativismus kennt - anders als der Liberalismus - keine unverrückbaren Grundprinzipien, für deren Geltung und Bewahrung er eintritt, damit die Freiheit des Einzelnen in der Gemeinschaft Bestand hat - wie zuallererst der unbedingte Respekt vor dem Eigentum und die Gleichheit eines jeden vor dem Recht. Wer also wünscht, dass die individuelle Freiheit gewahrt bleibt, beziehungsweise verlorenes Territorium zurückgewonnen wird, der findet im klassischen Liberalismus seinen Verbündeten.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH