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Leben unter einem Goldstandard

04.01.2020  |  John Paul Koning

Wie wäre es, unter einem Goldstandard zu leben?

Hier einige (doch sicherlich nicht alle) Merkmale, die so ein Leben charakterisieren würden:

Banknoten, die bisher uneinlösbar waren, wären gegen Gold eintauschbar. Bankeinlagen könnten ebenso in Gold einlösbar sein. Das allgemeine Niveau der Verbraucherpreise würde durch den Goldmarkt festgelegt werden und nicht die Politik der Zentralbank. Das würde bedeuten, dass die Preise nicht länger jedes Jahr fortlaufend steigen würden.

Der Goldmarkt ist jedoch unberechenbar. Und somit wären die Entwicklungen der Verbraucherpreise von einem Jahr zum nächsten ebenfalls unberechenbar. Und schließlich würde das sogenannte Gibson-Paradoxon wieder auftreten (das werde ich im Laufe des Artikels erklären).


Verschiedene Arten der Preisstabilität

Am besten illustriert man die Merkmale eines Lebens unter einem Goldstandard in Referenz zu einer historischen Illustration. Im unteren Chart auf der linken Seite können Sie sehen, wie sich die Verbraucherpreise im Vereinigten Königreich (UK) während des klassischen Goldstandards verhalten haben, der zwischen 1815 und 1914 dort unterhalten wurde. Auf der rechten Seite zeige ich Ihnen, wie sich die Verbraucherpreise im Vereinigten Königreich von Ende des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre bis heute verhalten haben, als sich die Nation unter einem Fiatstandard befand.

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Verbraucherpreise im UK unter einem Goldstandard (1815-1913) & Fiatstandard (1973-2019)


Wie diese Charts illustrieren, ist das wirtschaftliche Leben unter jedem der Systeme recht verschieden. Im aktuellen Fiatstandard des UK wissen die Verbraucher, dass die Preise immer über die Zeit hinweg steigen werden. Sie wissen auch, dass die Rate, zu der die Preise zulegen, im Jahresvergleich recht uniform bleiben wird. 2%. 2,5%. 3,1%. 1,1%.

Zugegeben, die Preise hatten während der inflationären 1970er Jahre eine Tendenz dazu besessen, recht schnell zuzulegen. (Im Jahr 1975 stiegen sie um 23%!) Über die seither vergangenen vier Jahrzehnte waren sich die britischen Verbraucher jedoch ziemlich gut bewusst, dass sie zwischen 1% und 5% jedes Jahr mehr bezahlen müssten, um ihren Lebensstandard zu unterhalten.

Unter einem Goldstandard hatten UK-Verbraucher eine andere Art von Klarheit. Anders als moderne Verbraucher wussten sie, dass sich die Preise in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf etwa denselben Wert belaufen würden wie in der Gegenwart. Wenn eine Steak-Mahlzeit heute 50 Cent kostet, dann würde sie das wahrscheinlich auch im nächsten Jahrzehnt tun.

Auf der anderen Seite besaßen die Briten unter einem Fiatstandard verglichen mit den modernen Briten weniger Sicherheit darüber, wo sich die Preise im nächsten Jahr befinden würden. Wir wissen, dass eine Steak-Mahlzeit, die 2019 10 Pfund kostete, 2020 wahrscheinlich etwa 10,50 Pfund und 2021 etwa 11 Pfund kosten wird.

Im Jahr 1847 stieg das allgemeine Niveau der Verbraucherpreise jedoch um 7%. Die Preise sanken im nächsten Jahr um 14%! Somit war der Preis für eine Steak-Mahlzeit von 1846 bis 1848 recht variabel. Diese Art der kurz-bis-mittelfristigen Volatilität ist nichts, was der moderne Verbraucher gewohnt ist.

Die USA zeigen dasselbe Muster wie das UK. Unten finden Sie einen Chart, der die US-Preisniveaus und Inflationsrate von 1875 bis 2010 zeigt.

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Quartalsweise US-Preisniveaus und Inflationsrate, 1875-2010. Quelle: Lastrapes, Selgin & White


Zwischen 1875 und 1913, der klassischen Goldstandard-Ära, waren die jährlichen Veränderungen der Verbraucherpreise recht volatil (siehe unterer Bereich des Charts). Doch bis 1973, nachdem die Verbindung zwischen Dollar und Gold endgültig getrennt wurde, verlief die Inflation gleichmäßiger.

Auf der anderen Seite zeigten Preise während der US-Goldstandard-Ära unglaubliche langfristige Stabilität. Im Jahr 1913 ähnelte das Preisniveau grob dem Preis im Jahr 1875 (siehe oberer Bereich des Charts). Im Vergleich dazu stieg das US-Preisniveau in der Fiat-Ära kontinuierlich.




Flexibel vs. Unnachgiebig

Warum zeigen Fiat- und Goldstandardsysteme also so unterschiedliche Muster? Die Antwort hat etwas damit zu tun, wie flexibel diese Systeme sind.

Sagen wir, dass die Öffentlichkeit plötzlich mehr Geld halten möchte. Unter einem Fiatstandard können Zentralbanken rapide so viele Banknoten und Reserven erschaffen, wie notwendig, um diese Nachfrage zu bedienen. Und sobald die Nachfrage kontrahiert, können sie das rückgängig machen, indem ungewollte Noten zurückgekauft und entwertet werden.

Anders als unter einem Goldstandard. Wenn die Öffentlichkeit mehr Gold möchte, dann können die Bergbauunternehmen nicht einfach mehr davon produzieren. Der einzige Weg für die Wirtschaft, sich an diese höhere Nachfrage anzupassen, besteht in einer Zunahme des Goldpreises. Und da in einem Goldstandard alles in Gold bepreist wird, bedeutet das, dass die Preise aller Verbraucherwaren und Dienstleistungen zurückgehen müssen.

Derselbe Vorgang funktioniert umgekehrt, wenn die Öffentlichkeit weniger von dem gelben Metall möchte. Es gibt keinen Mechanismus, um Gold zu dematerialisieren. Und somit passt sich die Wirtschaft an einen Rückgang der Goldnachfrage durch eine Abnahme des Goldpreises an, was wiederum zu steigenden Preisen für Verbraucherwaren unter einem Goldstandard führt.

Das ist also der Grund, warum die Preise in den USA und dem UK derartige Muster während ihrer jeweiligen Goldstandardzeiten aufweisen, doch nicht während ihrer Fiatzeiten. Fiatstandards können sich besser an konstante Schwankungen der Geldnachfrage anpassen.

Und das führt uns zum letzten Unterschied, den ich hervorheben wollte: das Gibson-Paradoxon.


Das Gibson-Paradoxon

Unter einem Fiatstandard gibt es keine Beziehung zwischen Zinsen und dem Preisniveau. Die Renditen auf Anleihen sind in den letzten zwölf Monaten allgemein zurückgegangen. Im Falle der USA sind die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihe von 3% auf 1,5% gesunken. Das bedeutet nicht, dass wir erwarten, dass die Preise für Lebensmittel, Immobilien und Unterhaltung ebenfalls zurückgehen. Wie ein Uhrwerk steigen die Preise stetig (im Fall der USA, um dieselben 1,5%-2%, wie im letzten Jahr).

Doch unter dem Goldstandard würde man erwarten, dass Zinsen und das allgemeine Preisniveau gemeinsam sinken. Wenn Renditen auf Anleihen also von 3% auf 1,5% fallen würde, dann sollten wir auch erwarten, dass die allgemeinen Preise von Dingen wie Lebensmittel gemeinsam zurückgehen.

Der untere Chart zeigt dieses Phänomen.

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Während der Goldstandardzeit des UK, die von 1815 bis 1913 anhielt, stieg und sank das allgemeine Niveau der Verbraucherpreise tendenziell gemeinsam mit den langfristigen Staatsanleiherenditen. Siehe linker Chart. Die Linien verlaufen sowohl kurz- als auch langfristig synchron.

Doch während der Fiatzeit des UK (auf der rechten Seite dargestellt) gibt es keine Beziehung zwischen den beiden. Alfred Gibson, ein Banker, erkannte die Bewegungen der Preise und Renditen in einer Ausgabe des Banker's Magazine im Jahr 1923. Später beschrieb John Maynard Keynes das Paradoxon als "eine der vollständigsten etablierten empirischen Tatsachen innerhalb der quantitativen Volkswirtschaftslehre."

Was erklärt das Gibson-Paradoxon?


Gold als beständiger, realer Vermögenswert

Gold ist ein langlebiger Vermögenswert, der mit anderen Assets und Kapital konkurriert. Anstatt einen Goldbarren zu halten, kann man auch Immobilien kaufen, oder in eine Anleihe investieren oder Aktien eines Unternehmens erwerben.

Wenn die Welt weniger ergiebig wird und Projekte nicht länger so profitable sind wie zuvor, dann werden die erwarteten Erträge von Vermögenswerten wie Anleihen zurückgehen. Anleihen, die feste Ansprüche auf Projekte darstellen, können einfach nicht so viele Renditen abwerfen, wie sie es in einer produktiveren Welt getan hatten. Doch wenn das passiert, dann wird Gold kompetitiver gegenüber Anleihen. Die fehlende Rendite des Goldes wird weniger zum Handicap als zuvor. Und so möchten Investoren mehr Gold besitzen, was bedeutet, dass der Preis des gelben Edelmetalls steigt.

In den 1800er und frühen 1900er Jahren verursachte dieser Goldpreisanstieg einen Rückgang der Verbraucherpreise. Denn schließlich werden alle Verbrauchergüter unter einem Goldstandard in Gold bepreist. Und das ist der Grund, warum Gibson feststellte, dass sich Zinsen und das allgemeine Niveau der Verbraucherpreise unter einem Goldstandard gemeinsam bewegen.

Das Gibson-Paradoxon zusammenzufassend, wenn der allgemein wirtschaftliche Fortschritt träger wird: 1) Anleihen werfen weniger Rendite ab, und 2) Gold wird kompetitiver, und somit 3) Verbraucherpreise (die in Gold festgelegt werden) gehen zurück. Im Gegenzug, wenn die Wirtschaft produktiver wird: 1) Anleihe werfen mehr Rendite ab, und 2) Gold wird weniger kompetitiv, und somit 3) die Preise für Lebensmittel, Unterkunft und andere Verbrauchergüter und Dienstleistungen steigen.

Unter einem Fiatstandard ist Gold nicht länger Dreh- und Angelpunkt, um den alle Preise rotieren, also tritt das Gibson-Paradoxon nicht länger auf. Selbst während der schlimmsten Abschwünge, wie der Kollaps 2008, brachen Anleihepreise ein, doch die Kernverbraucherpreise blieben weiterhin zuverlässig bei 1% bis 2%.


© JP Koning
BullionStar



Der Artikel wurde am 27. November 2019 auf www.bullionstar.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.