Professor Malinen: Der Euro wird diese Krise nicht überleben
04.04.2020 | Jan Nieuwenhuijs
Tuomas Malinen ist der CEO und leitende Volkswirtschaftler bei GnS Economics, einem makroökonomischen Beratungsunternehmen. Außerdem ist er Assistenzprofessor an der University of Helsinki. Dort und an der New York University studierte er Volkswirtschaftslehre. Sein Fokus liegt auf Wirtschaftswachstum, Wirtschaftskrisen, Zentralbanken und dem Konjunkturzyklus.
Jan Nieuwenhuijs: Ich habe Ihre Posts und Quartalsberichte jahrelang gelesen und all diese Zeit waren Sie bearisch gegenüber der Wirtschaft. Könnten Sie vielleicht ausführen, wie Sie so bearisch geworden sind?
Tuomas Malinen: Ich erinnere mich daran, wie meine Ex-Frau und ich Silvester 2016 in Lappland waren, einem nördlichen Teil Finnlands, und ich zu ihr meinte: "Weißt du, mit der Weltwirtschaft stimmt etwas nicht, doch ich kann nicht genau sagen was." Sie ist eine Neuropsychologin und las zu diesem Zeitpunkt gerade ein Buch. Sie fragte mich: "Wie sicher bist du, dass deine Prognosemodelle und Ansichten korrekt sind?"
Als wir zurückkamen, verwarf ich praktisch alle meine Daten, die wir bei GnS Economics gesammelt hatten und begann, vollkommen neue Daten bezüglich der Finanzmärkte und Weltwirtschaft zu sammeln. Nach etwa einem Monat hatte ich ein ziemlich konsistentes Bild des weltweiten Bankensektors und der Finanzmärkte, und es sah schrecklich aus. Ich konnte keine tatsächliche Erholung im Weltbankensektor seit der Krise 2008 erkennen.
Der massive Einfluss der Zentralbanken auf die Finanzmärkte sah ebenfalls sehr schlecht aus. Alles befand sich in einer Blase. Und wir gruben weiter. Bis zum Juni 2017 hatten wir herausgefunden, dass China die Weltwirtschaft fast vollständig mit massiven und nicht nachhaltigen Schuldenstimulus am Laufen hielt.
Wir wurden extrem bearisch gegenüber den zukünftigen Aussichten. Innerhalb unseres Prognoseteams, das damals aus nur drei Leuten bestand, hatten wir lange Diskussionen darüber, was passieren würde. Ich dachte, dass die Zentralbanken die Assetmärkte niemals retten würden, während meine Kollegen meinten, dass sie genau das tun würden. Nun, sie lagen richtig und das wurde auch in unseren Prognosen widergespiegelt. Wir haben in unseren Berichten ebenfalls ausgeführt, dass derartige Maßnahmen möglich waren.
Jan Nieuwenhuijs: Wie hat die Ausbreitung des Coronavirus Ihre Prognosen verändert?
Tuomas Malinen: Es hat sie radikal verändert. Wir waren tatsächlich eines der ersten Unternehmen der Welt, das Ende Januar bereits vor den schwerwiegenden Auswirkungen des Virus auf die Wirtschaft warnte. Doch die Schwere der Situation überraschte selbst uns. Wir hatten noch nicht vollständig verstanden, dass sich dies als derartig schwerwiegend herausstellen würde. In China erwarteten wir einen vollständigen Lockdown in einer einzigen Region, namentlich Hubei. Doch das Epizentrum in Italien überraschte uns.
Wir sind derzeit dabei, unsere Wachstumsprognosen zu aktualisieren. Anfang März veröffentlichten wir einen Bericht, in dem wir drei Szenarien für die Weltwirtschaft anführen; doch sie sind praktisch nicht mehr von Belang, da sich der Virus so schnell ausbreitet.
Jan Nieuwenhuijs: Sie sagen, dass das Epizentrum nun Italien ist, doch anhand der Statistiken könnten es die Vereinigten Staaten sein. Die Niederlande, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Spanien und Indien könnten alle zu einem Italien werden, nicht?
TM: Ja, das ist der angsteinflößende Teil. Das wird unsere Wirtschaften in die Knie zwingen. Zuerst sahen wir es als einen Auslöser an, doch nun ist es zu einem Treiber für den nahezu vollständigen Zusammenbruch geworden, den wir beobachten.
Jan Nieuwenhuijs: Wie wird sich das auf Geldpolitik und politische Maßnahmen auswirken?
Tuomas Malinen: In der Geldpolitik kann man das beobachten, worüber wir zuvor gesprochen haben. Stellen Sie sich vor, wir hätten nicht derart inflationäre Assetmärkte. Dann hätten wir nicht die Probleme an Aktien- und vor allem Kreditmärkten, die wir nun verzeichnen - wenn diese fair bewertet wären. Es gäbe etwas Stress, doch nun explodiert dieser. Betrachten Sie beispielsweise die Kreditmärkte. Man riskiert einen Zusammenbruch der Finanzmärkte, was äußerst angsteinflößend ist. Und das ist es, was der Coronavirus vereinfacht.
Doch die Probleme sind langwieriger. Die Zentralbanken - mit ihren Assetkaufprogrammen und Null- sowie Negativzinsen - haben Investoren zum Extremrisiko der Kreditmärkte gedrängt, zu den Schrottanleihen. Das spielt sich derzeit ab. Massive Spekulanten-Positionierungen bauen sich auf und das befleckt die Finanzmärkte.
Jan Nieuwenhuijs: Wie werden die Zentralbanken Ihre Politik in den kommenden Monaten fortsetzen?
Tuomas Malinen: Man wird alles als Wurfgeschoss verwenden. Die Küchenspüle, das Waschbecken, die Spüle des Nachbarn … Alles, um die Assetmärkte zu unterstützen. Doch leider ist es so, dass es keine Menge an Liquidität gibt, die Assetmärkte retten kann, wenn die echte Wirtschaft zusammenbricht.
Man versucht, den Schlag abzufedern. Doch wenn man versucht den Rückgang aller riskanten Assets der Welt zu kontrollieren, die auf etwa 400 Billionen Dollar geschätzt werden, dann würden ihre Bilanzen um wahnsinnige Beträge wachsen.
Wir werden abwarten müssen, doch noch scheint man weiterhin zu drucken. Ich bin der Ansicht, dass wir einfach den Schmerz aushalten und die Erholung genießen sollten, anstatt zu stagnieren und alles in finanzielle Pampe und zentrale Kontrolle zu verwandeln.
Jan Nieuwenhuijs: Kann politische Instabilität in den USA und der Eurozone auftreten?
Tuomas Malinen: Sicherlich. Der europäische Bankensektor wird nicht in der Lage sein, diesen Schlag zu überleben und die Eurozone wahrscheinlich auch nicht. Wir erwarten, dass die Eurozone irgendwann auseinanderbrechen wird. Massive Armut und Arbeitslosigkeit werden jede Menge Chaos verursachen, vor allem in den zentral- und südeuropäischen Staaten. Möglicherweise auch in den USA.
Jan Nieuwenhuijs: Sie sagen also, dass dies dazu führen wird, dass die Eurozone auseinanderbricht?
Tuomas Malinen: Ja, dem bin ich mir fast sicher.
Jan Nieuwenhuijs: Ich habe in Ihren Berichten auch von der Möglichkeit einer systematischen Krise und Hyperinflation gelesen. Wie wahrscheinlich sind solche Szenarien?
Tuomas Malinen: Das Szenario systematischen Risikos ist etwas, das wir seit Jahren bedenken. Es bedeutet ein Zerreisen des finanziellen Systems. Einen Vorläufer eines derartigen Ereignisses auf weltweiter Ebene gibt es nicht - da es ebenso den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Systems umfassen würde. Das Ähnlichste, das wir beobachten konnten, war der Zusammenbruch der Sowjetunion. Wir stellen derzeit neue Analysen auf und im pessimistischsten Szenario gibt es eine systematische Krise. Doch das sehen wir noch immer als recht unwahrscheinlich an.
Hyperinflation würde massive Gelddruckerei der Zentralbanken voraussetzen. An diesem Punkt sind wir noch nicht. Doch wenn es dazu kommt, dass Zentralbanken nicht nur riskante Finanzassets erwerben, sondern den Menschen auch noch Geld zur Verfügung stellen, dann befinden wir uns auf einem Pfad, der letztlich wahrscheinlich zu einem geldpolitischen Zusammenbruch und Hyperinflation führen wird.
Denn wenn man den Politikern die Druckerpressen eröffnet, dann werden sie selten wieder weggeschlossen. In Zukunft bleiben uns tatsächlich nur drastische Optionen. Hyperinflation ist eine Möglichkeit, wenn auch abwegig.
Jan Nieuwenhuijs: Ist das aktuelle wirtschaftliche Umfeld, in dem sich all diese wichtigen Volkswirtschaften unter Quarantäne oder Halb-Quarantäne befinden, deflationär oder inflationär?
Tuomas Malinen: Definitiv deflationär.
Jan Nieuwenhuijs: Doch Zentralbanken haben ein Problem mit Deflation. Wie denken Sie, wird sich dies in den kommenden Monaten entwickeln?
Tuomas Malinen: Ja, das Risiko einer Deflation bringt die Zentralbanken in eine schwierige Lage. Also werden sie drucken und wenn das in Fahrt kommt, besteht das Risiko einer Inflation. Doch unser Basisszenario ist, dass es zu einer europäischen Bankenkrise kommen wird und das ist deflationär. Doch wir werden Monat für Monat abwarten müssen, um zu sehen, was passieren wird.
Jan Nieuwenhuijs: Sie haben geschrieben, dass europäische Banken ihre Bilanzen nach der letzten Krise nicht bereinigt haben. Nun da wir die nächste Krise beginnen, werden diese Banken noch mehr geschädigt. Was wird mit diesen Banken geschehen?
Tuomas Malinen: Sie werden abstürzen.
Jan Nieuwenhuijs: Denken Sie, dass sie Bailouts oder Bailins stattfinden werden?
Tuomas Malinen: Die Banken, die Bailouts erhalten können, werden das tun; die anderen werden Bailins erhalten. Bei letzterem wird das Geld der Einzahler verwendet werden, um die Banken zu retten, was nun legal ist. Die Menschen verstehen es nicht wirklich, doch das ist ein großes Risiko für jeden, der große Mengen Geld auf der Bank hat. Das Risiko von Einzahler-Bailins ist sehr hoch.
Jan Nieuwenhuijs: Was hielten Sie vor fünf Monaten vom Euro? Hielten Sie ihn für eine brauchbare Währungseinheit?
Tuomas Malinen: Nein. Ich war Teil einer unabhängigen Gruppe, "der Euro-Thinktank." Diese wurde von Professor Vesa Kanniainen von der University of Helsinki gegründet. Mit acht Leuten, die sich auf verschiedene Bereiche der Wirtschaft spezialisierten, haben wir ein Buch darüber geschrieben. Wir haben herausgefunden, dass die Eurozone sehr schwach war. Die einzige Möglichkeit, sie zu retten, bestand darin, sie zu einer Art föderaler Union zu machen.
Und würde selbst das überhaupt funktionieren? Sie wäre noch immer kein eigenständiges Land. Man kann die Finnen nicht dazu zwingen, Griechenland weiterhin Geld zu schicken. Als dies während der Eurokrise passierte, veränderte das die Psyche hier in Finnland. Die Leute wollen kein Geld nach Europa schicken.
Noch können wir zurück zum Vertrag von Maastricht gehen, da wir zu viele TARGET2-Ungleichgewichte, Schuldengarantien an andere Ländern und Bailout-Mittel haben. Das ist vom Tisch. Also werden unsere politischen Führungspersonen gewaltsam versuchen, uns in eine föderale Union zu drängen, oder wir brechen auseinander.
Aufgrund der aktuellen Krise wird der Schlag gegen die nationalen Wirtschaften hart sein. Ich erwarte nicht, dass die politischen Führungspersonen zusammenkommen werden und Geld an irgendeine föderale Regierung schicken werden. So etwas erwarte ich einfach nicht.
Jan Nieuwenhuijs: Denken Sie, dass Niedrig- oder Negativzinsen lange anhalten werden?
Tuomas Malinen: Nein, wenn die Bankenkrise beginnt, werden die Zinsen steigen. Wenn Sie die Zinsen an den Kreditmärkten betrachten, dann sind sie bereits deutlich gestiegen. Und das ist üblicherweise das erste Anzeichen dafür, dass die anderen Zinsen auch steigen werden.
Jan Nieuwenhuijs: Sehen Sie Staatsanleihen an diesem Punkt als sichere Häfen?
Tuomas Malinen: Wir sind sehr skeptisch aufgrund der schweren Schuldverschreibungen, die beispielsweise USA und Deutschland besitzen. Investoren müssen anerkennen, dass es vielleicht selbst an diesen Anleihemärkten Probleme geben wird, wenn schwerwiegende Szenarien Realität werden. Die deutsche sowie US-amerikanische Regierung besitzen hohe Schuldverschreibungen; zusätzlich zu dieser Coronakrise.
Jan Nieuwenhuijs: In Ihrem letzten Bericht meinten Sie, dass Zentralbanken insolvent werden könnten. Wie funktioniert das?
Tuomas Malinen: Ja, was viele Leute nicht wissen, ist, dass Zentralbanken scheitern können. Es gibt einen interessanten historischen Fakt diesbezüglich. Keine einzige Zentralbank der Geschichte, die nicht Rückendeckung vom Finanzministerium erhielt, hat überlebt. Also sind all diese nationalen Zentralbanken irgendwann gescheitert.
Wenn eine Zentralbank einen großen Verlust verzeichnet, betritt sie ein "negatives Kapitalumfeld." Zentralbanken können sich noch immer als solvent bezeichnen, da sie noch immer Seigniorage-Einkommen von dem Geld erhalten, das sie erschaffen. Anders gesagt: Seigniorage-Einkommen ist der Unterschied zwischen den nominalen und Druckerkosten des Geldes. Essentiell können sie also mehr und mehr Geld ausgeben, was zu größerem Seigniorage-Umsatz führt, um die Verluste zu decken.
Doch eine derartig große Erhöhung der Geldbasis wird durch eine Steigerung des zirkulierenden Geldes und Erwartungen höherer Inflation zu sehr hoher Inflation führen. Die andere Option wäre es, mit negativem Kapital zu operieren. Doch das ist eine sehr gefährliche Situation, da sie das Vertrauen der Finanzmärkte verlieren.
Investoren werden nachdenken; vielleicht wird die Geldpolitik nicht von dem angetrieben, was gut für die Finanzmärkte und Wirtschaft ist, sondern von dem, was den Zentralbanken dabei hilft, ihre Verluste auszuhalten. Und das Vertrauen ist verloren. Und wenn das passiert, wenn Assetmärkte äußerst inflationiert sind, wird wahrscheinlich Chaos folgen.
Zentralbanken sind keine Magier und können nicht tun, was sie möchten. Buchhaltungsrichtlinien gelten auch für sie, auch wenn sie diese in gewissem Maße umgehen können.
Jan Nieuwenhuijs: Halten Sie es für machbar, dass eine Zentralbank Währung druckt, um Gold zu kaufen und dieses dann in ihrer Bilanz neu bewertet, um Verluste zu kompensieren? Drucken, um Gold zu kaufen und die Bilanz zu reparieren?
Tuomas Malinen: Ja.
Jan Nieuwenhuijs: Wie können sich die Leute am besten auf finanzielle Turbulenzen vorbereiten?
Tuomas Malinen: Durch das Halten von physischem Bargeld und physischem Gold. Über die Geschichte hinweg hat sich Gold als die beste Krisenabsicherung herausgestellt.
Jan Nieuwenhuijs: Was erwarten Sie in Zukunft für den Goldpreis?
Tuomas Malinen: Wir haben eine Analyse über historische Preise verschiedener Assetklassen durchgeführt. Und es scheint als würde Gold zuerst - wenn die Krise beginnt - mit den anderen Assets gemeinsam sinken, doch dann recht schnell steigen.
Jan Nieuwenhuijs: Mehr oder weniger was 2008 passierte? Zuerst fällt es und steigt dann, wenn Investoren auf einen sicheren Hafen aus sind?
Tuomas Malinen: Ja, und Gold könnte diesmal zum einzigen sicheren Hafen werden, um ehrlich zu sein. Gold könnte in dieser Krise deutlich steigen; aktuell befinden wir uns im Anfangsstadium.
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© Jan Nieuwenhuijs
The Gold Observer
Dieser Artikel wurde am 25. März 2020 auf www.voimagold.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.