Mit dem politischen Globalismus kommt die Postdemokratie
22.11.2020 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Teil 1: Eine Neuauflage des Marxismus
Im Jahr 1993 veröffentlichte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington (1927-2008) sein Buch "The Clash of Civilizations". Es wurde ein weltweiter Bestseller. Huntington vertrat darin die Meinung, dass das 21. Jahrhundert von Konflikten zwischen den verschiedenen Kulturen geprägt sein werde, insbesondere zwischen der westlichen Zivilisation und der Kultur des chinesischen und islamischen Raums. Seine Thesen wurden damals heftig kritisiert. Doch Huntingtons "Konfliktansatz" verdient es durchaus, in die Gegenwart übertragen und neu ausgerichtet zu werden.
Dann wird nämlich unmittelbar ersichtlich, dass ein großer Konflikt im Hier und Heute vom (Wieder-)Aufstieg, von der (Wieder-)Verbreitung autoritär-unfreiheitlicher Doktrinen ausgeht. Konkret gesprochen: Das aufgeklärte liberale Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept der westlichen Welt droht umgestoßen und ersetzt zu werden durch eine Neuauflage wirkungsmächtiger sozialistischer-kommunistischer Ideen. Gemeint ist der politische Globalismus, der dabei ist, die westliche Welt zu erobern.
Die politischen Globalisten wollen die Geschicke der Menschheit auf dem Globus nicht den freien Märkten überlassen - also der Freiheit, der Selbstbestimmung der Menschen -, sondern sie wollen sie von zentraler Stelle diktieren. Damit läutet der politische Globalismus die sogenannte Postdemokratie ein: Nicht die breite Bevölkerung ist mehr der Souverän, sondern die Regierung und die sie beeinflussenden Sonderinteressengruppen werden das eigentliche Machtzentrum und stellen die politischen Weichen. Die Demokratie wird ausgehöhlt, ersetzt durch eine Technokratie- beziehungsweise Elitenherrschaft.
Diese Einschätzung erfordern genauere Erklärung und Verteidigung. Dazu sollen im folgenden Teil 2 wichtige Begriffe, die in der öffentlichen Diskussion auftauchen, kurz erläutert werden. Dazu gehören: Marxismus, Kapitalismus, Kommunismus, Sozialismus, demokratischer Sozialismus, Totalitarismus, Faschismus, Interventionismus, Kulturmarxismus, Globalismus, Neo-Liberalismus und Liberalismus. Welche Verbindung zwischen ihnen bestehen, welche Relevanz sie haben, um das aktuelle Geschehen besser verstehen und Einschätzungen für die Zukunft ableiten zu können, wird in Teil 3 ausgebreitet.
Teil 2: Im Bann polit-ökonomischer Lehren
Gleich zu Anfang sei erklärt, was der Wortzusatz (lateinisch: "Suffix") "-ism" bedeutet: Er steht für eine Lehre, eine geistige Strömung, ein Glaubenssystem in Geschichte, Wissenschaft oder Kunst.
Der Marxismus ist die von Karl Marx (1818-1883) begründete polit-ökonomische Theorie, mit der auch eine gesellschaftliche Umgestaltungsforderung begründet wird. Er ist der Auffassung, die gesellschaftliche Entwicklung werde von den "materiellen Produktionsfaktoren" (Werkzeuge, Fabriken etc.) bestimmt. Sie bewirken eine zunehmende Arbeitsteilung und schaffen materiellen Wohlstand.
Der Reichtum werde zwar von den Arbeitern geschaffen, aber er konzentriert sich in den Händen weniger Kapitalisten. Dieser Grundwider-spruch - die Arbeiterklasse erzeugt Wohlstand, die Kapitalisten eigenen ihn sich an - kann nur durch eine revolutionäre Erhebung beseitigt werden. Dazu enteignet die Arbeiterklasse die Eigentümer der Produktionsmittel und überführt die Produktionsmittel in Gemeineigentum.
Eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der sich die Produktionsmittel in privater Hand befinden, wird als Kapitalismus bezeichnet. Der Kapitalismus zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:
(1) Es gilt der unbedingte Respekt vor dem Eigentum: Jeder ist Eigentümer seiner selbst (Selbsteigentum) und an den Gütern, die er auf nicht-aggressivem Wege erworben hat, also durch "Landnahme" bisher nicht von anderen beanspruchten Gütern, durch Produktion und freiwilliges Tauschen (einschließlich Schenkungen).
(2) Die Menschen verwenden Geld zum Zwecke der Wirtschaftsrechnung. (3) Die Märkte sind frei, jeder hat die Freiheit, seine Güter anzubieten, und jeder ist frei, die Güter nachzufragen, die er/sie zu konsumieren wünscht. (4) Es herrscht das Gewinn- und-Verlustprinzip. Der Anbieter erzielt Gewinn, wenn er Produkte anbietet, die freiwillig gekauft werden zu Preisen, die seine Produktionskosten übersteigen. Die Produktion wird dadurch an den Kundenwünschen ausgerichtet.
Der Kommunismus baut auf der Lehre des Marxismus auf und strebt eine klassen- und herrschaftslose Gesellschaft an, und zwar schrittweise. Nach dem notwendigen Zusammenbruch des Kapitalismus (mit dem die Marxisten rechnen) und der Revolution der Arbeiterklasse folgt zunächst die Phase des Sozialismus. Sozialismus bezeichnet die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der das Eigentum an den Produktionsmitteln verstaatlicht ist.
Im Sozialismus bestimmt eine kleine Gruppe von Menschen (oder im Extremfall auch nur eine Person), wie die Produktionsmittel einzusetzen sind - was also wann in welcher Menge zu produzieren ist -, und es wird auch von zentraler Stelle bestimmt, wer wann was von den erzeugten Gütern erhält. Der Sozialismus soll aber nur eine Übergangsphase sein, an dessen Ende die herrschaftslose kommunistische Gesellschaft steht, in der alles allen gehört.
Am Ende des Kommunistischen Manifests (1848) ist zu lesen, dass die Kommunisten den "gewaltsamen Umsturz" der Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse anstreben, um zum Sozialismus beziehungsweise Kommunismus zu gelangen.
Eine andere Strategie, zum Ziel zu kommen, ist der demokratische Sozialismus. Er will das Eigentum an den Produktionsmitteln formal erhalten. Jedoch fordert er gleichzeitig, dass die Eigentümer nicht mehr zu 100 Prozent Anspruch auf die Erträge haben, die sie mit ihrem Eigentum erzielen. Ein Teil davon muss in Form von Steuern an den Staat abgeführt werden. Über parlamentarische Mehrheiten sollen nach und nach die Bedingungen geschaffen werden (steigende Steuern, das Privateigentum einschränkende Gesetze, Verbreitung sozialistischer Lehren etc.), die zum Sozialismus führen. Der demokratische Sozialismus unterscheidet sich folglich nur graduell, nicht aber kategorisch vom marxistischen Sozialismus.
Der Totalitarismus zeichnet sich durch eine Massenbewegung aus, die von einer Minderheit oder auch nur von einer Person angeführt wird, und die eine Herrschaft errichtet, die von der Mehrheit nicht mehr kontrollierbar ist. Das totalitäre Herrschaftssystem erstreckt sich rücksichtslos und unbeschränkt auf alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche. Der Einzelne wird bedingungslos und vollständig der Herrschaftsmacht unterworfen.
Der Faschismus lässt sich als "Massenbewegung mit charismatischen Führern" bezeichnen, und seine moderne Form geht auf Benito A. A. Mussolini (1883-1945) zurück. Prägend für den Faschismus ist, die Interessen der Gemeinschaft vor die des Individuums zu stellen ("Anti-Individualismus"), und den Herrschenden prinzipiell die Macht zuzusprechen, jede Konkurrenz auszuschalten. Der Faschismus ist so gesehen eine Ausprägung des Totalitarismus. Geschichtlich gesehen waren nicht alle Formen des Faschismus gleichermaßen menschenverachtend und menschenvernichtend. So war die "totalitären Vollkommenheit" des italienischen Faschismus geringer als die des deutschen Faschismus unter den Nationalsozialisten.
Der Interventionismus steht für die Idee, es gäbe einen gangbaren "Mittelweg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus: Das Gute von beiden kann genutzt, das Schlechte von beiden kann abgestellt werden.
Diese Vorstellung führt zur Forderung, der Staat solle fallweise in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen, um politisch wünschenswerte Ergebnisse herbeizuführen. Dazu gehören beispielsweise (Lenkungs-)Steuern, Ge- und Verboten, Subventionen, Handelsrestriktionen, Preiskontrollen (Höchst- oder Mindestpreise) etc. Aus ökonomischer Sicht lässt sich jedoch sagen, dass der Interventionismus scheitern muss; dass er, wenn er immer weiter beschritten wird, in den Sozialismus führt, beziehungsweise dass er in einem totalitären System endet.
Der Kulturmarxismus ist eine Wortschöpfung aus den 1990er Jahren, die in den USA ("Cultural Marxism") auftrat. In der politischen Auseinandersetzung steht der Kulturmarxismus für einen Prozess der geistigen Unterwanderung, durch den der gesellschaftliche Umsturz herbeigeführt werden soll. Ideengeschichtlich führt die Spur beispielsweise zum italienischen Marxismus-Theoretiker Antonio Gramsci (1891-1937).
Er vertrat die Auffassung, dass der Marxismus sich im Westen (anders als in Russland) nicht durch eine gewalttätige Revolution errichten lasse. Man müsse anders vorgehen, und zwar müsse man das bürgerliche Moral- und Wertesystem umstürzen: Wenn Ehe, Familie, Eigentum, Recht, Grenzen, Nation und christlicher Glaube relativiert und diskreditiert sind, sei der Boden bereitet für den marxistischen Umsturz.
Das Wort Globalismus kann in zweifacher Weise verstanden werden. Zum einen als wirtschaftlichen Globalismus. Er bezeichnet und befürwortet eine zunehmende internationale Arbeitsteilung und das ökonomische Zusammenwachsen der Volkswirtschaften im Zuge eines freien Marktsystems. Zum anderen gibt es den politischen Globalismus. Dahinter verbirgt sich die Auffassung, die Geschicke der Menschheit müssten von zentraler politischer Stelle gestaltet und gesteuert werden, sie dürften nicht den freien Märkten überlassen bleiben.
Ob Wirtschafts- und Finanzkrisen, Klimaerwärmung oder Epidemien: Die Gemeinschaft der Staaten, am besten eine handlungs- und durchsetzungsstarke Weltregierung sollen die Dinge richten, so die politischen Globalisten.
Der Neo-Liberalismus steht für Ideen, mit denen nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs versucht wurde, zu einem freien Marktsystem zurückzukehren. Er fordert ein System, in dem die Produktionsmittel privatisiert sind, in dem sich die Güterpreise frei im Markt bilden können, in dem Wettbewerbsfreiheit herrscht. Der Staat soll der "Schiedsrichter" sein und seine Macht auf ein Minimum beschränkt sein (und zwar auf den Schutz des Eigentums, die Verteidigung der Bürger gegen Angriffe von außen und die Verhinderung von Kartellen und Monopolen).
Der Neo-Liberalismus knüpft an den klassischen Liberalismus an. Während der Liberalismus jedoch konsequent für ein Laissez-fair steht, vertritt der Neo-Liberalismus - wie gesagt - die Ansicht, es brauche einen Staat, der die Regeln des Zusammenlebens setzt und überwacht.
Teil 3: Versuch einer Standortbestimmung
Wie lässt sich vor dem Hintergrund der vorangestellten Begriffe die gegenwärtige Entwicklung der westlichen Welt einordnen? Dazu nachstehend ein (zugegebenermaßen holzschnittartiger) Interpretationsversuch. - In der westlichen Welt ist die Freiheit der Bürger und Unternehmer seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Liberale, kapitalistische Einflüsse auf Wirtschaft und Gesellschaft nehmen ab. Die Volkswirtschaften folgen - die einen mehr, die anderen weniger - dem demokratischen Sozialismus.
Er sorgt dafür, dass der Staat immer größer und mächtiger wird, und er geht Hand in Hand mit dem Interventionismus: Ob Bildung (Kindergarten, Schule, Universität), Gesundheit, Altersvorsorge, Transport, Medien, Recht und Sicherheit, Geld und Kredit, Transport, Umwelt - über-all ist der Staat zum mächtigsten Akteur aufgestiegen.
In den letzten Jahren hat sich der demokratische Sozialismus vielerorts radikalisiert durch das Vordringen marxistischer-kulturmarxistischer Einflüsse. Sie zeigen sich vor allem im Vordringen des politischen Globalismus. Seine Anhänger fordern beispielsweise die Überwindung der Nationen, die Politik der offenen Grenzen, die politisch gesteuerte Wanderung, vor allem aber fordern die politischen Globalisten das Zurückdrängen der individuellen Freiheit, des freien Marktsystems und sein Ersetzen durch staatliche Globalkontrolle. Damit verbunden ist eine Aushöhlung der Demokratie, die sie in eine Postdemokratie überführt - eine nicht überraschende Entwicklung.
Der deutsch-italienische Soziologe Robert Michels (1876-1936) hat 1911 sein Buch "Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens" veröffentlicht. Darin zeigt er das "Eherne Gesetz der Oligarchie" auf. In der Demokratie kommt es, so Michels, zu Parteigründungen.
Parteien sind Organisationen, und Organisationen bedürfen der festen Führung. Die übernimmt eine kleine Gruppe von Menschen, die gewieft ist und den Willen zur Macht hat. Über kurz oder lang sind es einige wenige, die den Parteiapparat beherrschen. Es bildet sich eine oligarchische Elitenherrschaft heraus, die sich weitgehend gegen Kritik von innen und außen immunisieren kann.
Die Partei-Eliten erhalten Freiräume, sich vom Partei- und Wählervotum abzukehren, ihre eigene Agenda zu verfolgen, etwa mit Lobbygruppen ("Big Business") zu kooperieren oder Unternehmen für politischen Zwecke zu instrumentalisieren ("Governmentalization"). Der Partei- und Wählerwille bleibt dabei auf der Strecke. Die Demokratie - wenn man sich von ihr die Selbstbestimmung der Wähler erhofft - ist daher eine Illusion, so Michels: In der Demokratie kommt es vielmehr zur Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber; es kommt zu einer "Oligarchisierung der Demokratie".
Klimapolitik und Corona-Virus sind gegenwärtig die Themen, mit der die politischen Globalisten ihre Agenda verstärkt vorantreiben können: Die Menschen sind verunsichert und haben Angst (auch aufgrund der Informationen, die sie von Medien präsentiert bekommen, die wiederum dem politischen Globalismus zugewandt sind), kann der Staat seine Aktivitäten ohne großen Widerstand auf Kosten bürgerlicher und unternehmerischer Freiheiten und des freien Marktsystems ausweiten. Dies zeigt sich beispielsweise in politischen Plänen für eine "großen Transformation", für einen "Neustart" ("Reset") der Weltwirtschaft, eine "neue Weltordnung", wie sie beispielsweise von den Vereinten Nationen (UN) vorangetrieben werden.
Im September 2015 wurde dazu der Plan der UN "Global Sustainable Development Goals. The 2030 Agenda for sustainable Development" angenommen. Er sieht die Realisation von 17 Zielen vor. Dazu zählen zum Beispiel: Armut und Hunger beenden; Gesundheit für alle; gerechte Bildung; Gleichstellung der Geschlechter; die Ungleichheit soll reduziert und Konsum und Produktion sollen nachhaltig ausgerichtet werden; es gilt, würdige Arbeitsbedingungen zu schaffen; und vor allem ist für den Schutz der Umwelt und des Klimas Rechnung zu tragen. Die wichtige Frage dabei lautet: Wie sollen diese Ziele erreicht werden?
Der UN-Plan enthält keinerlei Hinweise darauf, dass er mit Liberalismus-Kapitalismus, mit Bewahrung der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung in die Tat umgesetzt werden soll. Vielmehr scheint man voll und ganz auf staatlichen Interventionismus setzen zu wollen, also auf Zwang in Form technokratischer-bürokratischer Eingriffe in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Die ökonomische Theorie kann eine Folgeabschätzung eines solchen Weges bereitstellen: Der UN-Plan, in die Tat umgesetzt, läuft auf das Errichten eines Neo-Sozialismus hinaus, der mit individueller Freiheit und Wohlstand nicht vereinbar ist; mit ihm ist die Postdemokratie eingeläutet.
Sozialistische Projekte - welche Ziele sie auch immer in Aussicht stellen, welche Mittel sie auch zu ihrer Erreichung einsetzen - werden scheitern. Wirtschaften und Gesellschaften, die sich nach sozialistischen Grundsätzen ausrichten, sind nicht überlebensfähig, bringen nicht das, was sich diejenigen, die den sozialistischen Heilsversprechern ins Netz gehen, erhoffen. Ein weltweiter vereinheitlichter Neo-Sozialismus wird der Mehrheit der Menschen großes Leid zufügen, wird die Probleme, die er vorgibt lösen zu können, nicht lösen.
Der politische Globalismus, dem sich viele Staaten der Welt verschrieben haben, stellt eine unheilvolle Entwicklung in Aussicht. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass diese Einsicht letztlich doch noch zu einem Umdenken führt.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH