Ein Gespenst geht um: Das Gespenst des Sozialismus
18.12.2020 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Weltkonjunktur wird sich von der Coronavirus-Krise erholen. Hingegen stellt das Vordringen marxistischer-sozialistischer Politikprogramme eine ernste Bedrohung dar für die friedvolle und produktive Kooperation der Menschen national wie international.
"Sozialismus muss so attraktiv sein, dass man die Leute nicht einmauern muss." - Sahra Wagenknecht

Die Überwindung des Corona-Virus
Epidemien und Seuchen sind in der Menschheitsgeschichte immer wieder aufgetreten. Man denke nur einmal an die Pest (im 14. Jahrhundert), die Cholera (beispielsweise in Hamburg im Sommer 1892), die Spanische Grippe (die 1918 nach Ende des Ersten Weltkriegs Europa erreichte) oder die "Asia-Grippe" (die weltweit von 1957 bis 1968 Millionen Tote forderte).
Die Methode des Abriegelns, der Quarantäne waren stets Maßnahmen, um Epidemien und Seuchen zu bekämpfen. Später kamen Hygiene, Desinfektion und Verhaltensregeln hinzu als Folge des medizinischen Fortschritts. Im Zuge der jüngsten Corona-Epidemie wurden beispielsweise Schnelltests entwickelt und Antikörper von Genesenen analysiert, um festzustellen, ob nach überstandener Covid-19-Erkrankung Immunität vorliegt. Impfstoffe werden entwickelt.
Der Wissensfortschritt in der Medizin ist zwar kein Garant, dass Viruserkrankungen immer und überall beherrschbar sind. Doch er gibt berechtigte Hoffnung, dass die Corona-Epidemie früher oder später überwunden sein wird. Sie wird allerdings Spuren hinterlassen. Der politisch diktierte Stillstand der Wirtschaft ("Lockdown") hat die Produktion einbrechen lassen und für Massenarbeitslosigkeit gesorgt.
Das fein gewebte Netz der internationalen Arbeitsteilung, die sich durch mehrstufige Produktions- und Lieferketten auszeichnet, ist beschädigt. Das Kapital vieler Unternehmen ist zerstört. Banken erleiden Kreditausfälle, weil Schuldner ihren Schuldendienst nicht mehr leisten können. Die Politik des "Lockdown" ist für Volkswirtschaften, die sich einem ungedeckten Papiergeld verschrieben haben, besonders problematisch; doch davon später mehr.
Wenn eine Epidemie mit der Politik des Lockdown bekämpft wird - die sich übrigens nicht auf einen wissenschaftlichen Konsens berufen kann -, dann ist das vor allem auch sozial-gesellschaftlich extrem problematisch. Sie stellt schließlich einen dramatischen Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen dar. In vielen Ländern stellt sie einen Verstoß gegen die Verfassung dar, die die Freiheitsrechte des Individuums gegen staatliche Übergriffe schützen soll.
Gleichzeitig ermächtigt sie Regierende und Bürokraten, sich zusehends zum Zwingmeister über ihre Mitmenschen aufzuschwingen; und den Machtzuwachs, den der Staat dabei erfährt, gibt er nicht freiwillig wieder her. Vor allem Arbeitnehmer und Unternehmer geraten zusehends in staatliche Abhängigkeit - denn viele von ihnen sind im Lockdown existentiell auf Transfers angewiesen.

Quelle: Refinitiv; IMF, Oktober 2020; Einschätzungen Degussa.
Wenn man damit rechnet, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus früher oder später greifen und Lockdowns sind nicht verewigen lassen, dann kann man auch erwarten, dass sich die Konjunkturen erholen werden; (Abb. 1) zeigt unsere aktuelle Einschätzungen. Eine graduelle Zunahme des privaten Konsums, der Staatsausgaben und des Außenhandels dürften die Verbesserung der offiziellen Datenlage prägen.
Die Lage auf den Arbeitsmärkten wird jedoch angespannt, die Unterbeschäftigung hoch bleiben. Und auch wenn 2021 ein Jahr der wirtschaftlichen Erholung in Aussicht stellt, bleiben erhebliche Risiken. Eine grundsätzliche Gefahr für den Wirtschaftserfolg scheint dabei jedoch immer noch unterschätzt zu werden - und das ist das Vordringen marxistischersozialistischer Ideen, die mittlerweile auf fruchtbaren Boden fallen.
Die große Bedrohung: Der Weltsozialismus-Virus
Marxistische-sozialistische Ideen - die von den Menschen häufig als solche gar nicht erkannt werden - feiern weltweit eine Renaissance. Sie richten sich, kurz gesprochen, gegen die Freiheit des Individuums, gegen das System der freien Märkte - den Kapitalismus -, und sie zielen darauf ab, dass der Staat von zentraler Stelle Wirtschaft und Gesellschaft lenkt. Derartige Ideen verbergen sich beispielsweise hinter den Forderungen nach einer "Großen Transformation", nach einem "Great Reset", durch die die Weltwirtschaft neu geordnet und fortan gemäß den Zielen "Nachhaltigkeit", "Gleichheit" und "Fairness" ingenieursmäßig gesteuert werden soll.
Klimawandel und jüngst das Coronavirus werden instrumentalisiert, um Staaten und Regierungen zu weitreichenden Eingriffen in Wirtschaft und Gesellschaft zu verhelfen. Dass marxistische-sozialistische Ideen ungehindert vordringen, liegt vor allem an drei Faktoren.
(1) Der Marxismus-Sozialismus verspricht den Menschen eine bessere, gerechtere und friedvollere Welt. Das sind Verlockungen, die viele Menschen für ihn einnehmen. Marxistische-sozialistische Ideen bedienen vor allem die Ressentiments derjenigen, die meinen, sie seien zu schlecht weggekommen; und stellen mit ihrem "Gleichheitsideal" in Aussicht, dass diejenigen erniedrigt werden, die besser sind als der Durchschnitt. Der Marxismus-Sozialismus schürt Neid und Missgunst, Gefühlregungen, denen sich viele Menschen nicht entziehen können.
(2) Die Akzeptanz des Marxismus-Sozialismus bei vielen Menschen speist sich aus Fehldeutungen, die seine Befürworter gekonnt verbreiten: Dass nämlich für die Übelstände der Zeit - ob Wirtschafts- und Finanzkrisen, Einkommensungleichheiten, Altersarmut oder Umweltschäden - das System der freien Märkte verantwortlich sei; und dass das Ersetzen der freien Märkte (des Kapitalismus) durch den Sozialismus-Kommunismus die Lösung ist. Eine falsche Deutung der Tatsachen - denn, um es an dieser Stelle kurz zu halten, wir leben nicht im Kapitalismus, sondern im Interventionismus.
(3) Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas wird häufig mit viel Bewunderung dem "Erfolgsmodell" der "sozialistischen Marktwirtschaft" zugesprochen. Doch Chinas Wirtschaftssystem ist keine Marktwirtschaft im wohlverstandenen Sinne. Vielmehr kann man sie als eine Art Befehls- und Lenkungswirtschaft einstufen, in der die Kommunistische Partei Chinas die Zügel fest in den Händen hält und gezielt und mit langem Atem versucht, Chinas Wirtschafts- und Gesellschaftssystem weltweit zu verbreiten.
Dem Vordringen marxistischer-sozialistischer Ideen wird kaum mehr etwas entgegengesetzt. Hauptstrom-Ökonomen, viele Journalisten und Politiker, aber auch viele Wähler befürworten mittlerweile das ad hoc Eingreifen des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft, um bestimmte Ziele zu erreichen - sei es die Konjunktur zu stabilisieren, den Mietpreisanstieg zu verhindern oder den CO2-Austoss zu verringern.
Diese Art von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bezeichnet man als "Interventionismus". Er erleichtert das Vordringen sozialistischer Politik. Denn der Interventionismus arbeitet im Prinzip in die gleiche Richtung wie der Sozialismus: indem er das, was von der freien Marktwirtschaft noch übrig ist, durch eine staatliche gelenkte Wirtschaft zu ersetzen sucht.
Die Probleme des Interventionismus und auch des Sozialismus sind bekannt: Beide Formen der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Kooperation sind nicht dauerhaft durchführbar beziehungsweise sind zum Scheitern verurteilt. Sie setzen die Wirtschaftsleistung herab, zerstören Eigentum, Recht und Freiheit, ebnen den Weg in eine Tyrannei.
Die fortgesetzte Abkehr vom System der freien Märkte (beziehungsweise von dem, was davon noch übrig ist) ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn in letzter Konsequenz ist damit das friedvolle und kooperative Zusammenleben der Menschheit bedroht beziehungsweise macht es zusehends unmöglich. Ohne das kapitalistische Wirtschaften lässt sich eine Weltbevölkerung von mehr als 7 Milliarden Menschen nicht ernähren, kleiden und behausen.
Die inflationäre Geldpolitik

Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa.

Quelle: IIF; Graphik Degussa.
Getragen wird die derzeitige konjunkturelle Verbesserung von einer extremen Geldpolitik. Die Zentralbanken haben die Zinsen auf beziehungsweise sogar unter die Nulllinie gesenkt, sie finanzieren offene Rechnungen mit der Ausgabe von neu geschaffenem Geld, und sie sichern vor allem den Finanzmärkte zu, ungewollte Zahlungsausfälle von Schuldnern abzuwenden. Das alles läuft auf eine inflationäre Geldpolitik hinaus.
Angesichts des starken Anwachsens der Geldmengen dies- und jenseits des Atlantiks ist daher auch mit steigenden Konsumund/ oder Vermögenspreisen zu rechnen; die Kaufkraft von US-Dollar, Euro und Co wird fallen, und stärker als in den Jahren zuvor. Eine Abkehr von dieser Geldpolitik ist nicht zu erkennen.
Denn die politisch diktierte Lockdown-Krise hat die weltweite Verschuldungslage weiter verschlechtert: durch einen Rückgang der Wirtschaftsleistung und das Ansteigen der Kreditvolumina. Das International Finance Institute (IIF) schätzt, dass Ende 2020 die Schulden weltweit 277 Billionen US-Dollar betragen werden, das wären etwa 365 Prozent des Welt-Bruttoinlandsproduktes (Abb. 3).
Es bedarf nicht vieler Worte um zu verstehen, dass unter den anschwellenden Schulden ein Ansteigen der Zinsen sehr unwahrscheinlich geworden ist. Die Zentralbanken kontrollieren die Zinsmärkte. Und da es politisch nicht gewünscht ist, dass die Zinsen ansteigen, werden die Zentralbanken sie künstlich niedrig halten. Die inflationäre Geldpolitik täuscht die Menschen über die wahren Kosten der Lockdown-Krise und der damit verbundenen wachsenden staatlichen Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft hinweg.
Der Einkommensausfall wird durch neue Staatsschulden und neu geschaffenes Geld finanziert. Das verringert den Widerstand gegen diese Politik. Denn die Härten der Arbeitslosigkeit und Umsatzausfälle lassen sich so abmildern. Gleichzeitig steigt die Abhängigkeit der Menschen vom Staat. Dieser Prozess wird verstärkt, wenn Unternehmen scheitern und die Arbeitslosigkeit strukturell ansteigt. Immer mehr Menschen befürworten dann den großen und mächtigen Staat, der für ihre Einkommen zu sorgen hat.
"Halb zog sie ihn, halb sank er hin", so heißt es in Johann Wolfgang von Goethes Balade "Der Fischer". Ganz ähnlich sind auch die Folgen, die das Flirten der westlichen Welt mit marxistischen-sozialistischen Ideen nach sich zieht. Nach und nach schwindet der Widerstand gegen das Vordringen des Staates. Die Freiheiten in Wirtschaft und Gesellschaft schwinden, Wachstums- und Beschäftigungspotentiale verschlechtern sich.
Wenn Freiheit und Wohlstand für die breite Bevölkerung erhalten beziehungsweise wiedererlangt werden sollen, dann gilt es in einem ersten Schritt zu erkennen: Es geht ein Gespenst um, das Gespenst des Marxismus-Sozialismus. Ob "Große Transformation", "Großer Neustart" ("Great Reset"), Null- und Negativzinspolitik oder die Politik des Klimawandels, sie alle kommen aus der marxistischen-sozialistischen Hexenküche. Der zweite Schritt erfordert die entschiedene Abkehr vom bisher verfolgten Weg.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH