Greenspan´s Bubbles
25.03.2008 | Mag. Gregor Hochreiter
Als Alan Greenspan am 31. Jänner 2006 aus seinem langjährigen Amt als Vorsitzender der amerikanischen Zentralbank schied, ging für viele Menschen eine einzigartige Ära zu Ende. Über 18 Jahre lang hatte der ehemalige Vorsitzende und Präsident des Consulting-Unternehmens Townsend-Greenspan & Co., Inc. und Vorsitzende des einflußreichen "Council of Economic Advisers" unter Präsident Gerald R. Ford die Geschicke der wichtigsten Zentralbank der Welt geleitet. Seine Amtszeit war überschattet von zahlreichen Finanzkrisen, die er in den Augen der Finanzwelt so erfolgreich meisterte, daß er mit dem Beinamen "The Maestro" in den geldpolitischen Adelsstand erhoben wurde.
Doch schon kurz nach der Übergabe seiner Agenden an seinen Nachfolger Ben Bernanke mehrten sich die kritischen Stimmen selbst von ihm bislang wohlwollend gesinnten Ökonomen. Mit seiner Niedrigzinspolitik habe er die USA in eine historisch einmalige Verschuldung geführt und die solide Realwirtschaft in eine inhärent krisenanfällige Blasen-Ökonomie verwandelt, die mehr und mehr einem Potemkinschen Dorf ähnle: schillernde Fassaden, die sich bei genauerem Hinsehen als substanzlos erweisen. Neu war nicht der Inhalt dieses Tadels. Dieser wurde von den amerikanischen Vertretern der "Wiener Schule" immer und immer wieder vorgebracht. Neu war, daß im Geiste der "Wiener Schule" gestrickte Argumentationsketten in den sogenannten Mainstream Eingang gefunden haben.
Daß Alan Greenspan als einer der größten Inflationisten in die Geschichte eingehen wird, erstaunt im Rückblick so manchen. Seine Wandlung vom vehementen Verfechter des Goldstandards, der in den 1960ern eindringlich vor den fatalen Folgen einer Entkoppelung der Währung von der Golddeckung gewarnt hatte, zu einem der größten Inflationisten, in dessen Amtszeit die Geldmenge M3 verdreifachte. Der auf jede wirtschaftliche Schwächephase nur ein Rezept kannte: die Zinssenkung. Eine Vorgehensweise, die den Zielen des Goldstandards diametral entgegensteht.
Vor dem Hintergrund seiner Ausführungen in dem Artikel "Gold und wirtschaftliche Freiheit“ aus dem Jahre 1966 (im engl. Original: "Gold and Economic Freedom") stellt sich natürlich die Frage, ob er in den fast zwei Jahrzehnten seiner Amtstätigkeit aus Überzeugung handelte? Wenn ja, warum ließ er seinen Worten in "Gold und wirtschaftliche Freiheit" keine angemessenen Taten folgen? Aus opportunistischer Geltungssucht? Oder stocherte er vollkommen unbedarft in dem unendlichen Meer an ökonomischen Daten, ohne das geldpolitische Steuerrad festen Griffs auf Kurs zu halten? Oder steckt hinter seiner Vorgehensweise gar der genialer Plan jenes Geldpolitikers, der zumindest in der Jugendzeit dem Objektivismus von Ayn Rand eng verbunden war?
Die beiden Autoren des vorliegenden Werkes, William A. Fleckenstein, erfolgreicher Kolumnist auf MSN Money und Vorstandsvorsitzender des Hedgefunds „Fleckenstein Capital“, und sein Ko-Autor Frederick Sheehan geben auf diese Fragen keine direkten Antworten. Ihre penible Recherchearbeit in "Greenspan’s Bubbles" liefert jedoch wichtige Belege für das bessere Verständnis von Alan Greenspans Tun. Zu diesem Zwecke quälten sich die beiden Autoren durch unzählige Schriftstücke, wobei ihnen dieses Unterfangen einiges an Geduld abverlangte. Die entscheidenden Schlüsseldokumente wie die Protokolle der Sitzungen des "Federal Open Market Committee", dem für die Zinsentscheidung verantwortlichen Gremium unter Vorsitz Greenspans, werden nämlich erst nach Ablauf einer fünfjährigen Verschlußzeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (siehe hier.)
Die sorgfältige Arbeit der beiden Autoren zeigt klar und deutlich, daß Alan Greenspan seine Argumente nach Belieben änderte. Einmal war die Entstehung einer Blase im Vorhinein unmöglich zu prognostizieren - "a bubble is perceivable only in retrospect" -, Jahre später spielte er sich als erfolgreicher Bekämpfer derselbigen auf, obwohl diese ja erst im Nachhinein zu erkennen war. Was kümmert mich heute mein Geschwätz von gestern. In einer Zeit der Schnellebigkeit wußte er das breite Desinteresse der Öffentlichkeit an zeitaufwendiger Recherche zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen und baute sich im Laufe der Zeit ein Image als nahezu unfehlbarer Weltenlenker auf. Am Höhepunkt seines - zweifelhaften - Ruhmes waren die Zeitungen voll mit tiefgründigen Interpretationsversuchen der Kommentare des "Maestro". Das Orakel spricht, die Finanzwelt versucht die Aussagen zu deuten. Wie die in diesem kurzweiligen Buch zusammengetragenen Gegenüberstellungen zeigen, bauen Greenspans Orakelsprüche im Grunde genommen auf nichts auf. Sie weisen keine argumentative Konsistenz auf und glänzen mehr durch theoretische Wankelmütigkeit als durch profunde Einsichten. Umso rätselhafter, warum sich dieser Mann 18 Jahre lang an der Spitze dieser Institution halten konnte. Das Buch bleibt leider auch den Versuch einer Antwort schuldig, wer Greenspan dennoch den Weg in die Federal Reserve ebnete.
Erschwerend zu Greenspans katastrophaler Fehlleistung als Vorsitzender der "Bank der Banken" kommt hinzu, daß er schon zu seiner Zeit als Analyst mit seinen Prognosen öfter falsch als richtig lag. Er war also mit seiner Aufgabe als Vorsitzender der mächtigsten Zentralbank nicht einfach nur überfordert, er brachte aus Sicht eines empirisch arbeitenden Ökonomen nicht einmal das notwendige akademische Rüstzeug mit. Die aalglatte Unangreifbarkeit seines relativistischen Pragmatismus und sein zur Meisterschaft gebrachtes Doppelsprech sicherten ihm Macht, Anerkennung und Einkommen. Das legt den Verdacht nahe, daß ihn seine persönliche Geltungssucht zu jenen Handlungen motivierte.
Warum ihn die Finanzwelt trotz seiner notorischen Fehlprognosen zu ihrem Guru erhob und ihm den ehrfürchtigen Titel "The Maestro" verlieh, ist hingegen leicht zu erklären. Wenn man sich sonst schon keinen Reim auf die Aussagen und Handlungen Greenspans machen kann, ein eindeutiges Muster ergeben seine unzähligen geldpolitischen Weichenstellungen dann doch. Wann immer die durch die Inflation an den Rande des finanziellen Bankrotts geratenen Banken und Versicherungen endgültig zu kollabieren drohten, öffnete er eine geldpolitische Schleuse nach der anderen in Form sukzessiver Zinssenkungen. Die großen Profiteure dieser Geldpolitik, die mithilfe der Inflation die Übel der Inflation wiederholt zu bekämpfen versuchte, waren die Finanzwelt mit ihrem pulsierenden Zentrum der Wall Street. Für die im Schlamassel steckenden und von der Boomphase verwöhnten Banker, Analysten und Investoren ist die um den Preis noch tiefgreifenderer Verwerfungen erkaufte temporäre Rettung der einzige Ausweg aus einer akuten Krise.
Und im Unterschied zu seinem Vorgänger Paul Volcker, der mit schockartigen Zinserhöhungen die notwendige Bereinigung von den inflationistischen Exzessen der 1960er und 1970er Jahre in die Wege leiten wollte, ließ er die Finanzwelt nicht hängen und entfachte einen in allen Belangen einzigartigen Börseboom: 1987 (Black Monday), die Savings&Loan-Krise, 1998 das LTCM-Debakel, 2000/2001 das Platzen der dot.com-Blase, immer dieselbe Reaktion - die Zinsen wurden gesenkt, um die in den Seilen taumelnden Opfer ihrer eigenen Unvorsichtigkeit nicht endgültig K.O. gehen zu lassen. Dieses Handlungsmuster ist auch unter dem Begriff "Greenspan-Put" bekannt. Mit Greenspan im Rücken konnte man ohne großes Risiko auf steigende, wenngleich künstlich aufgeblasene Kurse setzen. Die für diese institutionalisierte Verantwortungslosigkeit in astronomische Höhen gekletterte Zeche überläßt man dann einfach der steuerzahlenden Allgemeinheit.
Seine eloquent vorgetragenen geldpolitischen Analysen entpuppen sich als geschicktes Ablenkungsmanöver. Der Öffentlichkeit wird ein Schauspiel vorgeführt, dessen wahre Handlung dem im wahrsten Sinne des Wortes draufzahlenden Publikum geschickt vorenthalten wird. Elegant wäscht eine Hand die andere. Mit Fortdauer der Inflationierung steigt die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Analysten, Bankern, Ratingagenturen, Zentralbankern und der Finanzjournaille, so daß sich der Eindruck einer großangelegten Verschwörung fast von selbst aufdrängt. Wohl wäre es zu einfach, eineeinzige Absprache hinter dieser Vorgehensweise zu vermuten. Daß Alan Greenspan von den Profiteuren des "Greenspan-Put" mit dem Ehrentitel "The Maestro" geadelt wurde, erscheint unter Einbeziehung des "Cui bono" allerdings wenig überraschend.
Daher deutet einiges darauf hin, daß der ehemalige vehemente Verteidiger des Goldstandards den süßen Verlockungen der Macht und den schmeichelnden Worten der Finanzwelt erlegen ist. Denn kein einziges Mal während seiner langen Amtszeit unternahm er den Versuch, dem wohlstandsmindernden und freiheitserodierenden Inflationismus Einhalt zu gebieten. Selbstverständlich wäre es wesentlich mühseliger gewesen, sein Leben dem Kampf gegen das destruktive Papiergeldsystem zu widmen als mit dem inflationistischen Zeitgeist mitzuschwimmen. Als "The Maestro", als "Magier der Geldpolitik" (FAZ) wäre er dann wohl nie in den Geschichte eingegangen. Er hätte aber zumindest seinen Beitrag leisten können, die gesellschaftliche Selbstzerstörung ein wenig einzudämmen.
Wie bereits kurz angedeutet, steht noch eine andere Vermutung über die eigentlichen Absichten von Alan Greenspan im Raum, die hinter Greenspans Vorgehensweise einen genialen Plan zu erkennen vermeint. Nicht eine Verschwörung weniger Oligarchen auf Kosten der Allgemeinheit. Vielmehr habe der "Maestro" mit seiner inflationistischen Geldpolitik das Zentralbankwesen derart in Mißkredit gebracht, daß es beim unausweichlichen Kollaps des Dollars mituntergehen werde. Derart habe der dem Objektivismus von Ayn Rand nahestehende Alan Greenspan, dessen bereits erwähnter Artikel zunächst im Newsletter "The Objectivist", danach im Sammelband "Capitalism, the Unknown Ideal" von Ayn Rand veröffentlicht wurde, den Amerikanern eigentlich einen Liebesdienst erwiesen. Seine von Anfang auf Scheitern ausgelegte Geldpolitik diene als Augenöffner. Eine Generation müsse sich ordentlich die Finger verbrennen, um den zukünftigen Generationen als mahnendes und eindringlich warnendes Beispiel zu dienen.
Sofern dies tatsächlich die ureigenste Intention von Alan Greenspan gewesen sein sollte, was zugegeben äußerst unwahrscheinlich scheint, stellt sich die Frage, ob der noble Zweck die gewählten Mittel rechtfertige. Darf ein derart mächtiger Politiker - selbst aus edlen Motiven - die Bevölkerung hinters Licht führen und den Wohlstand eines ganzen Landes opfern?
Wie kann Alan Greenspan sicher gehen, daß nach dem unausweichlichen Kollaps die Bevölkerung tatsächlich die richtigen Schlüsse zieht und dem ungedeckten Papiergeld ein für allemal abschwört? Vor allem in einer intellektuellen Landschaft, die über die tatsächlichen Gründe der Geldentwertung so gut wie nicht Bescheid weiß. Die - wie im 20. Jahrhundert - nicht die Zentralbank und ihr eigenes mangelndes Wissen für das Sich-in-Luft-auflösen der Ersparnisse verantwortlich macht, sondern andere, gänzlich Unbeteiligte zu Sündenböcken stempelt. Alan Greenspan hat ja selbst keinen Deut zu einem besseren ökonomischen Verständnis während seiner Amtszeit beigetragen. Im Gegenteil; er trug maßgeblich dazu bei, daß sich ökonomische Irrtümer immer tiefer ins Bewußtsein der Bevölkerung einbrannten; daß unter Inflation der Anstieg der Konsumentenpreise zu verstehen sei, daß es die Aufgabe der Zentralbank wäre, die Inflation zu bekämpfen, sowie die Konjunkturwellen zu glätten und daß der Konsum der Motor des Wirtschaftswachstums wäre, um nur einige Beispiele zu nennen.
Hinter der auf die Ideenwelt übertragenen Vorstellung, daß ein Kind, das sich einmal an der Herdplatte die Finger verbrannt hat, niemals mehr auf eine heiße Platte greifen wird, steckt der naive Glaube, daß der Mensch von Natur aus das Richtige und Wahre in allen Dimensionen sofort erkenne. Drückt man auf den Knopf, indem man beispielsweise eine veritable Wirtschaftskrise provoziert, würden die Menschen gleichsam über Nacht zur Vernunft gelangen und imstande sein, in allen Fragen nunmehr nicht nur das Richtige vom Falschen, das Gute vom Schlechten scheiden zu können, sondern dies auch zu verwirklichen. Das Paradies auf Erden wäre - endlich - verwirklicht.
Doch nicht nur die Geschichte lehrt uns, daß dieser Automatismus nicht zu erwarten ist. Wie bereits angedeutet, verursacht die Inflationierung des Geldes nicht nur ökonomische, sondern insbesondere auch moralische Verwerfungen. Darauf weist u.a. Guido Hülsmann in seinem Buch "Die Ethik der Geldproduktion" nachdrücklich hin. Eine inflationistische Lebensauffassung ist geprägt von einem in allen Lebensbereichen dominierenden Konsumerismus, an den sich die Bevölkerung über die Zeit gewöhnt. Wie bei jeder Droge ist die Entwöhnung deutlich langwieriger als der Gewöhnungsprozeß, weswegen es keine Selbstverständlichkeit ist, daß nach der Im- oder Explosion des Dollars das inflationistische Spielchen nicht wieder von Neuem in Gang gebracht wird. Tugendhaftes wie untugendhaftes Verhalten ist, wie wir seit Aristoteles wissen, eine Frage der Haltung, der Gewöhnung. Und es spricht absolut nichts dafür, daß die Gewöhnung an die kurzfristigen Verlockungen der Inflation mit dem unausweichlichen Zusammenbruch der Währung abrupt einer vernünftigeren Einstellung weichen würde.
Gerade weil die konkreten Auswirkungen auf die zukünftigen menschlichen Präferenzen unter keinen Umständen voraussagbar sind, dürfen wohlstandsgefährdende und freiheitserodierende Institutionen wie Ideen nicht aus utilitaristischen Überlegungen gestützt werden. Schon gar nicht auf Kosten jener Mitbürger, die die Zeche dieser verantwortungslosen Geldpolitik zu bezahlen haben. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, unabhängig davon wie nobel der Zweck auf den ersten Blick auch scheinen mag.
Zu guter Letzt sei noch auf ein besonderes Verdienst von "Greespan’s Bubble" verwiesen - die Enttarnung des amerikanischen Produktivitätswunders, das diesseits des Atlantiks die Wirtschaftspolitiker jahrelang auf Trab gehalten hat. Fleckenstein und Sheehan belegen mit einigen Statistiken, daß die vermeintlichen Produktivitätsgewinne durch die IT-Revolution maßlos übertrieben worden sind. Und selbst wenn man die Zahlen für bare Münze nähme, wäre das Produktivitätswachstum nicht signifikant höher ausgefallen als in den Jahrzehnten davor. Die Autoren beschließen ihre Ausführungen zu diesem Thema mit einer Schlußfolgerung, die Kennern der auf Ludwig von Mises zurückgehenden Konjunkturzyklustheorie bekannt vorkommen dürfte:
"Während die technologische Entwicklung und die Produktivitätsgewinne dem Vorsitzenden [Alan Greenspan] den Atem raubten, zeichnete eigentlich seine Geldpolitik in erster Linie für diese Euphorie verantwortlich, nicht die technologische Entwicklung oder die Produktivität - diese dienten bloß als Rationalisierungen“ (S. 164).
In anderen Worten: der Überoptimismus - in den Worten von Greenspan "irrational exuberance" - ist nicht der Grund des Booms, sondern dessen Folge. Dasselbe gilt für den Pessimismus in der Rezessionsphase, der wiederum die wirtschaftlichen Realitäten abbildet und nicht verursacht. Diese Interpretation steht in eindeutigem Widerspruch zu den heute so populären und auf J.M. Keynes zurückgehenden psychologischen Erklärungen für den Konjunkturzyklus. Die Zentralbanker sehen es deswegen als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, die Stimmung in der Wirtschaft mit allen erlaubten und unerlaubten Tricks hochzuhalten.
Das endgültige Urteil über die wahre Persönlichkeit von Alan Greenspan und seine eigentlichen Absichten ist mit "Greenspan’s Bubbles" noch nicht gesprochen. Dies war auch gar nicht die Intention der beiden Autoren. Ihnen ging es lediglich darum, die janusköpfige, ja fast schon schizophrene Lebenswelt Greenspans anhand unzähliger trockener Sitzungsmitschriften aufzuzeigen. Diese mühselige Arbeit gelang ihnen in einem bewundernswert entkrampften Stil und leisten mit ihrem Buch somit einen lesenswerter Beitrag zur Entmystifizierung jenes durch und durch widersprüchlichen Geldpolitikers.
© Gregor Hochreiter
Institut für Wertewirtschaft
Den Autor können Sie unter gh@wertewirtschaft.org erreichen