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Öl, Gold und der Risikofaktor "Black Box"

23.04.2008  |  Ronald Gehrt

Die Rohstoffe stehen in diesen Wochen dermaßen im Fokus, dass sogar die Entwicklung der Aktienmärkte ihre zementierte Pole-Position unter den Diskussionsthemen verliert. Und selten wurde so kontrovers diskutiert, selten waren diese Gedanken mit so viel Gier auf der einen und Furcht auf der anderen Seite angefüllt. Moral kontra Profit, Verantwortung kontra Rendite, Mangel kontra Masse.

Seit die kritische Situation der US-Konjunktur zu geistigem Allgemeingut wurde, steigen die Rohstoffe. Die "Standards" wie Gold und Öl von Anfang an, einige "vergessene" Bereiche kamen in den vergangenen Wochen hinzu. Besonders, als die Aktienmärkte im März entgegen der Hoffnungen vieler erneut stark unter Druck gerieten, gab es noch einen starken, allgemeinen Aufwärtsimpuls. Schlicht gesagt, zwischen Januar und Mitte März stieg einfach alles, was auch nur ansatzweise in den Bereich der Rohstoffe gehört. Natürlich nicht ohne verbale Unterstützung: So genannte Experten jedweder Couleur priesen Rohstoffe als einzige Rettung gegen fallende Aktien und explodierende Inflation.


Sägt nur weiter!

Kaum jemand dachte weit genug, um sich des einfachen Kreislaufs bewusst zu werden, der so losgetreten wurde. Je mehr Anleger glauben, in Rohstoffe investieren zu müssen, desto stärker steigen deren Preise, was zu weiter steigenden Inflationsraten und höherem Kostendruck bei den Unternehmen führt, was noch mehr Anleger aus dem Aktienmarkt in Rohstoffe treibt, was deren Preise erneut nach oben treibt ... und so weiter.

Außer 1979/80, als wir im Zuge der letzten schweren Attacke des Irrsinns neben dem Silber-Corner der Hunts durch Mitläufer bei Gold und fast allen anderen Rohstoffen ebenfalls eine parabolische Kursentwicklung erlebten, gab es eine solche Situation nicht. Und selbst damals gab es einen Unterschied: Damals wurde dadurch aus hoher Inflation eine galoppierende Inflation und DAS führte in eine Rezession. Diesmal sind wir bereits - in den USA - in einer Rezessionsphase und sorgen durch den Run in Rohstoffe dafür, dass sie so richtig in Schwung kommt. Grandios.

Selbst wenn man in Geld schwimmt (diese Leute haben ja besonders Angst davor, dass es weniger werden könnte) sägt man auf diese Weise an dem Ast, auf dem man sitzt. Es lässt sich schlecht dicke Geschäfte machen, wenn die Zahl derer, mit denen man sie machen könnte, sukzessive schrumpft. Aber sei’s drum, das ist heute nicht mein Thema. Es soll mir heute vor allem um die momentane Lage bei Öl und Gold gehen, wobei ich dazu ausholen muss:


Der grundsätzliche Aufwärtstrend ist nachvollziehbar

Zum Thema persönlicher Verantwortlichkeit hatte ich mich unlängst in einer Kolumne mit dem Titel "Spekulanten des Hungers" geäußert und neben viel Zuspruch auch einige Kommentare erhalten, die mich - freundlich formuliert - haben staunen lassen. Umso mehr freut es mich, dass mir nun der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe zur Seite steht, was Verantwortlichkeit und Bedeutung der Spekulanten angeht.

Eines möchte ich dabei klar stellen, da das einige nicht verstanden hatten: Es ist in einer Kolumne nicht möglich, alle Seiten einer Thematik ausführlich darzustellen. Gerade bei dieser Thematik würde daraus ein Buch, aber keine tagesaktuelle Kolumne. Diejenigen, die mir regelmäßig vorwerfen, ich habe aber dies nicht bedacht, jenes nicht angesprochen, sei gesagt: Weiß ich. Ich bin auch nicht erst gestern vom Rübenlaster gefallen, aber auf vier bis sechs Seiten, die eine Kolumne umfasst, kann ich eine Perspektive darstellen, nicht das ganze Spektrum. Dementsprechend weiß ich ebenso wie manch ein Kommentator, dass es hinreichend Gründe gibt, dass die Preise für Rohstoffe steigen:

Die Zahl potenzieller Verbraucher wächst, die Rohstoffvorkommen aber nicht. Und die momentanen Anbaukapazitäten für Agrarrohstoffe werden teilweise immer noch künstlich niedrig gehalten (um die Preise zu stabilisieren, sprich aus Gründen vergangener Jahre) oder Potenziale blockiert (z.B. in vielen Teilen der Dritten Welt), damit die momentan dick im Geschäft sitzenden Leute dies auch schön bleiben. Ich meine nicht die Landwirte, bevor hier wieder Kommentare kommen, sondern die Leutchen fünf Etagen höher. Und ja, auch wenn das keine entscheidende Größe ist: Es landet nun auch allerhand Essbares im Tank. Alles keine Frage.

Wer sich nun aber hinstellt und eigene Verantwortung bestreitet, indem er erklärt, die Spekulanten hätten die Entwicklung der vergangenen Monate nicht mit zu verantworten, macht es sich ganz genauso leicht, wie ich befürchtet hatte. Dazu:

Der Weizenpreis schwankte in den vergangenen Jahren zwischen 450 und 650 Dollar pro Bushel. Doch dann, im August 2007, ging es plötzlich los: Von 650 stieg Weizen plötzlich wie eine Rakete bis Mitte März auf 1.300 Dollar/Bushel, um in den letzten Wochen ebenso rasant wieder auf 850 zurück zu fallen.





Was der "Spiegel" schreibt:

So plötzlich ist die Nachfrage gestiegen und das Angebot verdampft? Und seit Mitte März ist alles auf einmal anders herum? Ist die Spekulation wirklich Nebensache, wenn Weizen von Anfang Februar bis Mitte März von 900 auf 1.300 Dollar stieg um dann binnen zwei Wochen wieder auf 900 zurückzufallen, sprich die komplette prozentuale Handelsspanne von Jahren binnen ein paar Wochen zurück legte? Der Spiegel zitiert in seinem Artikel "tödliche Gier", Ausgabe 17 vom 21.4.2008, Seiten 108-112, zum Thema Weizen den US-Analysten Greg Wagner (die Genehmigung zum zitieren wurde mir netterweise erteilt):

... "Normalerweise haben wie hier eine überschaubare Gruppe von Käufern und Verkäufern, also von Farmern und Silobetreibern", sagt er. Mit dem Zustrom großer Indexfonds hat sich das geändert. Die Finanzmanager raffen, was sie an Terminkontrakten kriegen können. Folge: "Die Preise klettern immer höher und höher", sagt Wagner. Inzwischen, so hat er errechnet, halten die Finanzinvestoren die Rechte an zwei kompletten Jahresproduktionen der in Chicago gehandelten Weizensorte "Soft Red Winter Wheat" ...

Todd Kemp vom amerikanischen Getreide- und Futterverband im selben Artikel: ... "Der riesige Kapitalzufluss hat inzwischen dazu geführt, dass die Terminmärkte Angebot und Nachfrage nicht mehr wiederspiegeln".

Und am wildesten wetten die Investoren ausgerechnet mit den Grundnahrungsmitteln. Dass am anderen Ende der Welt Versorgungsengpässe und Hungertote die Folge sein können, ist auf ihren Kurszetteln nicht vermerkt. ...


Auch die Rolle der Banken, die den Anlegern selbstlos entsprechende Produkte zur Verfügung stellen, wird in diesem Artikel angesprochen. Wer meine Kolumne "Spekulanten des Hungers" gelesen hat (wenn nicht mehr greifbar, dann im meinem Kolumnen-Archiv unter www.ronald-gehrt.de/archiv.html ), dem sei dieser Artikel zur Ergänzung empfohlen. Für diejenigen, die meine Kolumne als Quatsch ansahen, ganz besonders.


Die brisante Rolle der "Black Boxes"

Zum Kommentar eines Lesers, der mich belehrte, das seien schließlich keine Privatanleger sondern Fonds, die sich da tummeln, sei kurz erwähnt - falls dieser Leser nicht der einzige sein sollte, der so denkt: Die Fonds ebenso wie die Hedge Funds, die hier seit Monaten Milliarden hinein pumpen ... woher haben die denn dieses Geld? Von den zahllosen Privatanlegern, die auf diese gezielt aufgebauten Bedürfnisse angesprungen sind und nun dort riesige Chancen als gewinnbringende Alternative zur Tristesse des Aktienmarktes sehen. Aber sie sehen offenbar oft nicht die ebenso großen Risiken.

Wobei diese Entwicklung zusätzlich befeuert wird, weil offenbar große Hedge Funds einen immer größeren Anteil an dieser Spekulation haben. Als Mitte März plötzlich zahlreiche Rohstoffe ohne Vorwarnung einbrachen ging das Gerücht um, einer der ganz großen Hedge Funds musste hier Positionen liquidieren, um Aktienmarkt-Schieflagen zu kitten. Alleine ein Kursrutsch bei Gold um 13% binnen vier Tagen, bei Silber und Weizen um 21%, bei Mais um 12% und bei Palladium um 24% (letzteres aber, da es hier zuerst losging, in 3 Wochen) unterstreichen die zuvor kaum zur Kenntnis genommenen Risiken:

Je senkrechter die Kurse steigen und sich so weiter von ihrem natürlichen Steigungswinkel im Aufwärtstrend entfernen, desto höher das Risiko, dass sie im selben Tempo dort wieder hinlaufen. Wie schon Anfang März unterstrichen: Fahnenstangen brechen. Immer.

Und besonders gefährlich wird es, wenn truppweise „Black Boxes“ mitspielen. Gerade bei den Hedge Funds weiß man in der Regel nicht, wo sie wann investieren, wie die Gewichtung aussieht, ob das Risikomanagement etwas taugt und ob nicht schon der Baum brennt - bis es zu spät ist. Diese "Black Boxes" sind riskant, intransparent und teuer ... aber erfahren trotz nicht weniger Pleiten immer noch großen Zulauf. Gerade in den USA, denn hier haben diese zu Zockerbuden entarteten Fonds für US-Anleger immer noch den Sonderstatus der Steuerfreiheit. Das lockt ... solange es nur die Hedge Funds der anderen sind, die gegen die Wand fahren.


Euro/Dollar als "Leitstrahl"

Nun aber zu Rohöl und Gold. Es mag möglicherweise auch Ausdruck dieses plötzlichen, gesteigerten Stellenwerts der Commodities unter den Investoren ein, dass sich nun die zeitweise einheitlich nach oben laufenden Rohstoff-Preise differenzieren. Ich persönlich neige aber eher dazu, hierin den Beginn eines Trend-Kontrollverlustes zu sehen, hervorgerufen durch die mit nicht marktüblichen Größenordnungen am Futuresmarkt herum spielenden Fonds.

Gerade die vielen reinen Momentum-Player bei den Hedge-Funds sorgen nun für Chaos. Denn wenn die einen Bereich verlassen, kann der betreffende Rohstoff durchaus in ein Loch fallen und unten bleiben. Auf der anderen Seite wird ein Rohstoff zeitweise "unfallbar", wenn sich die "Black Box"-Truppen um ihn kümmern.

Für Öl und Gold gibt es gleichermaßen gute Gründe, die für solide Aufwärtstrends sprechen. Im aktuellen Umfeld wäre eine echte Trendwende in beiden Segmenten nicht nachvollziehbar, keine Frage. Dabei ist es beim Gold die Furcht vor Geldentwertung, die zwar oft irrationale Züge annimmt, aber als Kursstütze durchaus funktionieren kann. Beim Öl sind es fortwährende "bad news" über ausfallende Lieferwege und Produktionsstätten oder Unruhen in Produktionsländern, die auf die per Saldo langsam steigende Nachfrage treffen (die in den USA und Europa stagniert, dafür aber in Asien weiter wächst) und so eine wirkliche Trendumkehr momentan nicht wahrscheinlich machen. Aber:

Immer dann, wenn die Kurse sich von ihren Leitlinien allzu weit entfernen, wird es gefährlich. Ob nun in Abwärts- oder Aufwärtstrends, derartige "Ausreißer" werden immer abgefangen. Dabei sind für die Rohstoffe zwei Leitstrahle aktiv. Neben dem 200 Tage-Durchschnitt ist es momentan vor allem der Wertverfall des Dollar, der den Taktstock schwingt.





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Im Chart sehen Sie, dass der seit dem letzten Sommer fortwährend steigende Euro/Dollar-Kurs eines der Argumente für die steigenden Rohstoffpreise war. Und das ist auch korrekt: Außerhalb der USA würden die immer in Dollar faktorierten Rohstoffe für die Verkäufer immer weniger Ertrag bringen, würde deren Preis nicht um den Wertverfall des Dollar korrigiert. Sie sehen allerdings auch: Das war natürlich kein reiner Wertausgleich, immerhin ist Rohöl um das vierfache, Gold um das doppelte mehr gestiegen, wie der Dollar an Wert verloren hat.


Gold ist gerade out

In diesen Rohstoffen steckt momentan viel Spekulation. Und je mehr die Hedge Funds mitmischen, desto unberechenbarer wird das Kursverhalten. So z.B. beim Gold. Nun hat zwar der "Angstfaktor" Aktienmarkt sich seit Mitte März wieder etwas erholt. Aber dennoch mag es viele überraschen, dass der Goldpreis in den letzten Wochen nicht wieder auf die Füße kam - obwohl der Dollar weiter an Wert verloren hat.

Aber Sie sehen im folgenden Chart, dass das Momentum im März deutlich unter die 100er-Linie gerutscht war und seitdem nicht wieder in bullishes Terrain vorgedrungen ist. Ein Signal für viele der stumpf nach Plan agierenden Hedge-Funds, diesen Bereich einfach nicht anzufassen - und schon geht nichts mehr voran.

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Hierbei dürften die kommenden ein, zwei Wochen spannend werden. Gelänge dem Gold in den kommenden Tagen ein deutlicherer Kursanstieg, würde sich das Momentum wieder über 100 retten. Dann wäre es durchaus drin, dass, angefeuert durch das dann wieder in rauen Mengen einströmende Geld der Hedge-Funds, schnell wieder die 1.000 erreicht werden. Aber sollte das nicht geschehen, wäre ein Abrutschen unter 890 ein kurzfristig bearishes Signal mit Kurspotenzial bis in den Bereich des 200 Tage-GD um 810 Dollar. Und man darf nicht vergessen: Hedge Funds haben kein Problem damit, gestern Long und morgen Short zu gehen!


Öl kurzfristig oben?

Ganz im Gegenteil zum Gold ist das Momentum im Rohöl auch im März nicht signifikant unter 100 gefallen. Das dürfte neben wieder rückläufigen Lagerbeständen, nicht zuletzt wegen der immer weiter fallenden Kapazitätsauslastung bei den überalterten US-Raffinerien, der Hauptgrund gewesen sein, dass der Ölpreis weiter senkrecht stieg, während Gold vor sich hin krebste. Jetzt aber wird es eng:

Brent hat nun die obere Begrenzung des mittel- und kurzfristigen Aufwärtstrendkanals erreicht, das Momentum hat mit knapp 115 ein Niveau für ein "typisches" Zwischenhoch markiert und heute laufen die Öl-Futures mit Mai-Liefertermin aus. Wer nun nach einer 20%-Rallye in drei Wochen davon ausgeht, dass nun auch diese steilen Trendkanäle nach oben gebrochen werden und wir nun locker in ein paar Wochen bei 150 stehen, mag gerne bullish bleiben. Wer aber etwas nüchterner an die Sache herangeht sieht: Zumindest, wenn die einigermaßen normalen Grenzen des Kursverhaltens nicht ab sofort völlig aufgehoben sein sollten, ist die Luft nach oben für die kommenden ein, zwei Wochen sehr dünn, nach unten wäre hingegen ein Rücksetzer an die unteren Begrenzungen der genannten Trendkanäle bei 103 (kurzfristiger Kanal) oder 98 Dollar jederzeit möglich.

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Fazit

Das gefährliche bei diesen momentan unberechenbaren Kursbewegungen ist - neben den "Black Boxes" - dass man nur zu leicht in den psychologischen Sog steigender oder fallender Kurse hineingezogen wird. Das Gefühl gaukelt einem vor, dass, was schnell steigt, weiter und noch schneller steigen wird, entsprechendes gilt bei starken Kurseinbrüchen. Ich meine:

Wer kurzfristig tradet, kann schnell reagieren und kann mit entsprechendem Nervenkostüm auch in solchen Märkten sehr erfolgreich sein. Wer aber Rohstoffe als langfristiges Investment ansieht, sollte sich bei derart großen Abständen zum Leitstrahl des 200 Tage-Durchschnitts hüten. Beim Gold hat man sehen können, dass es nicht einfach ewig weiter nach oben geht - beim Öl erwarte ich vergleichbares. Auch, wenn diese Rallyes es einem vorgaukeln:

Diese 200 Tage-Linien werden immer wieder touchiert, zumindest nähern sich die Kurse ihnen an. Auch bei Gold und Öl wird das wieder passieren - und nicht erst, wenn Gold bei 1.500 und Öl bei 200 Dollar notieren. Wer langfristig investieren möchte, dem rate ich, eine solche Annäherung abzuwarten. Denn mal ehrlich: Mit etwas Geduld und Besonnenheit verpasst man selten eine Chance. Aber wer sich vom Hexenkessel des Tagesgeschehens beeinflussen lässt und fürchtet, die allerletzte Chance zum Kauf von egal was zu verpassen, liegt unerfreulich oft voll daneben. Das haben Aktien- und Rohstoffmärkte einträchtig gemeinsam.


© Ronald Gehrt
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