Gold. Jetzt.
11.06.2008 | Ronald Gehrt
Ich bin mal wieder verblüfft. Das bin ich in den letzten Wochen öfter, denn ich beobachte die Börsen ... da gibt es täglich allerhand verwunderliches - und der Nachschub reißt nicht ab. Beim Rohöl übrigens auch nicht, dennoch stieg es zum Ende der Vorwoche binnen 28 Stunden um 17 Dollar. Rekord. Und zur Stunde geht es gerade wieder los. Beim Rücksetzer auf 122 vor ein paar Tagen wurde diskutiert, ob der Höhepunkt der Nachfrage kurzfristig hinter uns läge. Ein paar Tage später wird getönt, Öl, Benzin, Gas, Heizöl, Diesel seien immens knapp. Natürlich werden solche überraschenden Sinneswandel in den Medien nicht erläutert, sondern nur plakatiert. Und natürlich hören diejenigen, die es besser wissen sollten, nicht auf zu betonen, die Spekulanten seien unschuldig.
Ich vermute, das war so: Es lief wie mit der Milch. Aus Protest über die erbärmlich niedrigen Preise von zeitweise 122 Dollar im Rohöl wurde alles an die Tiere verfüttert oder in den Gully gekippt. Andererseits: Ich habe beim Zähneputzen nicht den Eindruck gehabt, das Wasser röche nach Öl. Seltsam.
Aber das angeblich spekulationsarme Verhalten der Energiepreise, deren momentane Volatilität ihresgleichen sucht, ist nicht das einzige Mirakel dieser Tage. Was ist mit dem Gold los? Die Aktienmärkte rutschen ab, Öl steigt wie sonst keiner im Dorf, Anleihen will keiner haben und Gold hängt durch? Und das, obwohl auf einmal Bernanke und Trichet Arm in Arm das Inflationsgespenst durch den Medienwald hetzen? Bemerkenswert. Und ein Grund für mich, sehr bullish für Gold zu werden.
Lemming-Anteil im Gold angenehm niedrig
Sie erinnern sich zweifellos: Als Gold im Februar und März Richtung 1.000 Dollar marschierte und diese sogar ganz kurz überwand, war ich gegenüber Investments in Gold sehr negativ eingestellt. Sicherlich werden sich vor allem die an meine Kolumnen erinnern, die mir damals wütende Mails sandten und mich beschuldigten, ich würde Anleger so davon abhalten, ihr Geld zu retten, denn Gold werde blitzschnell bei bis zu 1.500 Dollar stehen.

Was es denen gebracht hat, die mit der Masse schwammen und, wie es die Masse immer tut, wenn gerade wieder eine Sau durchs Dorf getrieben wird, die Gold-Fahnenstange einfach blind nach oben verlängerten, zeigt der vorstehende Chart. Alle, die seit Mitte Januar hier eingestiegen sind, haben keinen müden Cent verdient, sondern Verluste, die durch den seitdem gefallenen Dollar sogar noch verstärkt werden. Man kann nun einwenden, dass ich bereits über 850 Dollar erstmals bearish wurde. Aber mittelfristig betrachtet - und darum ging es mir ja, stehen wir dollarbereinigt wieder dort. Natürlich ist richtig:
Wer kurzfristig agiert, konnte hier natürlich verdienen, auch auf der Shortseite. Aber ich hatte ganz bewusst nicht die Trader, sondern diejenigen angesprochen, die durch den damals permanenten bullishen Nieselregen der Medien meinten, die Welt ginge unter und nur Gold brächte mittelfristig eine Rettung. Heute gilt das selbe für die Energiepreise. Ich kann weder ermessen, wann genau deren Peak erreicht ist noch wo genau im Rohöl das Hoch liegen wird. Aber es wird sehr bald sein - und dann folgt ein Chartbild, das dem des Goldes seit Mitte März gleichen wird. Aber das ist heute nicht das Thema, sondern Gold.
Die Lemminge sind jetzt im Energiesektor unterwegs - und Gold ist als Spielzeug der Zocker gerade außer Mode. Das ist schon mal gut, wenn man einen Einstieg als Investment erwägt.
Ich halte das nun erreichte Level aber nicht nur deswegen für eine gute kurz- wie mittelfristige Kaufgelegenheit. In meinen Augen ist jetzt der Boden für einen kräftigen Goldpreis-Anstieg aus einem ganzen Bündel von Gründen heraus bereitet:
Blanke Angst und keine Alternativen
Nachdem nun auch die Notenbankpräsidenten die Inflation thematisieren (bei der EZB war das zwar längstens so, aber die Fed hatte zuletzt ja immer wieder intoniert, das sei nicht das primäre Problem) und Zinserhöhungen andeuten, um diesen Aspekt zu bekämpfen, sollten auch die letzten Daueroptimisten erkannt haben, dass der Baum brennt. Denn die vorherigen Senkungen haben die Konjunktur zwar nicht wiederbelebt, dafür aber die Inflation durch den massiv fallenden Dollar auf ein Niveau getrieben, dass, wen man sich der Erfahrungswerte der letzten Jahrzehnte ansieht, nicht mit ein, zwei Prozent höheren Leitzinsen in den Griff zu bekommen wäre, sondern nur mit MASSIV höheren Zinsen.
Hinzu kommt, dass die blitzartig gestiegenen Energiepreise - und in deren Schlepptau viele andere Rohstoffe - klarmachen, dass die Spekulation hinreichend Macht besitzt, hier jederzeit noch höhere Preise zu generieren - Nachfrage hin oder her. Und es zeigt, wie wenig Vertrauen man in zeitweise Korrekturen dieser Commodities haben kann. Hier schwebt permanent ein sehr scharfes Fallbeil über den Märkten, das jederzeit wieder zuschlagen kann.
Und: Die Zinssenkungen der USA haben mehr Schaden als Nutzen angerichtet und das reparieren der Schäden über steigende Zinsen muss nicht verfangen, solange die Commodity-Preise als maßgebliche Größe für die kommende Inflation nicht mehr von faktischer Nachfrage bestimmt werden. Die Chance auf eine Stabilisierung wäre da gewesen - aber nicht, solange es an den Rohstoffmärkten so zugeht wie jetzt. Und das leere Gerede über Maßnahmen dagegen unterstreicht: Wenn es sie geben sollte, kommen sie zu spät.
Ergebnis: Rabenschwarze Perspektiven und Verunsicherung, ja oft bereits blanke Angst. Aber:
Wohin mit dem Geld? Am Aktienmarkt "wahre Werte" zu kaufen hat nicht viel mit Vermögenssicherung zu tun. Was hätten Sie davon, 0,0001% eines großen Unternehmens zu "besitzen", wenn die Aktie in ein paar Monaten nur noch die Hälfte wert wäre? Anleihen werden verkauft wie sauer Bier, weil man angesichts der faktischen Inflation kein Interesse daran hat, nach Steuern eben nur etwas weniger zu verlieren als auf dem Sparbuch. Was bleibt? Wer sich klugerweise nicht als "Vermögenssicherung" in Derivate auf Öl, Gas oder Benzin stürzt, findet zum Gold keine Alternative.
Der Dollar dürfte für Gold kein dauerhaftes Hindernis sein
Aktuell fällt aber auch der Goldpreis? Warum? Wohin geht das Geld, das momentan aus dem Gold herausgeht? Zum einen vermute ich, dass es sehr spekulatives Geld ist, zum anderen, dass es entweder geparkt wird oder tatsächlich in die Energie-Rohstoffe wandert. Also das Kapital derer, die jedem Hype hinterherlaufen und dann meist an dessen Ende einsteigen, wenn das bullishe Geschrei besonders laut ist. Ein mögliches Argument könnte dabei sein, dass der Dollar momentan wieder stärker wird. Aber:
Ich glaube nicht, dass der Dollar hier für dauerhafte Abflüsse von "echtem" Investitionskapital aus dem Gold sorgen wird. Denn dass Euro/Dollar heute fallen, wird auf den gestern nach US-Börsenschluss erfolgten Kommentar von Fed-Chef Bernanke zurück geführt, der erneut seine Inflationssorgen von sich gab. Letzte Woche tat das selbe EZB-Chef Trichet - und der Euro stieg. Unter dem Strich wird sich das nichts geben. Wenn Fed und EZB ihre Zinsen anheben, wird der Dollar sich nicht nachhaltig bewegen. Zumal: Die Fed müsste den Zins zwar eigentlich weit stärker anheben. Aber zum einen kann sie sich das wegen der schwachen Konjunktur nicht leisten, zum anderen wäre der wichtigste Faktor, das Vertrauen in den Greenback, dadurch erst recht beschädigt. Fazit:
Diese momentane Abwärtsreaktion im Gold könnte, ja sollte kurzfristiger Natur sein. Zumal, das zeigt der Chart, das Gold in einer ähnlich von Angst bestimmten Phase im Januar und Februar ebenfalls stieg, obwohl der Dollar relativ stabil blieb (im Chart habe ich Dollar zu guten alten DM abgebildet, um den Abstieg des Dollars nicht immer "zum umdenken" invertiert über Euro/Dollar zu zeigen).

Sie sehen dort auch: Durch den Exodus der Zocker raus aus Gold und alle auf einmal in Energie ist die Koppelung "steigende Energiepreise = schlecht = steigende Goldpreise" momentan außer Betrieb. Ich meine, diese Schere sollte sich recht bald zugunsten eines steigenden Goldpreises schließen.
Im März war die Lage anders
Da mein SYSTEM22 mittelfristig agiert, müsste Gold erst wieder klar über 900 laufen, um ein neues Hausse-Signal zu generieren. Aber wer etwas risikofreudiger agieren will, könnte m.E. so nahe der Korrekturtiefs (Anfang Mai um 845 Dollar) bereits jetzt eine erste Position wagen. Denn wenn die momentan erst schleichend wachsende Angst an den Börsen wächst und sich die Investoren nach Fluchtpunkten umsehen, werden Sie zu Gold, Silber und anderen gängigen Edelmetallen keine Alternative finden.
Im März, als alles und jeder von einer noch beschleunigten, ewigen Gold-Rallye ausging, war die Lage noch anders. Da hatten wir wirklich noch eine Chance, im zweiten Halbjahr eine Stabilisierung der Lage hinzubekommen. Da konnte man noch mit der Alternative Anleihen Geld verdienen, da lagen die Energiepreise noch deutlich niedriger. Jetzt aber sind die zittrigen Hände aus dem Gold draußen und dafür die Argumente für Gold besser.
Natürlich, das sei hinzugefügt, ändert das nichts an meiner Ansicht, dass Ihnen wenig geholfen ist, wenn Sie das Gold so lange halten wollen, um im Falle einer wirklich schweren Krise damit bezahlen zu wollen. Denn dann bestimmt den Wert des Goldes der, der am längeren Hebel sitzt. Und das sind nicht Sie, sondern der, der hat, was Sie dringend brauchen. Aber für die kommenden Wochen und Monate sehe ich hier eine gute Chance zu verdienen - auch, wenn die Fahnenstangen bei den Energie-Rohstoffen brechen sollten. Denn die Lage bliebe auch dann kritisch und unsicher, da man vorerst keinem Rücksetzer beim Rohöl trauen kann.
Herzliche Grüße
© Ronald Gehrt
www.system22.de"