GoldSeiten.de - Gold & Silber, Münzen und Barren sowie Minengesellschaften

Eintritt nur für Verrückte Teil IV

18.07.2008  |  Ronald Gehrt

Heute eine neue Folge aus meiner allseits geliebten Serie "Eintritt nur für Verrückte", die sich dem Thema widmet, was passiert, wenn selbst erfahrenen Akteuren an der Börse der Draht aus der Mütze hüpft. Dabei scheidet sich das Ganze in interne und externe Ursachen einerseits und in das, was die Kurse zeigen und das, was dahinter steht. In Phasen, wie wir sie jetzt erleben, kann das alles so wunderbar zueinander passen wie Tomatensalat mit kandierten Kirschen. Und:

Das ist der Grund, warum viele Anleger momentan glauben, die Börse sei so fürchterlich unklar, schwierig einzuordnen und nicht zu traden. Letzteres stimmt. Der Rest nicht. Dazu ein Rückblick auf die vergangenen 24 Stunden, an denen in der Tat der Blocker an den Börsen raste - in allen Assetklassen auf einmal.


24 Stunden Irrwitz ... to be continued

Sie erinnern sich, dass gestern zwei wichtige Herren vor einem US-Senatsausschuss zusammengefaltet wurden, weil es ihnen nicht gelingt, irgendetwas in Richtung "alles wird gut" zu bewegen. Genau das wünscht nämlich der satte Konsumbürger. Statt dessen prangt vor den Häusern einer wachsenden Zahl eben dieser Bürger ein "For Sale" und immer mehr Kreditkarten werden mit starkem Schneidewerk entwertet, wenn man riskiert, damit zu bezahlen. Sie wissen sicherlich, wie sehr ich diese beiden Herren schätze und deren Fertigkeiten ebenso wie ihre Aufrichtigkeit in den letzten Monaten lobte (haha). Es zuckt mir in den Fingern, sie als Dick und Doof zu bezeichnen ... aber selbstredend liegen mir dergleichen Verunglimpfungen fern und ich schreibe, keine Frage, sachlich und nüchtern von den Herren Bernanke und Paulson.

Während dieser Sitzung passierte etwas, was letzten Endes den Eindruck erweckte, nun seinen auch die großen Adressen durchgedreht. Was nicht ganz stimmt. Sie sind es schon seit Wochen, es fiel nur bislang nicht so auf.

Der Ölpreis "schlüpfte" binnen 45 Minuten mal eben über zehn Dollar tiefer, Gold und Euro/Dollar fielen solidarisch hinterher. Zugleich sauste der Dow Jones, zuvor in der Spitze 240 Punkte im Minus und damit auf neuen Verlaufstiefs im Abwärtstrend, lotrecht aufwärts.

Dann erholten sich Öl, Gold und Euro/Dollar etwas und der Aktienmarkt pendelte auf einmal um die Nulllinie herum teilnahmslos vor sich hin ... um am Ende doch noch im Minus zu schließen. Das war aber nur der erste Streich.

Heute Vormittag stieg der Dax kurz nach der Eröffnung fast ein Prozent ins Plus, um gegen 12:30 Uhr auf einmal mit -1,2% die 6.000er-Markte zu touchieren. Doch um 14:15 Uhr war er bereits wieder im Plus (weil die US-Bank Wells Fargo besser als erwartete Quartalszahlen präsentierte) und ließ sich um 14:30 kaum von der Nachricht einschüchtern, dass die US-Verbraucherinflation nun in der Jahresrate die 5%-Linie erreicht hat. In den offiziellen Regierungsdaten natürlich. Sie wissen, das sind die "niedrigen" Zahlen. Zeitgleich zur Dax-Rallye stieg das Angstbarometer Gold binnen einer Stunde um 12 Dollar.

Damit muss ich die Kurzreportage über die Geschehnisse beenden, da es ja eigentlich hier um das warum und das "was bedeutet das" gehen soll. Doch alleine diese kurze Schilderung ist beispielhaft ... und könnte möglicherweise beliebig fortgesetzt werden. Denn es stehen z.B. später an diesem Mittwoch noch die wöchentlichen US-Öllagerbestände an. Ei, das wird wieder lustig werden.


Blanker Wahnsinn als Zeichen dumpfer Verzweiflung

Wahr ist, dass kurzfristig agierende Trader hier ein ums andere Mal rasiert werden. Die Richtungswechsel kommen schlagartig, unabhängig von externen Ereignissen oder Daten und sind derart brutal, dass man schon seinen Kapitaleinsatz verlieren kann, wenn man sich nur mal schnell einen Kaffee holen will. Hinzu kommt, dass bei solchen Kursausschlägen charttechnische Linien - und damit sonst sinnvolle Stoppmarken - so hilfreich sind wie ein Regenschirm in einem Tornado. Nein, wer zu aggressiv und zu kurzfristig vorgeht, kann in einer solchen Börsenphase in der Tat mehr verlieren als in jeder anderen Phase.

Doch das gilt eben nur für diese Akteure. Eigentlich. Denn was interessiert denn normale Investoren, was innerhalb der Handelsitzungen passiert? Im SYSTEM22 tue ich seit Wochen eigentlich kaum etwas anderes als ab und an eine kleinere Portion Puts zu verkaufen und Stoppkurse anzupassen. Denn wer sich die Veitstänze der Kurzfrist-Trader und Futures-Zocker gar nicht erst ansieht und nur Charts auf Tagesbasis betrachtet stellt fest: Diese Börsenphase ist NICHT schwierig. Sie ist eigentlich sogar das genaue Gegenteil. Das wird vor allem klar, wenn man sich auf einen Linienchart beschränkt, bei dem wirklich alles außer dem Endergebnis eines Tages ausgeblendet wird:

Open in new window






Das ist einfach ein intakter Abwärtstrend, der völlig konform zu den negativen und immer scheußlicher werdenden Rahmenbedingungen passt. Gleiches gilt z.B. für Gold: Die Lage wird immer kritischer, die Aktienmärkte fallen - und Gold läuft in einem tadellosen Aufwärtstrend. Passt.

Aber trotzdem sind diese innerhalb der Sitzungen auftretenden, völlig verrückt wirkenden Schwankungen wichtig. Nicht, um versuchen, sie zu traden. Aber um sich gewärtig zu werden, was momentan los ist. Dabei ist entscheidend, sich klar zu machen: Der Virus, der diese Veitstänze verursacht, sitzt nicht in den Computern der Akteure, sondern in deren Köpfen. Ich nenne ihn BA2-Virus, für "Blanke Angst, 2. Stufe".

Open in new window


Der BA2-Virus

Um diesen Virus zu verstehen, muss man realisieren: Wenn Öl mal so eben um zehn Dollar binnen 45 Minuten einbricht und damit den absoluten Fallrekord in dieser Zeitspanne markiert, liegt das nicht daran, dass Erwin Kaluppke aus Herne (Name von der Redaktion geändert) seine 100 Rohöl-Long-Zertifikate auf den Markt wirft. Das sind die ganz dicken Jungs, die dort mit irrem Blick und schweißgebadet agieren.

Zum zweiten zeigt das, dass eben diese Fonds- und Hedge Fund-Manager, ebenso wie die Händler der Banken im Eigenhandel, auch nur Menschen sind. Nur, weil man Ihnen das Geld der Anleger in Milliardenhöhe anvertraut, müssen sie nicht klüger oder erfahrener, erst recht nicht gelassener sein, als unsereins. Im Gegenteil.

Denn davon abgesehen, dass das managen eines Fonds weitaus härteres Brot ist als viele meinen, geht es um ihre Existenz. Die Performance fast aller Fonds ist eine Katastrophe, außer möglicherweise in Rohstoff-Fonds, die relativ viel richtig gemacht haben. Was tun, um das noch zu kitten oder zumindest besser zu werden als die Konkurrenz?

Und gleichzeitig, so hört man, klingeln bei vielen Banken in der Abteilung Eigenhandel die Telefone und Stimmen weisen an, Positionen glattzustellen, um die Barbestände der Banken zu erhöhen. Nun könnten Sie einwenden, dass das doch eine längstens bekannte Situation sei. Immerhin feiert die Subprime-Krise in Kürze ihren ersten Geburtstag (meine besten Wünsche bei dieser Gelegenheit). Aber es sind eben nicht nur viele "normale" Anleger, die bis zuletzt darauf hofften, das alles sei nur eine vorübergehende Korrektur. Eine letzte Woche von n-tv veranstaltete Untersuchung zeigte:

Im Durchschnitt sehen die Banken den Dax am Jahresende bei 7.400, einige geben sogar eine Prognose über 8.000 Punkten ab! Nun könnte man richtigerweise einwenden: Die sind ja offiziell immer nonstop bullish, weil sie schließlich ihre Fonds verhökern wollen und diese Prognosen liegen sowieso immer falsch. Beides stimmt, keine Frage. Aber derart bullishe Kursziele verblüffen mich schon. Hat man dort den Schuss nicht gehört?

Nun, man hat nicht. Als Banken derart die Posaune der Glückseligkeit zu blasen und zu unterstellen, der Dax würde in den kommenden sechs Monaten aufholen, was er in den vorangegangenen sechs Monaten verlor - das heißt wirklich, mit der rosa Hoffnungsbrille über das Börsenparkett zu hüpfen. Es bedeutet, dass man auf die üblichen Sch...hausparolen baut wie "Sommerrallye", Präsidentschaftswahlkampf-Rallye", "Abgeltungssteuer-Rallye" und "Rallye-weil-gerade-Zeit-ist" und damit eines einfach beiseite schiebt:

Die Anleger kaufen nicht nach dem Lochkartenprinzip berechenbar wie Roboter, vor allem nicht, wenn die Rahmenbedingungen das nicht anraten. Und die Rahmenbedingungen raten es eben NICHT an. Und auch, wenn einzelne helle Köpfe in den Fonds und Banken sich dessen völlig bewusst waren und sind ... Sie wissen, wie das ist, wenn der Chef das anders sieht. Das war ein Grund, weshalb ich mich selbständig machte.


Angst ist ansteckend

Nein, die momentanen Reaktionen zeigen, dass die Verwalter zahlloser Milliarden die Lage nicht voll erfasst hatten und/oder sich aufs Hoffen verlegt hatten. Doch mit jedem Tag wird klarer: Die Lage ist nicht so ernst, wie die Skeptiker wie ich von ein paar Monaten noch befürchteten ... sie ist ernster.

Die Performance ist hin, die Bankenwelt in Angst und den ersten geht das Geld aus. In einem solchen Umfeld fliegt die Ratio schnell über Bord, es wird unter Stress agiert ... und Fehler gemacht. Zum Beispiel: Aussteigen - egal wie, Hauptsache sofort. Der Kursrutsch im Rohöl gestern oder das plötzliche Aufschlagen des Dax auf 6.000 heute waren erste Hinweise darauf. Und das waren erst einzelne, die hier die Nerven verlieren. Wie gesagt: Auch die ganz großen Adressen sind Menschen, die in Angst geraten können. Und:

Angst steckt an. Es fehlt nicht mehr viel, dann mutiert der BA2 zum P-Virus: "Panik". Aber wie das eben bei Viren so ist: Es ist nicht im Vorfeld abzusehen, ob er mutiert und wenn ja, wann. Und: Panik wirkt in beide Richtungen! Diese Angst kann auch in eine blitzschnelle Rallye münden, auf die alle aufspringen aus Angst, nun die Chance auf das Verringern der Verluste zu verpassen!


Vorsicht vor Panik-Rallyes

Gut, natürlich greift die Depression nun immer schneller um sich. Einfach, weil zu viele zu lange nicht wahrhaben wollten, dass es mit der jahrelangen Hausse vorbei sein könnte. Wer unbedingt stur auf einer Party bleiben will geht halt erst, wenn ihn zwei Polizisten aus dem Raum schleifen. Und dann ist er so beleidigt, dass er dort nie wieder hingeht ... und dem Gastgeber die Schuld gibt. Typisch menschlich ... und an der Börse fatal.

Sollte aber irgend etwas passieren, was die Kurse nun ein, zwei Tage nach oben bringt, kann eine solche Rallye die Kurzfrist-Trader erneut in den Wahnsinn treiben und die mittelfristigen Akteure zweifeln lassen, ob es noch weiter nach unten gehen könnte. Auch und jederzeit entgegen der Faktenlage. Denn klar muss sein: Wir stecken derart tief im Schlamm, dass eine Wende der Rahmenbedingungen in den nächsten Monaten illusorisch ist. Was hieße:





Eine solche Rallye wäre die Chance für diejenigen, die noch nicht auf der Baisse-Seite investiert sind, dies nachzuholen. Und es wäre eine Chance für diejenigen, denen erst in den vergangenen Tagen die rosa Brillengläser aus der Fassung gefallen sind, Aktienbestände zu verringern. Richtig ist zwar, dass jede Trendwende nach oben zuerst wie eine normale Gegenreaktion aussieht. Doch soll es eine echte Wende werden, bedürfte es auch einer fundamentalen Basis dafür. Und eben diese Fundamentals weisen nach unten und deuten an: Das kann noch viel, viel heftiger werden.

Eine solche Rallye wäre also für viele eine feine Sache. Aber genau da liegt der Haken. Ein rostiger und scharfkantiger Haken:


Wie anno Dunnerkiel 1998

Fast jeder hofft auf eine solche Rallye. Sogar diejenigen, die schon aus ihren Baisse-Positionen ausgestiegen sind und nun hoffen, billiger wieder hineinzukommen. Und, wie gesagt, die, die noch gar nicht Short sind oder noch volle Aktiendepots haben, die sie gerne loswerden möchten.

Doch gerade das nährt die Baisse. Immer wieder wird eingestiegen, immer noch sind genügend unterwegs, die scheinbar nur Calls kaufen können (weil ja auch viele noch keine Baisse erlebt haben) ... und immer wieder steigen diese Trader bei der kleinsten negativen Nachricht nervös wieder aus und sorgen so dafür, dass die Abwärtsbewegung weitergeht.

Natürlich kann jederzeit eine Rallye kommen. Aber wenn so viele wie momentan darauf hoffen, kommt sie oft eben nicht. Weil ihre eigene zunehmende Nervosität immer wieder für Verkaufsdruck sorgt. Und da Angst ansteckend ist, verkaufen immer mehr Akteure eben ohne die erhoffte Rallye ihre Positionen oder gehen ohne höhere Kurse abzuwarten Short.

Und vergessen wir nicht: Es ist ja nicht so, wie man oft denkt, "niemand" habe mehr Aktien. Irgendwer hat sie ja ... es werden ja schließlich nicht weniger, nur, weil die Kurse sinken. Und diese "irgendwers" sitzen ja auch da und hoffen, sie haben keinen Fehler gemacht, indem sie gekauft haben ... und steigen nervös wieder aus, wenn nur die kleinste negative Nachricht kommt. Ein Kreislauf, der irgendwann, wenn das BA2-Virus zum P-Virus mutiert, dazu führt, dass diese Versuche, "günstig" einzusteigen, völlig eingestellt werden ... und ein kapitaler Kurssturz kommt.

Open in new window


Das selbe Szenario haben wir vor genau zehn Jahren im Dax erlebt. Und auch ich habe damals viel weniger verdient als ich gekonnt hätte, wenn ich einfach nach dem charttechnischen Verkaufssignal Puts gekauft und sie schlicht gehalten hätte. Die Angst vor der Rallye ließ mich immer wieder aussteigen. Aber die Rallye kam nicht. Und wer vergeblich darauf hoffte, weil er Long war ... verkaufte dann einfach zu egal welchem Kurs. Das Resultat zeigt der Chart: Ein Minus im Dax von fast 40% binnen nur fünf Wochen. Keine Rallye dazwischen, die über zwei feste Tage hinausging. Und lehrbuchgerecht mit einem Selloff abgeschlossen, welcher den Dax binnen vier Handelstagen um über 16% in die Tiefe prügelte.

Je länger die Rallye nicht kommt und je fataler die Rahmenbedingungen werden, desto wahrscheinlicher wird, dass wir dieses Szenario zum zehnjährigen Jubiläum nachzeichnen. Aber mit einem Unterschied:


Selloff? Immer möglich. Rallye? Jederzeit! Trendwende? Nein

Die Trendwende damals in Form einer selten auftretenden V-Formation werden wir wohl nicht hinbekommen. Ich würde eher vermuten (das soll keine Prognose sein), dass die Aktienmärkte, falls ein solcher Ausverkauf käme, in einer größeren Spanne von 10-15% längere Zeit oberhalb der dann erreichten Tiefs blitzschnell hin- und herschwanken, während Gold und andere vermeintlich sichere Häfen das selbe im Bereich ihrer dann erreichten Hochs tun könnten ... und dann wird man sehen, wie sich die Rahmenbedingungen danach präsentieren. Aber:

Damals war das Problem die Währungskrise, die man relativ schnell kitten konnte. Deshalb ging es danach wieder nach oben, als sei nichts gewesen. Unsere Probleme heute aber lassen sich nicht so eben kitten ... das hilflose rudern mit den Armen bei Fed-Chef Bernanke und US-Finanzminister Paulson unterstreicht das eindrucksvoll.

Das ist die Basis für den zunehmenden Irrsinn der Märkte, die immer weiter steigende Volatilität und das verblüffende Tempo, mit dem Gold, Öl, Dollar und Aktien nach oben und unten schießen. Das ist Ausdruck blanker Angst. Und wie alle Emotionen ist diese Angst unberechenbar ... und damit deren Konsequenzen auf die Märkte ebenso.

Ich kann jedem, der bislang immer noch hofft und dementsprechend nicht in Gold Long und/oder Aktien Short ist nur raten, sich von diesem Virus nicht anstecken zu lassen. Eine Rallye ist jederzeit möglich. Und wer dann ausgerechnet in fallende Aktien hinein doch noch Puts gekauft hat weil er dachte, Rallyes fallen aus, kann böse auf die Nase fallen. Sie können alles tun - aber investieren Sie nicht gegen laufende, starke Trends und/oder versuchen Sie nicht, den Kursen hinterher zu laufen!

Herzliche Grüße


© Ronald Gehrt
www.system22.de"