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Droht der Weltwirtschaft eine neue Rezession?

12.08.2015  |  Carsten Klude

Kaum ist Griechenland aus den Schlagzeilen verschwunden, haben die Aktienmärkte gleich mit der nächsten Hürde zu kämpfen. So stellt sich die Frage, wie das jüngste chinesische Börsenbeben zu bewerten ist und welche Rückschlüsse daraus für die globalen Aktienmärkte und für die Lage der Weltwirtschaft zu ziehen sind.

Beide Fragen hängen unmittelbar miteinander zusammen: Sollte nämlich China eine Rezession drohen, könnte dies unmittelbare und sehr negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Denn China als mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat das Potenzial, den Rest der Welt mit sich zu ziehen. Dies wäre denkbar schlecht für die weiteren Börsenperspektiven, da Bullenmärkte üblicherweise in Rezessionen "sterben".

Ist der Kurssturz an den chinesischen Aktienmärkten also ein Vorbote für weitere Kursturbulenzen in den nächsten Wochen oder im schlimmsten Fall sogar für den Beginn einer langanhaltenden Börsenbaisse, weil der Weltwirtschaft die Puste ausgeht?

Fakt ist, dass die globale Konjunkturdynamik 2015 bislang enttäuscht und die ursprünglich in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat. Dabei schienen die Voraussetzungen für ein stärkeres Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr so gut wie lange nicht zu sein: Vor allem an den gesunkenen Ölpreis knüpften sich große Hoffnungen, da er wie eine Steuerentlastung wirkt, von der Verbraucher und Unternehmen in sehr vielen Ländern profitieren sollten. Doch zumindest bisher hat dieser Effekt nicht zu der erhofften Konjunkturbelebung beigetragen.

Im Gegenteil: Wie schon in den Vorjahren hat der Internationale Währungsfonds seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft reduzieren müssen, von ursprünglich 3,8% zu Jahresbeginn auf zunächst 3,5% und schließlich auf aktuell 3,3%. Die Erwartungen für 2016 belaufen sich dagegen unverändert auf ein globales Wachstum von 3,8%. Auch wenn der Trend bei den Wachstumsrevisionen unerfreulich ist, ist ein globales Wirtschaftswachstum von rund 3% sicherlich kein Indiz für eine Rezession.

Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass die Zahl selbst besser klingt als sie in Wirklichkeit ist. Dies liegt daran, dass angesichts der zunehmenden Weltbevölkerung ein Wirtschaftswachstum von etwa 2 bis 2,5% erforderlich ist, um die Pro-Kopf-Einkommen stabil zu halten. Insofern ist der Sicherheitsabstand zur Rezessionszone geringer als die Wachstumsrate von 3% suggeriert.

Die Ursachen für die enttäuschende Entwicklung der globalen Konjunkturdynamik sind schnell ausgemacht: So kämpfen viele Industrieländer immer noch mit den Nachwehen der Finanzkrise und dem starken Anstieg der Verschuldung im öffentlichen und zum Teil auch im privaten Sektor. Herkömmliche wirtschaftspolitische Instrumente, wie eine expansive Geld- und Fiskalpolitik, entfalten in einem solchen Umfeld ihre positiven Auswirkungen weniger stark als sonst üblich.

Aufgrund der hohen Verschuldung besteht zum einen die Notwendigkeit des "Deleveraging", also des Abbaus einer vormals zu hohen Kreditinanspruchnahme. Eine expansive Geldpolitik, also niedrige Zinsen, die die Neukreditvergabe erleichtern, hilft dann nicht wirklich.

Und zum anderen kann die Fiskalpolitik nicht so expansiv ausgerichtet werden wie es notwendig wäre, wenn die Staatsverschuldung bereits ein sehr hohes Niveau erreicht hat. Insofern hat sich das Wirtschaftswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften seit dem Jahr 2010 auf knapp 2% verlangsamt, verglichen mit einem Wert von 2,7% in dem Zeitraum von 2000 bis zum Jahr 2007.

Aber der eigentliche Grund für die derzeit schwache Konjunkturdynamik und die anhaltenden Prognosesenkungen ist nicht in den Industrie- sondern in den Schwellenländern zu suchen. Während deren Wachstum zwischen 2000 und 2007 im Durchschnitt noch bei 6,6% lag, ist dieser Wert seit 2010 auf 5,4% gesunken.

Besonders eklatant fallen dabei die geringeren Zuwachsraten in den sogenannten BRIC-Ländern (mit Ausnahme Indiens) auf: Während Russland zwischen 2000 und 2007 mit mehr als 7% pro Jahr gewachsen ist, verringert sich die Konjunkturdynamik zwischen 2010 und 2015 auf gut 1%. Auch in China läuft der Konjunkturmotor mittlerweile langsamer: Statt Wachstumsraten von mehr als 10% in den ersten Jahren nach dem Jahrtausendwechsel liegt man in dem Zeitraum von 2010 bis 2015 bei 8%, Tendenz weiter sinkend.

Ähnliches gilt auch für Brasilien (3,6% vs. 2,5%) oder für Südafrika (4,3% vs. 2,4%). Diesen Trend hin zu geringeren Wachstumsraten in den Schwellenländern haben fast alle Volkswirte in den vergangenen Jahren unterschätzt, und er ist die Hauptursache für die kontinuierliche Anpassung der Wachstumsprognosen nach unten.

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Angesichts der Tatsache, dass China mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 10 Billionen US-Dollar einen Anteil von gut 13% an der globalen Wirtschaftsleistung hat, fragen sich viele Anleger derzeit, ob die jüngsten Kursverluste an den chinesischen Börsen nicht doch ein Indiz dafür sein könnten, dass die wirtschaftliche Dynamik im Reich der Mitte schwächer ist, als es die offiziellen Konjunkturdaten und Wachstumsprognosen vermuten lassen. Denn schon häufig haben sich Aktienmarktentwicklungen auch als konjunktureller Frühindikator erwiesen.

Wir haben in unserem Flash Report vom 16. Juli 2015 ("China: Ernst, aber nicht ausweglos") versucht, etwas Licht ins Dunkel zu bringen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wachstumsraten zurückgehen und sich diese Entwicklung fortsetzen wird, es aber keine Hinweise für einen konjunkturellen Absturz gibt.



Ob und wie stark sich die Kurs- und die damit verbundenen Vermögensverluste auf die chinesischen Privatanleger und deren Konsumverhalten auswirken, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Wir gehen aber davon aus, dass die realwirtschaftlichen Auswirkungen gering bleiben.

Dass sich die chinesische Wirtschaft nicht in einem starken Abwärtstrend befindet, darauf deuten unseres Erachtens nach sowohl Wirtschaftsdaten aus anderen Ländern als auch die aktuellen Quartalszahlen börsennotierter Unternehmen in den USA und in Europa hin, die wir als "Crosscheck" verwenden.

In den USA, die mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 17 Billionen US-Dollar die größte Volkswirtschaft der Welt sind (Anteil von 22% an der globalen Wirtschaftsleistung), läuft die Konjunktur etwas schwächer als im Vorjahr, weil der gesunkene Ölpreis dazu führt, dass die Ölindustrie weniger investiert und der starke US-Dollar die Exporte bremst.

Dank der Erholung am Arbeitsmarkt und des niedrigen Zinsniveaus entwickeln sich aber sowohl der private Verbrauch als auch die Bauinvestitionen gut. Für das Gesamtjahr erwarten wir eine Wachstumsrate von rund 2%, während der IWF 2,5% prognostiziert. Das moderate wirtschaftliche Wachstum spiegelt sich auch in den Unternehmensergebnissen für das 2. Quartal wider: 75% der Unternehmen haben die Gewinnerwartungen übertroffen, 55% die Umsatzerwartungen.

In Japan (BIP von rund 4 Billionen US-Dollar, Anteil von 6% an der Weltwirtschaft) zeichnet sich für 2015 ein moderates Wirtschaftswachstum von 1% ab. Das ist zwar nicht sonderlich viel, doch immerhin etwas mehr als im Vorjahr. Zudem gibt es einige ermutigende Anzeichen, dass die Konjunktur derzeit dabei ist, einen Gang hochzuschalten: So ist der von der Citibank erhobene Economic Surprise Index in Japan so positiv wie in keinem anderen der beobachteten Länder, und gleichzeitig hat sich auch der japanische Einkaufsmanagerindex zuletzt erholt.

Dabei profitiert das Land vor allem von der Schwäche seiner Währung. Die japanischen Exporte wachsen derzeit mit einer Rate von gut 8% gegenüber dem Vorjahr, wobei die Ausfuhren nach China zuletzt mit 6% im Plus lagen. Auch in Japan ist es im Laufe der aktuellen Berichtssaison bislang rund zwei Dritteln der Unternehmen gelungen, die Ertragserwartungen zu übertreffen.

In der Eurozone haben sich die Konjunkturperspektiven für 2015 ebenfalls aufgehellt. Die deutsche Wirtschaft (Anteil am globalen BIP von 5%) wird in diesem Jahr ähnlich stark wachsen wie 2014, also mit knapp 2%. Angesichts eines Wachstumspotenzials, das nur bei 1 bis 1,25% liegt, bedeutet dies, dass wir uns derzeit im konjunkturellen Boom befinden. Viel mehr Wachstum geht nicht, zumindest nicht dauerhaft.

Die Sorgen vor einer starken Abkühlung Chinas haben zuletzt auch den Börsenkursen deutscher Unternehmen zugesetzt, vor allem die Autobauer VW und BMW, aber auch das Chemieunternehmen BASF sind unter Druck geraten.

Das Wachstum der deutschen Ausfuhren nach China ist zuletzt zwar zum Erliegen gekommen, allerdings hat sich der Ifo Geschäftsklimaindex, der wichtigste deutsche Frühindikator, zuletzt wieder verbessert. Dabei wurden die Exporterwartungen zwar etwas verhaltener als in den Vormonaten, aber immer noch als überwiegend positiv eingeschätzt.

Auch in den anderen europäischen Ländern erholt sich die Konjunktur in diesem Jahr. In Frankreich und in Italien wird das Wirtschaftswachstum mit rund 1% moderat ausfallen, aber besser als im Vorjahr. Spanien ist die europäische Volkswirtschaft, die zusammen mit Irland in diesem Jahr das konjunkturelle Spitzenduo bildet. Im 2. Quartal 2015 ist Spanien so stark gewachsen wie seit acht Jahren nicht mehr; im Gesamtjahr ist wie auch in Irland ein Wirtschaftswachstum von 3% oder sogar etwas mehr wahrscheinlich.

Auch in der Eurozone läuft die aktuelle Berichtssaison gut, vor allem die Unternehmensumsätze haben sich deutlich verbessert.

Weniger gut sind dagegen die konjunkturellen Aussichten für die Schwellenländer. Sowohl Brasilien, das 2014 mit einem BIP von 2,4 Billionen US-Dollar die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt war (Anteil von 3%), als auch Russland (neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Anteil von knapp 2,5%) befinden sich 2015 in einer Rezession. Und auch für 2016 zeichnet sich bislang keine wirkliche Verbesserung ab.

Keine Rezession, aber weniger Wachstum als in den vergangenen Jahren ist unsere Wachstumsprognose für die meisten übrigen Schwellenländer, die in den vergangenen Jahren insbesondere von einem Boom bei den Exporten profitiert haben. Doch da der Welthandel derzeit nur stagniert, sind die Ausfuhren in fast allen Ländern deutlich zurückgegangen.

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Dennoch - und das ist das aus unserer Sicht für die Anleger erfreuliche Fazit - ist die Weltwirtschaft trotz aller Probleme nicht in einer Situation, in der eine neue Rezession ein absehbares oder wahrscheinliches Szenario ist. In der Vergangenheit wurden Rezessionen entweder durch exogene Schocks, wie einen Ölpreisanstieg oder eine Finanzkrise, oder (in den meisten Fällen) durch eine zu restriktive Geldpolitik der Notenbanken ausgelöst.

Angesichts der sehr verhaltenen Konjunkturdynamik ist die Gefahr, dass die Notenbanken den Aufschwung mit zu hohen Zinsen abwürgen könnten, so gut wie ausgeschlossen. Dies ist vielleicht der Vorteil dieser anhaltenden Wachstumsschwäche: Da sich kein Inflationsdruck aufbaut, bleibt die Geldpolitik expansiv - so dass sich dieser Zyklus noch eine ganze Zeit lang fortsetzen kann.


© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research

Quelle: Auszug aus "Konjunktur und Strategie". Den Berichten, Tabellen und Grafiken liegen vertrauenswürdige Informationen aus öffentlichen Quellen zugrunde. Für die Richtigkeit können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt.