Willkommen im Interregnum

25.11.2020  |  Chris Martenson

Wir stehen zwischen den Stühlen. Es ist ein unbequemer Ort. Wir befinden uns im Übergang von einer alten zu einer neuen Geschichte und das besorgt die Leute. Mit "wir" meine ich jeden auf den Planeten. Wenn Sie tiefgreifendes Unbehagen spüren, dieses jedoch nicht genau bestimmen können, könnte Ihnen dieser Artikel vielleicht helfen.

Die alte Geschichte des endlosen Wachstums auf einem finiten Planeten verfliegt langsam. Was auch immer sie ersetzen wird, wird keine Fortsetzung der Vergangenheit sein. Die Dinge werden sich ändern, ob wir das nun wollen oder nicht. Anders gesagt: Die einfachen Zeiten sind vorbei und eine Zeit der Zerrüttung hat begonnen.

Es könnte viele Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bevor sich die Dinge in ein neues Gleichgewicht einpendeln. Das Alte wird zerfallen, bevor das Neue überhaupt angekommen ist. Dieser Vorgang hat bereits begonnen; deshalb besteht Nervosität, Wut und Angst. Ich arbeite als Informant, ein Botschafter des Unbekannten, und bin mir deshalb dem Ausmaße bewusst, in dem die Leute bereits zermürbt und ausgebrannt sind.

Die Leute sind von diesen Irrungen und Wirrungen unter dem Namen "2020" so erschöpft, dass viele sogar paralysiert sind. Nicht in der Lage, neue Handlungen zu ergreifen, weil sie überfordert sind. Doch wie ich kürzlich schrieb, ist auch keine Wahl eine Wahl. Wenn sich so viel verändert und so vieles auf dem Spiel steht, so ist Nichtstun ebenso ein Bestimmungsfaktor Ihrer Zukunftsaussichten wie das Ergreifen schneller Handlungen - verschiedene Wege mit verschiedenen Resultaten.

Tatsächlich kann man viel tun, um zu einer widerstandsfähigeren Zukunft für sich selbst und die Welt beizutragen. Doch zuerst müssen wir herausfinden, wo wir uns befinden. Wir müssen die Karte so gut wie möglich aufzeichnen, auch wenn die Ränder blank bleiben und mit Monstern skizziert werden.



Um uns angemessen zu orientieren, müssen wir uns der Idee bewusst sein, dass das Zeitalter des Wachstums vorbei ist. Wir betreten nun ein Nach-Wachstumszeitalter. Unsere Aufgabe ist es nun, uns in eine deutlich andere Existenz zu fügen - eine mit weniger "Dingen" und weniger "Sachen", doch die auch bedeutungsvollere und würdigere Herausforderungen bietet. Wie bei jedem guten Abenteuer gibt es auch hier etwas Gefahr. Doch nicht so gefährlich wie ein Seelenreise, die Ihr Leben mit trivialen Dingen verschwendet.


Interregnum

Die Lücke zwischen Herrschaftszeiten, wenn der alte König gestorben ist, doch der neue Nachfolger noch nicht entschieden wurde, nennt sich Interregnum. Dies kann auch die Lücke sein, wenn man erstmals etwas erfährt und schließlich dessen tiefgreifendere Bedeutung versteht:

in·ter·reg·num, Nomen

eine Zeitspanne, in der die normale Regierung ausgesetzt wird, vor allem zwischen nachfolgenden Herrschaftsperioden oder Regimen.

- ein Intervall oder Pause zwischen zwei Amtszeiten oder anderen Dingen. "Das Interregnum zwischen der Entdeckung der Radioaktivität und dessen detaillierten Verständnisses."

Ich liebe dieses Wort, weil es unseren aktuellen Zustand perfekt widerspiegelt. Eine Eigenschaft eines Interregnum, in dem die Macht in der Schwebe hängt, ist die Tatsache, dass es eine sehr unsichere Zeit ist. Besorgnis regiert den Tag, weil niemand weiß, wohin es geht. Es könnte gut oder schlecht sein. Der alte König war gut. Sein Nachfolger ist bereits ein verhasster Tyrann. Vielleicht wird ein anderer, besserer Nachfolger den Thron besteigen...

Diese Art der Unsicherheit ist eine potente Quelle der Besorgnis. Deshalb ist ein Interregnum die Wiege der meisten tiefgreifenden Ängste. Der alte König ist fertig. Niemand weiß wer oder was derzeit an der Macht ist. Ist es die technologische Macht der Menschheit oder Mutter Natur selbst? Liegt unser Schicksal in unseren eigenen Händen oder sind die Würfel bereits gefallen und warten wir einfach ab, wie schlecht unser Wurf letztlich war?

Ist noch immer Zeit, eine angemessene Lösung für unsere Schwierigkeiten und Probleme zu finden oder wurden diese Augenblicke bereits verschwendet? Das weiß derzeit niemand. Doch die Unsicherheit bleibt bestehen. Zerstörerisch, emotional, explosiv. Willkommen im Interregnum. Möge Ihnen das Glück hold sein.


Demoralisierung

Während das Obige deprimierend klingen mag, so ist ein besserer Begriff vielmehr demoralisierend und es gibt eine wichtige Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen. Depression ist eine Reaktion auf aktuelle Umstände. Sie kann mit Gesprächstherapie behandelt werden, um einen inneren Konflikt zu lösen. Demoralisierung ist hingegen das, was Sie erleben, wenn Ihre kognitive Karte nicht länger mit den tatsächlichen Lebensumständen übereinstimmt:

Anders als eine depressive Störung ist Demoralisierung eine Art existentielle Störung, die mit dem Zusammenbruch der "kognitiven Karte" einer Person assoziiert wird. Es ist eine übergreifende, psycho-spirituelle Krise, in der die Opfer allgemein desorientiert und nicht in der Lage sind, Bedeutung, Sinn oder Quellen der Bedürfniserfüllung zu finden.

Die Welt verliert ihre Glaubwürdigkeit und ehemalige Überzeugungen und Ansichten machen Platz für Zweifel, Unsicherheit und Richtungsverlust.

Frustration, Wut und Verbitterung sind übliche Anhängsel sowie ein zugrundeliegendes Gefühl, Teil einer aussichtslosen Sache oder verlorenen Kampfes zu sein. Die Bezeichnung "existentielle Depression" ist nicht angemessen, da Demoralisierung - anders als die meisten Formen der Depression - keine realistische Reaktion auf Umstände ist, die in das Leben einer Person eingreifen. (Quelle)



Haben Sie das mitbekommen? Demoralisierung ist unter bestimmten Umständen tatsächlich eine realistische Reaktion. Diese Umstände manifestieren sich derzeit. Was bedeutet, dass die Wellen entmutigender Statistiken, die wir derzeit beobachten, nicht "schlecht" sind; sie teilen uns etwas wichtiges mit.

Die Menschen liegen richtig damit, tiefgreifend darüber besorgt zu sein, dass die Hauptgeschichte ihrer Kultur nicht länger mit der Realität übereinstimmt. Schlimmer noch; die Narrative des endlosen Wachstum tötet das Leben auf diesem Planeten und schadet uns auf offenkundige sowie heimliche Weise.

Immer mehr Menschen erkennen das und das ist eine gute Sache. Denn es ist der notwendige erste Schritt, eine neue Narrative zu erstellen und ein anderes Modell zu übernehmen, das uns hoffentlich besser dient. Wir sagen oftmals, dass es eine Lücke zwischen dem gibt, was Sie wissen und dem, was Sie tun, wenn Sie Besorgnis spüren (oder Demoralisierung). Da Sie nichts verlernen können, sollten Sie Ihr Verhalten ändern. Um Handlungen zu ergreifen, die das, was Sie wissen, mit dem alignieren, was Sie tun.

Ich verstehe die Frustration, Wut und Verbitterung in der Politik, doch diese Gefühle werden fast universell gegen die falschen Ziele gerichtet. Egal ob absichtlich oder unabsichtlich; es wird üblicherweise von einem Mediensystem unterstützt, das Uneinigkeit und Isolation anstatt Einheit und Verbindung fördert. (Quelle)

Fazit: Wenn Sie demoralisiert sind, dann ist nichts falsch mit Ihnen. Doch es ist definitiv etwas falsch mit der übergreifenden Situation. Wenn Sie jemanden kennen, der demoralisiert ist, dann versuchen Sie nicht, ihnen dabei zu "helfen", besser in ihr altes Leben zu passen. Das Problem liegt nicht in ihrer Anpassungsfähigkeit. Das Problem ist, dass sie sich bereits an das Kommende anpassen. Sie sind der Kurve voraus. Sie sehen die neue Kurve, bevor Sie das tun.

Damit können wir nun etwas detaillierter werden. Doch zuerst möchte ich Ihnen einen wichtigen Bergriff vorstellen: Zozobra. Es beschreibt ein potentes Gefühl, das man während eines Interregnum verspüren kann, vor allem wenn Demoralisierung im Spiel ist.


Zozobra

Ich entdeckte diesen Artikel erst kürzlich und habe ihn einige Male gelesen. Er ist perfekt. Er fängt den Kontext der Demoralisierung gut ein. Durch eine Benennung können wir anfangen, sie zu verstehen, ihre Präsenz zu erkennen und ihre unterschwellige Wirkung auf uns zu reduzieren:

Es gibt ein Wort für Ihre überwältigende Angst und es lautet "Zozobra"

3. November 2020

Hatten Sie jemals das Gefühl, dass Sie sich keinen Reim auf die aktuellen Geschehnisse machen können? Erst erscheint alles normal, dann steht die Welt plötzlich in Flammen; Pandemie, Rezession, Klimawandel und politischer Umschwung sind an der Tagesordnung.

Das ist "Zozobra", eine besondere Form der Besorgnis, die auf die Unfähigkeit zurückzuführen ist, eine einzige Perspektive einzunehmen, was Fragen aufwirft wie: Ist es ein schöner Herbsttag oder ein alarmierender Moment historischer Katastrophen?

Das Wort "Zozobra" ist ein gewöhnlicher, spanischer Begriff für "Besorgnis", doch mit Konnotationen, die das Schwanken eines Schiffes ins Gedächtnis rufen, das kurz vor dem Auflaufen steht. Der Begriff entstand Anfang des 20. Jahrhundert unter mexikanischen Intellektuellen, um ein Gefühl zu beschreiben, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben und sich in der Welt deplatziert zu fühlen.

Das Gefühl wird häufig von Leuten empfunden, die in ein anderes Land immigrieren oder es besuchen: der Rhythmus des Lebens, wie die Leute miteinander interagieren, alles scheint "anders" - unbekannt, desorientierend und wage entfremdend.

Laut dem Philosophen Emilio Uranga (1921 - 1988) ist ein Anzeichen für Zozobra ein Schwanken und Wechseln zwischen Perspektiven, eine Unfähigkeit, sich auf einen einzigen Rahmen zu verlassen, um sich einen Reim auf die Dinge zu machen. Wie Uranga es in seinem Buch beschreibt:

"Zozobra beschreibt einen Modus, in dem man unaufhörlich zwischen zwei Möglichkeiten oszilliert, zwischen zwei Affekten, ohne zu wissen, auf welchen man sich verlassen sollte - bei dem man wahllos das eine Extrem für das andere aufgibt. Dabei leidet die Seele, sie fühlt sich zerrissen und verletzt."

Was es so schwierig macht, Zozobra anzusprechen, ist die Tatsache, dass sie so unfassbar ist. Es ist eine Krankheit der Seele, die weder von persönlicher Schwäche noch irgendeinem bestimmten Ereignis verursacht wird, auf das wir deuten können.

Stattdessen ist sie auf die Risse des Bedeutungsrahmens zurückzuführen, auf den wir uns verlassen, um unsere Welt zu verstehen - das geteilte Verständnis dessen, was real und wer vertrauenswürdig ist, welche Risiken es gibt und wie wir diesen begegnen, was der Anstand uns gebietet und welche Ideale unsere Nation vertritt. (Quelle)

Welche "Risse des Bedeutungsrahmens" könnten offensichtlicher sein, als der Kollaps aller Dinge? Unsere vielen Prognosen existieren auf allen Niveaus. Es gibt keine sichere Ebene, auf der wir den kommenden Sturm unbeschadet überstehen können. Es gibt kein Entkommen. Wenn alles "anders" erscheint - unbekannt, desorientierend und wage entfremdend, dann befinden Sie sich in einer Art Ausland. Sie befinden sich außerhalb der bekannten Grenzen all Ihrer bekannten Karten.


Schlussfolgerung

Wenn Sie nervös, wütend oder ängstlich sind - Glückwunsch! - dann ist nichts falsch mit Ihnen. Tatsächlich operieren Ihre Sinne normal und Ihre Wahrnehmung genau richtig. Sie haben eine Anpassungsreaktion; Ihre kognitive Karte versteht die Realität besser als Ihre Kultur und Zozobra ist ein Anzeichen für den zukünftigen Kurs.

Der wertvollste Teil der Benennung und des Verständnisses dieser Dinge ist die Tatsache, dass sie ihre Fähigkeit verlieren, Sie zu paralysieren. Unsere Emotionen sind nicht "die Wahrheit", sondern vielmehr unbequeme Empfindungen, die als Frühwarnsystem fungieren. Sie sind wie ein Quantenprozessor, der komplexe Systeme und Situationen analysiert, bevor unser Kortex irgendeinen Rat anbieten kann.

Es gibt ebenfalls einen Trost - eine Erleichterung - die auf das Verständnis zurückzuführen ist, dass unsere Reaktionen sowohl normal als auch gesund sind. Es gibt nichts, was einer Behandlung bedürfte. Nichts, das Medikamente benötigt. Man muss nur wissen, was es ist, die Paralyse so schnell wie möglich überwinden und dann Maßnahmen ergreifen.

Denn Sie alleine können die größeren Trends der ökologischen Zerstörung, geldpolitischer Druckerei, wahnsinniger Politik, etc. nicht verändern. Sie können nur Ihre Handlungen mit dem alignieren, was Sie als wahr erkennen. Doch derzeit gilt es, eine Entscheidung zu fällen: Sie können Ihre Zukunft entweder aktiv formen oder darauf warten, von ihr geformt zu werden.


© Chris Martenson
Peak Prosperity



Der Artikel wurde am 20. November 2020 auf www.PeakProsperity.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.