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Die weitreichenden Folgen der Amateur-Handelswelle

01.08.2021  |  Claudio Grass

2020 war sicherlich ein Jahr mit vielen "Premieren", die meisten davon extrem zerstörerisch für die Wirtschaft, unsere Gesellschaften und unser tägliches Leben. Es gab aber auch ein paar positive Entwicklungen, darunter die Tatsache, dass es das Jahr war, in dem ganz gewöhnliche Menschen die Finanzmärkte entdeckten und in diese einstiegen.

Bis zum letzten Jahr war die Welt des Trading und des Investing für den Durchschnittsbürger, Steuerzahler und Sparer lange Zeit verschlossen. Die Wall Street wurde immer als ein exklusiver Club angesehen. Das Konzept des Investierens selbst wurde weithin als etwas angesehen, mit dem sich nur diejenigen beschäftigen können, die an der Spitze der sozioökonomischen Pyramide stehen, und selbst dann nicht direkt. Banker, Broker und andere "Torwächter" sorgten dafür, dass diese sehr profitable Arena ihr eigener Spielplatz blieb und es niemand wagen würde, "den Vermittler auszuschalten."

Sie erreichten dies, indem sie die Märkte und die Finanzplanung im Allgemeinen als extrem kompliziert und sehr einschüchternd darstellten, indem sie unnötig verworrenes Jargon verwendeten und Horrorgeschichten von mythischen Verlusten verbreiteten, die jeder erlitten hatte, der sich am "DIY-Investment" versuchte. Vor allem aber erreichten sie dies, indem sie sich selbst als unersetzlich darstellten und den Eindruck erweckten, ihre Erkenntnisse und Erfahrungen seien das Äquivalent einer Kristallkugel, zu der niemand sonst Zugang hatte. Sie könnten "den Markt schlagen" und die Kunden sollten ihnen blind vertrauen, weil sie genau wüssten, was das Beste für sie war und immer ihren Vorteil im Sinn hatten.

Natürlich ist das meiste davon Unsinn. Dies beweist ein kurzer Blick auf die Performance verschiedener Strategien und die Renditen der letzten Jahrzehnte. Niemand hat eine Kristallkugel und niemand kann permanent "den Markt schlagen." Die exorbitanten Gebühren und die unverschämten Kosten, die Kleinanleger im Laufe der Jahre gezahlt haben, vor allem diejenigen mit kleineren Konten, nur für das Privileg, in ein Unternehmen zu investieren und ihr Geld einsetzen zu können, waren fast nie durch die erbrachten Dienstleistungen und die tatsächlich erzielten Renditen gerechtfertigt.

Und dabei sind noch nicht einmal die zahllosen Skandale, die Korruption und das Brechen und Beugen von Regeln berücksichtigt, die so viele Kleinanleger ihre gesamten Ersparnisse gekostet haben. Von rücksichtslosen Anlageentscheidungen bis hin zum Insiderhandel, von geheimen Absprachen bis hin zu offenem Betrug - die Torwächter von einst haben eine sehr zweifelhafte Bilanz vorzuweisen, die ihre Behauptung, die Interessen ihrer Kunden immer an erste Stelle zu setzen, definitiv nicht bestätigt.


Der große Wandel

Die explosionsartig gestiegene Popularität von einfach zu bedienenden Onlinetrading-Plattformen, mobilen Apps und Discount-Brokern bewirkte eine beispiellose, seismische Verschiebung in der Art und Weise, wie Menschen auf die Finanzmärkte zugreifen und an ihnen teilnehmen. Praktische, finanzielle und sogar psychologische Barrieren wurden beseitigt, und jeder, der eine Aktie oder ein anderes Anlageinstrument kaufen wollte, konnte dies einfach selbst tun, sofort und zu extrem niedrigen Kosten.

Schließlich breitete sich diese massive "Demokratisierung" des Investierens über alle Einkommensschichten hinweg aus und selbst diejenigen, die nur wenig Geld zur Verfügung hatten, konnten die Arena betreten. Die zunehmende Popularität der verschiedenen Trading-Apps förderte und bot auch Anreize für eine Menge Spekulation, eine Menge "Gruppendenken" und sehr gefährliche Handelspraktiken, als sich zahllose Amateure in eine Welt stürzten, die sie nicht verstanden.

Übermäßig riskante Trades und der einfache Zugang zu komplexen Instrumenten führten zu beträchtlichen Verlusten, ja sogar zur völligen Auslöschung von Konten, da so viele frischgebackene "Investoren" mit gehebelten Produkten und komplizierten Vehikeln experimentierten, ohne vorher auch nur grundlegende Recherchen angestellt zu haben.

Das waren die negativen Folgen der Marktöffnung für die Allgemeinheit, und wie bei jeder anderen Tätigkeit, die Menschen frei und auf eigenes Risiko ausüben können, gibt es einige, die viel mehr von diesem Risiko auf sich nehmen werden als andere.

So offensichtlich das auch klingen und auch wenn dies zu erwarten war, war es genau diese Kehrseite, auf die sich Medien, Politiker und die institutionellen Vertreter konzentrierten. Sie alle warnten eindringlich vor der extremen Gefahr, die Menschen entscheiden zu lassen, was sie mit ihrem eigenen Geld tun wollen. Sie stellten alle Kleinanleger im gleichen Licht dar und pickten sich einige Ausreißer mit hohen Verlusten heraus, um zu beweisen, dass man den Menschen einfach nicht zutrauen kann, zu wissen, was das Beste für sie ist.

Zugegeben, mehr Freiheit und mehr Auswahl zu haben, erfordert definitiv auch ein höheres Maß an Eigenverantwortung, und es wird immer einige Menschen geben, die damit nicht zurechtkommen. Gerade in der Welt des Investierens hat jeder Handel zwei Seiten und es gibt zu jedem Zeitpunkt Gewinner und Verlierer; so läuft das Spiel.

Und obwohl Erfahrung, eine entsprechende Ausbildung und spezifisches Fachwissen natürlich einen großen Unterschied machen, ist niemand vor Marktabschwüngen, schlechten und einseitigen Entscheidungen oder einfach nur Pech gefeit. Es gibt viele professionelle Investoren und erfahrene Trader, die oftmals trotz all ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten mit einem einzigen Trade katastrophale Verluste erlitten haben.

Insgesamt konzentrierte sich die Medienberichterstattung über dieses Phänomen, wie immer, auf den sensationellen Aspekt, auf all die negativen Einzelerfahrungen und die törichten Risiken, die einige Amateure eingegangen sind und dafür den Preis bezahlt haben. Das erstaunliche Ausmaß an finanzieller Befreiung, das als direktes Ergebnis dieser Veränderung eintrat, wurde jedoch weitgehend ignoriert.

Im kommenden zweiten Teil werden wir uns die Auswirkungen dieses Trends auf Silber ansehen und untersuchen, wie er es gewöhnlichen Menschen ermöglichte, zusammenzukommen und nicht nur auf die Aktien- oder Metallpreisen einzuwirken, sondern wohl auch auf eine höhere wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ebene.


Teil 2: Ein Paradebeispiel: Die "Silberaffen"

Eines der eindrucksvollsten Elemente dieses Wandels im Bereich der Kleinanleger ist der Beweis, den er für das liefert, was viele von uns schon immer wussten: Wenn die Menschen frei und direkt mit ihrem Portemonnaie abstimmen und ihr Geld gemäß ihrer Überzeugung einsetzen können, bekommt man ein viel deutlicheres Bild davon, was die Allgemeinheit, der Markt oder eine andere große Gruppe wirklich denkt und will. In diesem Fall haben wir zuerst gesehen, wie sich der Zorn gegen Hedgefonds, Banken und institutionelle Investoren durch die sogenannten "Meme-Aktien" und Short Squeezes manifestierte.



Unzählige kleine Amateurinvestoren schlossen sich online zusammen und koordinierten sich freiwillig, ohne Zwang und mit ihrem eigenen Geld auf dem Spiel. Sie nahmen bestimmte Aktien ins Visier, gegen die es gewaltige Short-Positionen gab, und trieben den Kurs immer weiter in die Höhe, was für Firmen und Banken, die sie als Teil des "Establishments" ansahen, ein ernstes und sehr teures Problem darstellte.

Unternehmen wie GameStop und AMC machten Schlagzeilen in den Mainstreammedien, ebenso wie die Rekordverluste, die die Investoren erlitten, die ihre Niederlage eingestehen und ihre Short-Positionen eilig eindecken mussten. Diese "David gegen Goliath"-Szenarien sowie die beeindruckenden Renditen, die viele erstmalige Händler erzielten, lieferten einen klaren Beweis für die Macht, die gewöhnliche Menschen ausüben können, und es ermutigte sicherlich weitere von ihnen, die Märkte zu betreten.

Als der Trend zum Amateur-Trading stärker wurde und sich weiter ausbreitete, begannen wir auch einige andere interessante Entwicklungen zu beobachten. Während Meme-Aktien und Kryptowährungen auch weiterhin sehr beliebt sind, insbesondere bei jüngeren Tradern, begann sich der Fokus langsam aber sicher auch auf andere Anlageklassen zu verlagern, was zeigt, dass ein bedeutender Teil dieser neuen Welle von Investoren tatsächlich viel mehr von den Märkten, der Wirtschaft und dem Bankensystem versteht, als die Medien ihnen zutrauen.

Eine wachsende Bewegung in den sozialen Medien und im Online-Handel, inspiriert durch das WallStreetBets-Forum, hat sich dem Kauf von physischem Silber zugewandt, um das, was sie zu Recht als korruptes Bankensystem ansehen, zu Fall zu bringen, aber auch um ihre Ersparnisse vor dieser neuen Ära der Inflation zu schützen, die gerade beginnt. Nahezu 130.000 gewöhnliche Bürger jeden Alters und Hintergrunds und ohne spezielle Wirtschafts- oder Finanzausbildung haben sich online zusammengeschlossen und eine konzertierte Kampagne gegen Banken und Finanzeliten gestartet.

Diese neue Klasse von Anlegern, die meist mit kleinen Konten handeln und sich selbst oft als "Silberrücken" oder "Silberaffen" bezeichnen - eine Hommage an den Film "Planet der Affen" - haben viele der Probleme, Schwachstellen und die offensichtliche Unhaltbarkeit des derzeitigen Finanzsystems und des Fiatgeldes selbst erkannt und verstanden.

Sie haben auch ganz eindeutig verstanden, was falsch daran ist, dass große Banken riesige Mengen an Papierkontrakten handeln für Silber, das sie nicht in ihren Tresoren haben und das eigentlich gar nicht existiert. Sie erkannten dies als einen massiven Schwachpunkt des gegenwärtigen Systems und aller etablierten Akteure: Wenn sie ihre Bewegung weiter wachsen lassen könnten, weiter zusammenarbeiten und weiter das physische Metall aufkaufen und halten, könnten sie das Papierhandelssystem empfindlich stören.

Es gibt schon jetzt nicht annähernd genug Silber, wenn jeder Kontakthalter sich entschließen würde, die Lieferung zu beantragen, also könnte "das in die Enge treiben des Marktes" und ein Ausquetschen der institutionellen Akteure immensen Druck auf den Markt ausüben und den Preis auf noch nie dagewesene Höchststände schicken.

Natürlich ist die Idee, den Silbermarkt in die Enge zu treiben, ein hoch angesetztes Ziel. Nur etwa 25% der 1 Milliarde Unzen Silber, die jedes Jahr produziert werden, werden für die Herstellung von Barren und Münzen verwendet, da Silber, anders als Gold, auch umfassend in industriellen Anwendungen zum Einsatz kommt und aus diesem Bereich eine hohe Nachfrage verbucht. Das bedeutet jedoch nicht, dass für diese Armee von Kleinanlegern keine Hoffnung besteht, Einfluss zu haben.

Wie Reuters Anfang des Monats berichtete, "strömten nach den Beiträgen auf WallStreetBets rund 3 Milliarden Dollar in einen vom Vermögensverwalter Blackrock betriebenen Fonds, der Silber für Investoren lagert. Blackrock erklärte, dass es innerhalb von drei Tagen mehr als 100 Millionen Unzen Silber zu seinem Lagerbestand hinzugefügt hat. Der Großhandelspreis von Silber sprang um fast 20% nach oben." Das Nachrichtenportal betonte zudem, dass die LBMA einräumte, dass es "Bedenken gab, dass London das Silber ausgehen würde."


Das Gesamtbild

Wenn wir die Spekulationen über kurzfristige Kursbewegungen beiseite lassen und uns auf die wichtigsten Elemente dieser Kleinanlegerwelle konzentrieren, wird klar, dass sie viele normale Menschen dazu motiviert hat, zu lesen, selbst zu recherchieren, voneinander zu lernen und auf die Jagd nach den Antworten zu gehen, die sie durch Mainstream-Medienberichte, politische Reden oder öffentliche Bildung nie bekommen würden. Diese zunehmende Tendenz hin zum Anzweifeln des "Konsens-Narrativs" und zum Bilden einer eigenen Meinung auf der Grundlage von Fakten, gesundem Menschenverstand und unabhängigem Denken ist wohl die wichtigste und folgenreichste Entwicklung dieses ganzen Trends.

Sehr ermutigend ist auch, dass die Art von Antworten, die die meisten Menschen am Ende ihrer Suche nach der Wahrheit und nach einem klareren Verständnis dafür, wie das gegenwärtige System wirklich funktioniert, erhalten, alle auf soliden Erkenntnissen basieren. Sie erkennen die Notwendigkeit von echtem Geld, die ungerechten Strukturen und Regeln, die den Markt davon abhalten, wirklich frei zu sein, und die unfairen Vorteile, die die finanziellen und politischen Eliten gegenüber dem durchschnittlichen Wähler, Arbeiter und Sparer genießen.

Im Gegensatz zu den "Lösungen", die sie in akademischen Kreisen dogmatisch erhalten würden, sind die, die sie selbst entdecken, viel realistischer, praktikabler und tatsächlich hilfreich, nicht nur für sie selbst, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Begriffe wie individuelle und finanzielle Freiheit, Eigenverantwortung und freiwillige Kooperation sind die Eckpfeiler eines jeden gesunden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, und die Tatsache, dass jeder Teilnehmer aus freien Stücken zu diesem Schluss kommt, leistet einen unschätzbaren Beitrag zur Beständigkeit, Stabilität und Funktionalität des besagten Systems.

Insgesamt ist es vielleicht noch zu früh, die genauen Auswirkungen dieses Phänomens abzuschätzen. Wir wissen bereits, dass es Aktienkurse bewegen oder Silber auf Mehrjahreshochs treiben kann, und diese Art von Effekt wird wahrscheinlich anhalten oder sogar noch verstärkt werden, wenn mehr und mehr neue Trader ins Rennen gehen. Was jedoch unendlich viel interessanter ist, ist das Potenzial, viel weitreichendere und bedeutsamere Veränderungen herbeizuführen, die nicht nur auf die Märkte beschränkt sind, sondern auch auf sozialer und politischer Ebene.

Wenn Bewegungen wie diese eine entscheidende Größe erreichen, können sich die richtigen Ideen verbreiten und in der Öffentlichkeit diskutiert und debattiert werden. Diese Art von Dialog, dieser freie Wettbewerb der Meinungen ist der erste Schritt zu einer gesunden Gesellschaft.


© Claudio Grass
www.claudiograss.ch


Dieser Artikel wurde am 26.07.2021 auf www.goldandliberty.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.