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Das neu entfachte Interesse der Zentralbanken am Gold

25.11.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit

Selbst die Zentralbanken trauen dem ungedeckten Geld, dem Fiatgeld, offensichtlich immer weniger zu - und kaufen kräftig Gold. Viele von ihnen ahnen vermutlich, dass die Zukunft des Geldes nicht dem Fiatgeld gehört, sondern dass das Gold eine monetäre Renaissance erfahren könnte.

"Wer in dem Augenblick suchen muß, wo er braucht, findet schwer." - Wilhelm von Humboldt


Zentralbanken stocken Gold auf

Im dritten Quartal 2022 erwarben weltweit die Zentralbanken beziehungsweise Währungsbehörden 399,3 Tonnen. Das war nicht nur ein gewaltiger Anstieg um 341 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Damit ist auch die Goldmenge, die von dieser Käufergruppe in der Zeit von Q1 bis Q3 2022 erworben wurde, auf 673 Tonnen gestiegen - die größte Kaufmenge seit dem Jahr 1967.

Als Käufer wurden vom World Gold Council genannt: die türkische Zentralbank mit 31 Tonnen, die Zentralbank von Usbekistan mit 26 Tonnen, die Zentralbank von Indien mit 17 Tonnen und die Zentralbank von Katar mit 15 Tonnen. Interessanterweise lässt das World Gold Council offen, welche Zentralbanken denn noch auf der Käuferseite standen - schließlich erklären die genannten Käufe ja bei weitem nicht das gesamte Kaufvolumen.

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Quelle: World Gold Council; Graphik Degussa. Letzter Datenpunkt: Q3 2022.


Man kann spekulieren: Vielleicht war insbesondere die Zentralbank von Russland im abgelaufenen Quartal ein ganz bedeutender Goldkäufer? Russland ist der Zugang zu den weltweiten Kapitalmärkten verschlossen, seine Fremdwährungsreserven sind eingefroren. Da liegt es nahe, dass Russland seine laufenden Einnahmen aus dem Energie- und Rohstoffexport, die in US-Dollar und Euro erzielt werden, eingetauscht hat in physisches Gold.

Mögliche Handelspartner könnten die Türkei, Indien und vor allem China gewesen sein. Eine Menge von, sagen wir, 200 Tonnen Gold hat derzeit einen Marktwert von etwa 11 Mrd. US-Dollar. Ein Betrag, den die russische Staatskasse vermutlich sehr leicht schultern kann: Allein im Monat September 2022 beliefen sich die russischen Erträge aus Ölexporten auf 15,3 Mrd. US-Dollar. Wenn man jedoch annimmt, dass nicht nur die russische Zentralbank, sondern auch andere (nicht-westliche) Zentralbanken ihre Goldnachfrage erhöht haben, dann stellen sich einige Fragen.


Weltweit setzen Zentralbanken seit langem schon auf Gold

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Zentralbanken weltweit bauen bereits seit Anfang 2009 ihre Goldreserven (wieder auf). Wie die nachstehende Graphik zeigt, bauten die Zentralbanken (im Aggregat) ihre Goldpositionen seit etwa Mitte der 1970er Jahr systematisch ab. Seit Frühjahr 2009 (im Zuge der globalen Finanzund Wirtschaftskrise) hat sich diese Entwicklung umgekehrt: Die Zentralbanken weiten seither ihre Goldpositionen wieder aus. Im September 2022 (letzter verfügbare Datenpunkt) beliefen sich die Zentralbankgoldreserven auf 1.181,4 Millionen Feinunzen, das war der höchste Bestand seit Februar 1975.

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Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. Letzter Datenpunkt: Sep. 2022.


Einige offene Fragen

Was steckt hinter dem beträchtlichen Zuwachs von Gold seitens der Zentralbanken und Währungsbehörden? Viele (nicht-westliche) Zentralbanken wollen vermutlich ihre Währungsreserven stärker diversifizieren als bisher, dadurch insbesondere ihre Abhängigkeit vom US-Dollar reduzieren. Warum? Zum einen wird wohl ein weitergehender Kaufkraftverlust beim Greenback befürchtet - wie übrigens auch bei den anderen westlichen Währungen wie Euro, britisches Pfund, Kanadischer Dollar.

Zum anderen werden politische Risiken neu eingeschätzt: Das "Einfrieren" der russischen Währungsreserven hat vielen Ländern und Investoren unmissverständlich vor Augen geführt, dass die USA den US-Dollar zu politischen Zwecken einsetzen, so dass US-Dollar-Investments von Ausländern quasi jederzeit von der US-Administration konfisziert werden können. Das Halten von physischem Gold unterliegt derartigen Risiken nicht.



Ist die Stellung des US-Dollar als Weltreservewährung tatsächlich gefährdet? Derzeit ist der US-Dollar - allen Unkenrufen zum Trotz - sicherlich die bedeutendste Währung der Welt. Große Investoren kommen nicht umhin, US-Dollar zu halten, um Finanz- und Handelstransaktionen abzuwickeln. Doch die Position des US-Dollar ist nicht in Stein gemeißelt. Wie bereits voranstehend gesagt, scheint die Neigung bei vielen Zentralbanken und Investoren zuzunehmen, ihre Abhängigkeit vom US-Dollar nicht Überhand nehmen zu lassen beziehungsweise sie abzubauen.

Ein Trend, der sich sehr wahrscheinlich in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Das gilt ganz bestimmt für die sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), aber auch viele andere kleinere Staaten. Und vermutlich gilt die wachsende Skepsis nicht nur gegenüber dem Greenback, sondern auch anderen westlichen Währungen wie Euro, Britisches Pfund, Schweizer Franken, Kanadischer Dollar - die ebenfalls den Vorgaben der USA unterstehen.

Reflektiert die hohe Goldnachfrage der Zentralbanken das Bestreben einiger Länder, eine Goldwährung zu schaffen? Spekulationen über eine neue Währung, die Russland und/oder die BRICS-Staaten neu schaffen könnten, haben in jüngster Zeit immer wieder und ganz zu Recht mediale Aufmerksamkeit gefunden.

Grundsätzlich wäre eine neue Währung sicherlich eine weitreichende Zäsur für den Status quo im internationalen Kredit- und Geldsystem: Sie wäre eine Herausforderung der "US-Dollar-Dominanz". Allerdings sind bei der Schaffung einer neuen Währung viele Hürden zu überwinden. Beispielsweise ließe sich die Akzeptanz einer neuen Währung vermutlich nicht über Nacht gewinnen. Und für eine breite Akzeptanz wäre es vor allem auch ganz entscheidend, wie eine solche Währung beschaffen ist.

Aus einem Währungskorb, bestehend aus zum Beispiel BRL, RUB, INR, CNY und RAN, ließe sich beispielsweise eine neue ungedeckte Fiat-Währung erzeugen, die nicht mehr dem US-amerikanischen Zugriff unterliegt. Eine solche Fiat-Korbwährung, die sich aus einzelnen nationalen Fiatwährungen zusammensetzt, wäre allerdings inflationär - so wie die westlichen Fiatwährungen auch.

Eine goldgedeckte Währung wäre hingegen eine vielversprechende Option (und für die Bürger und Unternehmer sicherlich sehr wünschenswert). Angenommen die BRICS-Staaten und andere in ihrem Gefolge würden sich auf eine Goldwährung einigen: Wie würde, wie könnte das funktionieren?

Der Teufel liegt hier im Detail. Denkbar wäre, dass die Länder zunächst ihre ausstehenden Geldmengen (beispielsweise in der Abgrenzung der Geldmenge M1) decken mit den Goldvorräten, die die Zentralbanken jeweils in ihren Kellern lagern, und fortan die nationale Geldmenge nur noch erhöhen, wenn die physische Goldmenge zunimmt (und zwar durch Schürfung von neuem Gold und/oder Zufluss von Gold aus dem Ausland, das für Geldzwecke verfügbar gemacht wird).

Unter solchen Bedingungen bilden sich zwischen den Währungen, die Gold gedeckt sind, neue (und zwar feste) Wechselkurse heraus: Währungen, die mit vergleichsweise viel Gold gedeckt sind, werten dabei auf gegenüber denjenigen, die mit vergleichsweise wenig Gold gedeckt sind. Und alle diese Währungen würden aufwerten gegenüber den (westlichen) Währungen, die keine Golddeckung haben.

In diesem Falle würden zwar einzelne „harte“ Goldwährungen entstehen, aber keine von ihnen hätte ein ausreichend großes Volumen, um als internationale Transaktionseinheit dienen zu können. Die Möglichkeit besteht nun jedoch, einen Währungskorb zu bilden, bestehend aus den goldgedeckten Währungen (im Fall der BRICS wären das BRL, RUB, INR, CNY und RAN). Die teilnehmenden Zentralbanken hätten fortan die Aufgabe, die vereinbarte Parität ihrer Währungen gegenüber dem Gold beziehungsweise gegenüber dem Währungskorb zu bewahren. Der Währungskorb könnte sodann einen eigenen Namen erhalten (etwa in Anlehnung an den "ECU") und als Transaktionsmedium dienen.

Ob allerdings eine Goldwährung tatsächlich im politischen Interesse der genannten Länder liegt, ist eine Frage wert: Schließlich will ja vermutlich jede Regierung nur allzu gern ungedecktes Geld verwenden, um es für politische Zwecke einzusetzen.

Länder, die die US-Dollar-Dominanz herausfordern wollen, hätten folglich zu entscheiden: Auf eine Goldwährung zu wechseln, die der Vormachtstellung des US-Dollar die Stirn bietet, dafür aber auf den monetären Handlungsspielraum (im eigenen Land) verzichten. Bereits an dieser Stelle lässt sich erkennen: Es wird keine einfache Sache sein, dem US-Dollar Konkurrenz zu machen, zumindest in kurzer Frist ist das ein schwieriges Unterfangen. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass ein Übergang zum Goldgeld mit einer beträchtlichen Erschütterung (Rezession) der Volkswirtschaften verbunden sein dürfte, die bislang auf Fiatgeld gesetzt haben.

Warum ist die Abkehr vom Greenback eigentlich so schwierig? Die Marktstellung des US-Dollars ist währungshistorisch gesehen eine besondere. Der US-Dollar ist seit dem Münzgesetz von 1792 immer eine Edelmetallwährung gewesen, und seine Goldbindung hat er erst zu Beginn der 1970er Jahre verloren, als das System von Bretton Woods, das von 1945 bis 1971 Bestand hatte, unilateral von den USA aufgekündigt wurde.

Aber auch nach dem Ende der Goldeinlösbarkeit blieb der US-Dollar die Weltreservewährung. Das ist wenig verwunderlich: Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist schließlich der US-Dollar die Währung der wirtschaftlich größten und militärisch stärksten Volkswirtschaft der Welt; keine andere Währung reicht an diesen Status heran.

Das derzeitige Weltgeldsystem lässt sich als ein US-Dollar-Standard charakterisieren, der sich nicht so ohne weiteres über Nacht abschütteln lässt. Das neu entfachte Interesse vieler Zentralbanken am Gold ist daher vermutlich in erster Linie auf ein geändertes Währungsreserve-Management zurückzuführen: stärkere Diversifikation ist das Ziel. Und dazu gehört der Abbau zusehends inflationärer(er) Währungspositionen in US-Dollar, Euro & Co. Gleichzeitig können dadurch viele Länder auch ihr politisches Risiko verringern: dass nämlich die USA den US-Dollar gegen sie im Zuge einer "Financial Warfare" einsetzt, um US-amerikanische Interessen durchzusetzen.



Welche Alternativen gibt es, um die Abhängigkeit vom US-Dollar zu reduzieren? Man könnte daran denken, dass Exportüberschussnationen (wie China) aufhören, US-Dollarpositionen aufzubauen. Sie könnten ihre Exporte weiter gegen US-Dollar verkaufen, die erhaltenen US-Dollar aber sofort in Güter wie zum Beispiel Rohstoffe und Vorerzeugnisse tauschen und aus den USA herausbringen, ins eigene Land überführen.

Es würde bedeuten, dass das Ausland nicht mehr wie bisher den Konsum und die Investitionen in den USA bereitwillig finanziert - und das käme den USA natürlich sehr teuer zu stehen: Die Güterknappheit in Amerika würde sich erhöhen, die Güterpreise würden steigen, die Zinsen anziehen und die Aktienkurse fallen. Der materielle Lebensstandard der Amerikaner würde sehr wahrscheinlich drastisch absinken, wenn der Weltreservewährungsstatus des US-Dollar Risse bekäme.


Potential für eine große Krise

Ein solcher Rückschlag für die (auf Pump finanzierte) Wohlfahrt der US-Wirtschaft hätte Rückwirkungen auf nahezu alle anderen Volkswirtschaften der Welt. Es könnte sogar zu einer großen Anpassungskrise führen: Das Schuldgeldsystem käme ins Rutschen, sollte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften schwinden. Eine große Zahl von Kreditnehmern wäre nicht mehr in der Lage, ihren Schuldendienst zu leisten. Die politischen Anreize, den drohenden Kollaps des Finanz- und Wirtschaftssystems mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse abzuwehren, stiege an - und damit auch das Risiko einer gewaltigen Hochinflation, die sogar zur Hyperinflation ausarten könnte.

Diese wenigen Überlegungen deuten bereits an: Der Preis für das politische Ziel, die US-Dollar-Dominanz bewusst und in kurzer Zeit zu brechen, wäre für alle Beteiligten sehr hoch. Aber die mittlerweile unübersehbare Instabilität des weltweiten Fiatwährungssystems ist im Grunde heute schon genug, um dem Gold wieder größeres Interesse entgegenzubringen. Einige Zentralbanken scheinen das nun verstärkt zu erkennen, und sie setzen wieder vermehrt auf das Gold. Und das ist natürlich entlarvend: Es zeigt, dass selbst die Geldbehörden das ungedeckte Geld, das sie seit Jahr und Tag erzeugen, nicht als hinreichend verlässlich ansehen, dass sie stattdessen lieber auf Gold setzen.

Auch wenn die Goldpreisentwicklung seit März 2022 viele Anleger und Investoren enttäuscht haben mag - der Preis des gelben Metalls ging von 2052 USD/oz auf etwa 1750 USD/oz zurück -, so gibt es nach wie vor doch gute Gründe, weiter auf die Versicherungsfunktion des Goldes zu setzen. Die wachsenden Ungleichgewichte in der internationalen Kredit- und Geldarchitektur empfehlen, zumindest einen Teil des liquiden Portfolios in physischem Gold (und Silber) zu halten. Denn die Kaufkraft des Edelmetalls kann nicht - anders als Bankguthaben - durch die Geldpolitik entwertet werden, und die Edelmetalle tragen zudem auch kein Zahlungsausfallrisiko.

Die aktuellen Preise für Gold und Silber sind aus unserer Sicht attraktiv für langfristig orientiere Anleger, um Edelmetallpositionen auf- und auszubauen.


Bemerkungen zur US-Dollar-Abhängigkeit des Goldpreises

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Periode: Januar 2000 bis November 2022.


Mit der obigen Graphik soll illustriert werden, welcher langfristige Zusammenhang zwischen dem Goldpreis und dem US-Dollar-Außenwert in der Vergangenheit bestanden hat. Die Gerade, die durch die Punktwolke gezogen ist, zeigt, dass eine Abwertung des US-Dollar tendenziell mit einem Anstieg des Goldpreises verbunden war; und dass eine Aufwertung des US-Dollar tendenziell mit einem Rückgang des Goldpreises einherging.

Beispielsweise war eine 10-prozentige Abwertung des Greenback mit einem Goldpreisrückgang von knapp 12 Prozent verbunden. Allerdings erweist sich die Erklärungskraft der Dollar-Bewegungen relativ gering für die Goldpreisschwankungen (gemessen am Bestimmtheitsmaß R2 in der obenstehenden Gleichung): Sie erklärt nur etwa 12 Prozent der Abweichungen von der Schätzgeraden.

Das heißt: Es gibt offensichtlich noch (viele) weitere Erklärungsfaktoren für die Goldpreisschwankungen, die nicht auf US-Dollar-Bewegungen zurückzuführen sind. Besonders interessant ist allerdings "Konstante" in der Schätzgleichung: Sie besagt, dass der Goldpreis im Durchschnitt pro Jahr um knapp 9 Prozent angestiegen ist, das heißt unabhängig von den Schwankungen des US-Dollar-Außenwertes. Der Goldpreis hatte damit ganz offensichtlich eine "Auftriebstendenz" gehabt, die nicht durch Dollarkursschwankungen zu erklären war.

Anders gesagt: Dollarkursschwankungen haben nicht verhindert, dass der Goldpreis im Trendverlauf angestiegen ist. Man sollte also die Schwankungen im US-Dollar-Außenwert nicht überschätzten hinsichtlich ihres Einflusses auf den Goldpreis.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH