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Geld außer Kontrolle

14.06.2011  |  Robert Rethfeld
Als Mitte der 1990er Jahre das Internet die PCs eroberte, gelang dies mit einer revolutionären Erfindung durch Marc Andreessen. Er programmierte den Mosaic-Browser. Aus dem Mosaic-Browser wurde der Netscape Navigator. Der Börsengang von Netscape im Jahr 1995 begründete den "Wahnsinn" der New Economy. Netscape verlor den Browser-Krieg mit Microsoft ("Internet-Explorer"). AOL zahlte 1999 4,2 Mrd. US-Dollar für Netscape. Der Browser ist seit 2003/2004 praktisch nicht mehr existent.

Im Bereich der Suchmaschinen kam es zu ähnlichen Entwicklungen. Google ließ im Laufe der Jahre Unternehmen wie Lycos oder Altavista weit hinter sich. Ähnliches lässt sich über die Entwicklung sozialer Netzwerke schreiben, wo Facebook mittlerweile unange-fochtener Marktführer ist und in Deutschland StudiVZ verdrängt hat.

Das Internet schreibt stets neue Geschichten, es ist ein sehr junges Medium am Beginn seines Lebenszyklus. Der Netscape-Börsengang fand erst vor 16 Jahren statt. Weitere unvorhersehbare Entwicklungen warten. Eine dieser Entwicklungen begann mit der virtuellen Welt "Second Life". Diese erreichte im Jahr 2007 ihren medialen Hype-Höhepunkt. Seither ist die Zahl der aktiven Konten zurückgegangen (von 1,7 Mio. "Accounts" in 2007 auf 1,3 Mio. in 2001). Das Interessante an dieser Welt: Sie verfügt über eine virtuelle Währung, den "Linden-Dollar". Dieser kann in Währungen wie US-Dollar oder Euro umgetauscht werden. Damit war ein Einfallstor geöffnet, das im Jahr 2009 der japanische Entwickler Satoshi Nakamoto mit seinem Bitcoin-Konzept nutzte.

Geld ist Zahlungs- bzw. Tauschmittel und hat eine Wertaufbewahrungsfunktion. Letztere aber nur, wenn der Wert des entsprechenden Geldes langfristig garantiert ist. Die Evolution des Geldes verlief über den Tauschhandel, das Naturalgeld, das Münzgeld, das Papiergeld hin zum digitalen Geld.

Bitcoin ist eine dezentralisierte, digitale Währung, die über eine Börse erworben werden kann. Ob Bitcoin das "Google" der digitalen Währungen werden wird oder ob es als "Altavista" endet, bleibt vorerst offen: Die Geschichte ist noch nicht geschrieben.

Neue Entwicklungen setzen sich immer dann durch, wenn deren Zeit gekommen ist. Die Zeit ist dann gekommen, wenn ein bestehendes System das Vertrauen verliert oder sich schlichtweg als das schwächere, anfälligere System erweist. Es kann keine zwei Meinungen über den Gesundheitszustand unseres aktuellen Geld- und Kreditsystems geben.

Noch wird ein System wie Bitcoin von den Währungshütern nur unterschwellig registriert. Das Kennzeichen einer jeglichen Revolution ist die kritische Masse. In den Frühjahrs-Revolutionen Tunesiens und Ägyptens wurde eine kritische Bevölkerungsmasse aktiv, nicht zuletzt dank des Einsatzes digitaler sozialer Netzwerke. In Syrien oder Saudi-Arabien war dies (bisher) nicht der Fall. In Syrien wird Gewalt angewendet, in Saudi-Arabien Geld.

Wenn nun eine digitale Währung wie Bitcoin den Bereich einer kritischen Masse zu erreichen droht, müssten sich die Zentralbanken für eine Strategie entscheiden. Die eine wäre die "Syrien-Strategie" (Bitcoin-Verbot und Bestrafung der Bitcoin-Nutzer). Die zweite wäre die "Saudi-Arabien-Strategie" (mehr Geld drucken). Die "Ägypten-Strategie" wäre der dritte Weg: Man lässt die Dinge laufen, bis sich eine Währung wie Bitcoin zu einem nicht mehr wegzudenkenden Zahlungsmittel entwickelt hat: Die kritische Masse wäre erreicht. Bitcoin würde parallel zum Dollar und zum Euro existieren. Mit dem Fortschreiten der Schuldenkrise würde das Vertrauen in Dollar, Yen und Euro fallen, das in Bitcoin mutmaßlich steigen. Die Folge wäre eine weitere Aufwertung von Bitcoin. Irgendwann würden Euro und Dollar - ähnlich wie der "Netscape Navigator" nicht mehr benutzt werden.

Bitcoin ist so anonym wie Bargeld. Es gäbe keine Bankkonten - und wohl auch keine Banken - mehr. Transaktionskontrollen wären unmöglich. Damit erhielten die Finanzämter keinerlei Möglichkeiten, Steuerhinterziehungen als solche zu erkennen. Dann würde Anarchie herrschen. Da ich mit der Mehrheit der Bevölkerung der Meinung bin, dass ein - möglichst demokratisches - Staatswesen besser ist als Anarchie, erscheint es sinnvoll, wenn die Politik Teile der Bitcoin-Idee für sich adaptieren würde.

Da wäre die Schaffung einer neuen digitalen Währung, die eine gewisse, für ein geordnetes Staatswesen notwendige Kontrollfunktion ermöglicht. Da wäre die Idee, dieser neuen Währung - wie Bitcoin - eine Inflationssperre einzubauen. Da wäre die Idee, dass sich diese Währung das Vertrauen an der Börse erarbeiten muss. Würde sich die Vertrauensbildung über mehrere Jahre hinziehen und in einem jahrelang steigenden Wechselkurs zu Euro, Dollar und Yen ausdrücken, so könnten die Schulden (die ja auf Euro, Dollar oder Yen lauten) mit der Zeit gegen null gehen, wenn die genannten Währungen gegen null tendieren.

Fazit: Wir stehen in der Evolution des Geldes an einer neuen, durch das Internet ermöglichten Entwicklungsstufe. Die Politiker haben noch die Möglichkeit, diese Entwicklung zu beeinflussen. Verpassen sie diese Chance, so könnte es sein, dass digitales Geld wie Bitcoin nicht nur neue Zahlungswege schafft, sondern unser Staatswesen verändert. Und das nicht nur im positiven Sinne. Die Gewinner wäre die Early Adopters einer neuen Währung, aber sie tragen derzeit auch die größten Risiken. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.


© Robert Rethfeld
www.wellenreiter-invest.de



P.S.: Wir schauen hinter die Märkte und betrachten diese mit exklusiven Charts! Wir veröffentlichen morgens gegen zwischen 7.30 und 8.00 Uhr eine tägliche Kolumne zum aktuellen Geschehen unter www.wellenreiter-invest.de, die als 14-tägiges Schnupperabo kostenlos getestet werden kann.



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