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Rohöl in den Fängen der Macht

24.11.2004  |  Walter Hirt
Seit Monaten berichten die Medien über die sich ausweitende "Yukos-Affäre" in Russland und über den tiefen Sturz des Michail Chodorkowskij, früherer Yukos-Vorstandschef. Viele Berichte suggerieren, Präsident Wladimir Putin wolle ein erstes Exempel statuieren, um die anschwellenden Machtansprüche der Oligarchen zu torpedieren. Auch wenn diesem oberflächlichen Argument eine gewisse Logik nicht abzusprechen ist, ist der Skandal um Yukos vielschichtiger und offenbart verblüffende Vernetzungen mit dem internationalen Machtgeflecht, wie sie in Nummer XXIV/10+11 beschrieben sind. Der Blick hinter die Kulissen Yukos zeigt uns nicht nur einen dynamisch geführten Ölkonzern, der nach der Fusion mit der gleichfalls effizient geführten "Sibneft" über das weltweit größte Ölvorkommen eines privaten Konzerns verfügt und bis vor kurzem täglich 1,8 Mio. Barrel (159 Liter) Rohöl gefördert hat, also größter russischer Erdölexporteur geworden ist, sondern auch ein dichtes Beziehungsgeflecht mit den Mächtigen dieser Welt, die vielfach ausserhalb vertrauter Normen und ethischer Ansprüche zu operieren gewöhnt sind.

Michail Chodorkowskij (40) hätte eigentlich Chemiker werden sollen; doch das unerwartete Ende der Sowjetunion eröffnete ganz neue Perspektiven. 1995 war er mit von der Partie, als sich die bankrotte Regierung von Boris Jelzin bei "reichen Geschäftsleuten" Geld borgte und gegen Anteile an den wertvollsten russischen Wirtschaftsunternehmen tauschte. Für knapp 200 Millionen Franken wurden Chodorkowskij in einem fragwürdigen Deal ganze 45% von Yukos überschrieben. Weshalb auch dieser als Finanzgenie geltende Aktivist der kommunistischen Jugendorganisation "Komsomol" zu diesen Auserwählten gehörte, blieb vorerst ein großes Rätsel. 1997 gründete er eine der ersten privaten Banken des Landes, die ihm umgehend ein weiteres Drittel an Yukos für wiederum 200 Millionen Franken verkaufte. Mit Charisma, Fleiss und frei von Skrupeln setzte er sich zum Ziel, Yukos zum modernsten und transparentesten Konzern Russlands, zum epochalen Musterunternehmen für das neue Russland zu formen. Der Merger mit dem kleineren Konkurrenzunternehmens Sibneft war Chodorkowskij's nächster Streich: Yukos-Sibneft wurde zur Nummer 4 im weltweiten Ölgeschäft; im Herbst 2003 war Yukos 40 Mrd. Sfr wert, die Produktionskosten waren um 83% gesenkt, mit seinen Steuern wurden 5% des russischen Budgets bestritten. Chodorkowskij war nach wenigen Jahren mit einem Privatvermögen von 15 Milliarden Dollar reichster Russe. Ganz Russland sollte nach seinen Ideen umgestaltet werden. Dann der Titanenkampf um Macht:

Chodorkowskij wusste die russischen Privatisierungen dank weiter Gesetzeslücken und vieler Grauzonen optimal zu nutzen und sich als bestimmender Herr über Yukos zu etablieren. Das allein hätte freilich nie und nimmer gereicht. Licht in die Finsternis um den steilen Aufstieg Chodorkowskij's brachte ein Artikel im "Handelsblatt" (3.11.2003) mit kleinem Kasten für die totale Brisanz:


Die Rothschild-Spekulation
- Kontakt: Bereits im Juli, damals liefen bereits Ermittlungen gegen Yukos, wurde spekuliert, es gebe eine Vereinbarung, nach der Lord Jacob Rothschild Yukos-Anteile treuhänderisch übernehmen werde, sollte Yukos-Chef Chodorkowskij wegen der Betrugsvorwürfe ins Gefängnis gehen müssen.
Kontakt: Lord Jacob Rothschild, Kopf des britischen Zweiges der Bankiersfamilie, steht seit längerem in Kontakt Chodorkowskij. Er ist gemeinsam mit dem früheren US-Außenminister Henry Kissinger und Chodorkowskij, Mitbegründer der von Yukos finanzierten Open Russia Foundation, die wissenschaftliche und kulturelle Projekte fördert.
Kontinuität: Die Rothschilds waren bereits im zaristischen Russland im Ölgeschäft aktiv.

(Quelle: Handelsblatt)

Henry Kissinger und Lord Jacob Rothschild, zwei der absolut führenden Protagonisten im internationalen Machtgeflecht (Nummer XXIV/10+11), halten mit Chodorkowskij seit Jahren Kontakt und erfreuen sich in der von Yukos finanzierten "Open Russia Foundation" des guten Zugangs zu den immensen Bodenschätzen Russlands, denn mit elitären Gesprächen in der Foundation über wissenschaftliche und kulturelle Projekte wird man sich mit Sicherheit nicht begnügen. Nun ist auch die Frage nach der großen Kapitalkraft des jungen Chodorkowskij geklärt. Diese Herren geben sich gern als Philanthropen, sind aber knallharte, mit gar allen Wassern gewaschene Exponenten eines Kapitalismus in einer Flut von Papiergeld, den sie selber pervertieren und schließlich zugrunde richten!

In der Annahme, dass Sie dieser Tage ausgiebig jene Informationen konsumieren müssen, die Ihnen das Macht-Kartell über seinen langen Medien-Arm zu servieren sich erlaubt, möchte ich hier ein paar Aspekte aufgreifen, die wichtiger sind als das ständig wiederholte Geschwätz der weitgehend abhängigen Medien. Da ist einmal die verschwiegene "Group Menatep" mit Sitz in Gibraltar, über die ich trotz umfangreicher Recherchen keine wirklich brauchbaren Angaben gefunden habe. Schon bevor der Chef dieser Beteiligungsgesellschaft, Platon Lebedjew, am 2. Juli 2003 wegen 'Ungereimtheiten' bei der 1994 erfolgten Privatisierung des Düngemittel Bergwerks "Apatit" festgenommen wurde, galt Yukos-CEO Michail Chodorkowskij, dessen langjähriger Weggefährte, als eigentlicher Kopf der Menatep-Gruppe. Diese Gesellschaft scheint das Sammelbecken für die Interessen Chodorkowskij's und seiner (auch ausländischen) Partner zu sein; Menatep besitzt über 60% an Yukos - 44% sollen Chodorkowskij gehören.

Zwei Tage später muss Chodorkowskij vor der Generalstaatsanwaltschaft zum Fall Lebedjew aussagen und nochmals fünf Tage später eröffnen die Steuerbehörden eine Untersuchung gegen Yukos wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung. Der Bussgang für den russischen Öl-Tycoon, der es gewagt hatte, die Staatsmacht in einem Wahljahr mit Prahlereien, er werde mit 'seinem Geld' das Parlament und die Regierung kaufen können, mit unvergleichlicher Arroganz heraus zu fordern, war lanciert. Was den Zorn des Kremls auslöste, war in den Augen der herrschenden Politkaste nichts Geringeres als der Versuch, Russland total zu privatisieren. "Dagegen stemmten sich in erster Linie jene Eliten, die von den Privatisierungen in den 90er Jahren nicht profitieren konnten. Der Beifall der breiten Massen war ihnen gewiss, weil die Profiteure aus der Privatisierungswelle im Volk generell als Schurken gelten." (NZZ).

Die Rechtsunsicherheit in Russland hat Tradition, weil es keine politische Kraft gibt, die gegen Rechtsmissbrauch antreten könnte oder möchte, denn der Bürgersinn einer aufgeklärten Zivilgesellschaft fehlt weitgehend. Wladimir Putin und seine Adlaten scheinen der Vermischung von staatspolitischen und wirtschaftlichen Interessen keine Willkür beizumessen; die systematische Verkuppelung gehört vielmehr zur Machtdemsonstration des Kremls. Der westlichen Medien Stimmung ist deshalb eindeutig: Der Kreml wird beschuldigt, sich rachsüchtig das Recht zu nehmen, einen unliebsamen Giganten auf dem Weg zur dominierenden Machtstellung rechtzeitig abfangen zu wollen. Kritisiert wird vor allem, dass die Obrigkeit sämtliche Versuche der gütlichen Einigung zur Abwendung des Konkurses ausgeschlagen hat.

Auch dem vormaligen Zentralbankchef Wiktor Geraschtschenko, der vom eingesperrten Chodorkowskij bestimmte Krisenmanager, gelang es nicht, Verhandlungen mit der Regierung und dem Kreml herbeizuführen. Die rasche Liquidierung des Unternehmens mit Aufteilung des Konzernvermögens unter der politischen Elite, die bei den Privatisierungen unter Boris Jelzin in den 90er Jahren praktisch leer ausgegangen war, scheint von vornherein - weil als legitim empfunden - beschlossene Sache zu sein. "Wer die Macht besitzt, ist auch im Recht. Auch im postsowjetischen Russland besteht darin die Quintessenz des politischen Denkens" (aus der Aargauer Zeitung). Der vom neuen Kreml-Stabschef Dimitrij Medwedjew vorgebrachte Vorwurf, die eingeschaltete Staatsanwaltschaft lasse das Augenmass vermissen, vermochte den ablaufenden Prozess nicht in eine bessere Bahn zu lenken.

Eigentlich müsste man sich wundern, dass der Kreml ohne Rücksicht auf Verluste gewillt ist, die Spielregeln, die er selber schuf, kompromisslos durchzusetzen. Über 100.000 Arbeitsplätze stehen zur Disposition, das Vertrauen des Auslands in die Rechtsprechung Russlands nimmt schweren Schaden, die dringend erforderlichen privaten Investitionen in die aufstrebende russische Volkswirtschaft werden stocken, die Rohöl- und Erdgas-Industrie - der wichtigste Zweig der Volkswirtschaft für sprudelnde Deviseneinnahmen - dürfte einen schwerwiegenden Dämpfer hinnehmen müssen, und der Image-Schaden für die Regierung Putin und die Duma wird nachhaltig sein. Kritische Stimmen sprechen von einer weiteren Finanzkrise im Stile der Erschütterungen von 1998, zumal gerade in diesen Tagen die "Guta-Bank" mit 76 Filialen in Not geraten ist und nach der rettenden Hand der Zentralbank greifen muss. Und auch vor den Schaltern der viel grösseren Alfa-Bank (eine der Big Five) bildeten sich Schlangen besorgter Sparer, weil einige der Automaten beim grossen Run nach Geld nichts mehr hergaben. Der CEO der Alfa-Gruppe, Michail Fridman (40), musste ernsthafte Probleme umgehend dementieren.

Je intensiver man sich mit dieser historisch herausragenden Episode auseinandersetzt, desto mehr verstärkt sich der Eindruck, dass Putin ganz einfach verhüten will, dass die Rohstoffe des Landes, der Lebensnerv für die Russen, endgültig unter ausländische Kontrolle geraten und vom Grosskapital des Westens dominiert werden. Ein patriotischer Akt also, eine stramm nationalistische Haltung und - falls die hier geäusserte Annahme zutreffen sollte - sogar ein Weg zur Vernunft und zum Wohl der Volkswirtschaft.

Dazu sei an ein entscheidendes Zwischenspiel erinnert, das unseren abhängigen Medien total 'entgangen' ist: Die Oligarchen haben praktisch über Nacht ein perfektes Bankensystem nach internationalen Standards für die globale Akzeptanz errichtet, was nun wirklich kein Kinderspiel ist. Externe Hilfe machte die Geburt - unter russischen Namen mit ausländischem Kapital - möglich, dessen Quelle ohne Schwierigkeit zu eruieren ist: Bei der internationalen Hochfinanz, die sich für die 'Ernte' in Russland optimal positionieren wollte; besonders häufig stösst man auf den Namen Jacob Rothschild, den Londoner Chef dieser Dynastie!

Dass der Kreml, kaum hat er die straff zentralistisch dirigierte Wirtschaft zu öffnen begonnen, die wirtschaftliche Machtkonzentration in wenigen, mit ausländischem Kapital gefüllten Händen nicht akzeptieren will, ist durchaus verständlich. Die Ökonomen der Weltbank haben die Rolle der neuen russischen Elite in einer größeren Studie untersucht und festgestellt, dass die 23 größten Wirtschaftskapitäne Russlands, Oligarchen genannt, den lukrativsten Drittel der Wirtschaft kontrollieren und einen Fünftel aller Arbeitskräfte beschäftigen. Demgegenüber leiden die übrigen Sektoren unter fehlender Konsolidierung und zu großem, einengendem Einfluss des Staates. Die zehn mächtigsten Gruppen herrschen über 60% aller an der Börse kotierten Firmen. Putins Härte gegenüber den Oligarchen könnte bei einem großen Teil der russischen Bevölkerung, die nach Streichung vieler Vergünstigungen aus sowjetischer Zeit über die einschneidenden Sozialreformen stöhnt, helle Schadenfreude über das 'gerechte' Los der 'Schurken' entfachen.

Ein paar Fakten, die zum Nachdenken anspornen: Die enge Verflechtung der Interessen von Michail Chodorkowskij, Jacob Rothschild und Henry Kissinger mit ihren einflussreichen Freunden aus den Logen und 'Interessengruppen' im Hintergrund ist hinreichend belegt. Nach der Verhaftung von Chodorkowskij am 25. Oktober 2003 war Yukos Finanzchef, der Amerikaner (!) Bruce Misamore, anfänglich so etwas wie der Firmensprecher. Er erklärte mit Nachdruck, man sei zunächst den 56.000 Yukos-Aktionären gegenüber verantwortlich und es seien keine russischen Steuergesetze verletzt worden: "Jedes Unternehmen und jeder Bürger hat das Recht, Steuerzahlungen so gering wie möglich zu halten. Was die Behörden aus politischen Gründen Steuerhinterziehung nennen, ist für uns eine vollkommen legale Steuervermeidung." (Ähnliche Parolen kennen wir aus der ersten Phase der Auflehnung gegen die gerichtlichen Maßnahmen nach dem Platzen des Enron-Skandals.)

Bereits am 28. Oktober wurde der vormals für die amerikanische Ölfirma Conoco Phillips (!) tätig gewesene Steven Michael Theede von Yukos zum COO (Operationschef) ernannt und soeben ist Theede auf den CEO-Posten gehievt worden, nachdem Simon Kukes sein Büro nach einer turbulenten Yukos-Hauptversammlung räumen musste. Gleichzeitig übernahm Wiktor Geraschtschenko für ein pompöses zweistelliges Millionen-Dollar-Gehalt das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden. Wenn man sich schon an einer Nahtstelle der Volkswirtschaft zu verausgaben hat, dann muss auch 'Kohle' her, so die trübe Mentalität in diesen Kreisen! Der quirlige Amerikaner Theede und der frühere Staatsplan-Funktionär Geraschtschenko, politisch noch immer gut verdrahtet, sollen das Unternehmen mit Verhandlungsgeschick am Leben erhalten - falls Putin das überhaupt zuzulassen gewillt ist!

Wer ist Simon Kukes und weshalb könnte er seiner Funktion enthoben worden sein? Nur einen Tag nach dem Rücktritt Chodorkowskij's bekräftigte ein neues siebenköpfiges Führungsteam unter der Leitung des russisch-amerikanischen (!) CEO Simon Kukes am 4. November 2003 an einer Pressekonferenz das Festhalten an den bekannten Unternehmenszielen. Der 56-jährige Simon Kukes war in den 70er Jahren aus der damaligen Sowjetunion in die USA ausgewandert und wurde rasch (!) zum amerikanischen Staatsbürger. Er soll seit 25 Jahren im Erdölgeschäft tätig gewesen sein, und er erklomm nach seiner Rückkehr nach Russland mit der Leitung des Öl-Unternehmens Tyumen Oil Company (TNK) den Gipfel seiner Karriere. Schließlich wurde er im Juni 2003 zum Chef des Yukos-Verwaltungsrats ernannt und wenig später auch zum CEO. Da TNK danach mit dem britischen Konzern BP (!) fusionierte, erwachten sofort alte Gerüchte, wonach Yukos mit einem der amerikanischen Unternehmen zusammengehen möchte:

Abbildung 1 (aus: Financial Times Deutschland)

Was zuerst als Gerücht bezeichnet wurde, stellte sich schliesslich als Tatsache heraus: Die Konzerne Exxon Mobil und Chevron Texaco strebten eine kapitalmässig abgesicherte Partnerschaft mit Yukos an; beide Ölkonzerne gehören zum Interessenkreis von David Rockefeller, der damit seine Kontrahenten von Royal Dutch Shell (im Einflussbereich der Rothschilds sowie der beiden Königshäuser Grossbritanniens und der Niederlande mit deren ausgelegten Ködern) auszustechen versuchte. Der Skandal um die gefälschten Zahlen für die Ölreserven von Royal Dutch flog für Rockefeller im denkbar besten Moment auf.

Die 2003 abgeschlossene Fusion zwischen Yukos und Sibneft wurde nach der Verhaftung von Chodorkowskij durch Sibneft widerrufen. Nach Angaben von Yukos ist der Sibneft-Anteil mehr wert als die aktuell geforderte Steuerschuld; da aber alle Vermögensteile von Yukos beschlagnahmt worden sind, kann der Sibneft-Teil nicht ins Spiel gebracht werden, und der Kreml will diesen aus durchsichtigen Gründen gar nicht anrechnen lassen. Der frühere Sibneft-Besitzer, Roman Abramowitsch, dessen Vermögen auf 12 Milliarden Dollar (!) geschätzt wird, hat sich rechtzeitig nach London (!) abgesetzt, wo ein solch potenter Kerl (37-jährig!) mit dubios erworbenem Vermögen offenbar willkommen ist. Der protzende "Geld-Zar" ist heute auch stolzer Besitzer des englischen Premier-League-Clubs Chelsea London, weshalb er in der Öffentlichkeit ein gewisses Ansehen geniesst. Die Fussball-Europameisterschaft in Portugal verfolgte der eitle Fussbal-Fan Abramowitsch wegen erwünschten Menschen-Einkaufs für Chelsea intensiv. Er lag gleich mit drei Yachten an der Algarve-Küste vor Anker: mit der "Kalinka", der "Belorus" und der 106 Meter langen, mit Extrem-Luxus ausgebauten "Le Grand Bleu" (die weltweit sechstgrösste Yacht mit zwei Hubschrauber-Landeplätzen). Mit dabei waren rund 300 Mitarbeiter, darunter Schiffspersonal, Bodyguards, Masseure und Friseure für die Sicherheit und das Wohl der Gäste, die tägliches 'dolce vita' in vollen Zügen geniessen durften.

Auch andere der 36 russischen Dollar-Milliardäre haben sich ins Ausland abgesetzt, sind rechtzeitig geflüchtet. Der aktuelle Aufenthaltsort von Wladimir Potanin (46) ist nicht bekannt; auch Viktor Weckselberg (47) ist in Moskau schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen worden; der entschiedene Putin-Gegner Boris Beresowskij lebt ebenfalls im Londoner Exil. Die mit Haftbefehl in Russland gesuchten Yukos-Milliardäre Leonid Newslin, Michail Brudno und Wladimir Dubow halten sich in Israel auf - als israelische Staatsbürger geniessen sie hier, in ihrem gelobten Land, besonderen Schutz vor Zugriffen.

Abbildung 2 (aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Eine brisante Meldung der "Agence-France-Presse" hat "The Washington Times" bereits am 3. November 2003 veröffentlicht; keine andere Zeitung hat meines Wissens die Information weitergegeben: Michail Chodorkowskij hat alle Stimmrechte seiner direkt und über die Finanzgruppe Menatep gehaltenen Yukos-Aktien an Lord Jacob Rothschild abgegeben (bzw. abgeben müssen, weil er diese vermutlich nur treuhänderisch gehalten hatte) - wie gut doch, dass man sich von 'philanthropischen' Stiftungen und der Kunst-Bewunderung her kennt! Leider sind die genauen Vereinbarungen über diese Aktion geheim geblieben, wie so vieles in diesen Kreisen.

Der Ausgang dieses Dramas um Yukos, seine Macher, die Kreml-Gewaltigen, neiderfüllte Bürokraten, Ewiggestrige der Duma und um das eingstrickte internationale Machtgeflecht ist derzeit offen. Dass der Kreml auf das Angebot von Chodorkowskij, die Steuerforderungen mit Aktien der Yukos-Grossaktionäre begleichen zu wollen, nicht eingehen will, ist befremdlich, zumal das Gericht sämtliche liquiden Mittel des Konzerns gesperrt hat und damit verhindert, dass ausstehende Schulden bezahlt werden können. Mit Sicherheit werden für viele Beteiligten ruinöse Folgen zu verkraften sein; zu hoffen bleibt, dass die russische Gesellschaft in ihrer Entwicklung nicht schon wieder zurückgeworfen wird. Betroffen ist nämlich die Achillesferse der russischen Volkswirtschaft, denn die Ölförderung im ersten Halbjahr 2004 ist gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs um 10.5% auf 223.6 Millionen Tonnen gestiegen, d.h. auf 9 Millionen Barrel pro Tag.

Putin hat nun zu ernten, was er gesät hat. Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 hat er, selbst ein KGB-Mann, Geheimdienstleute in Moskau zusammengezogen, um eine tüchtige Truppe gegen die Allmacht des Gefolges seines Amtsvorgängers Boris Jelzin (darunter auch die Mehrzahl der Oligarchen) aufzubauen. Moskaus Kreml-Fraktion der Geheimdienstleute hat enorm an Einfluss gewonnen; ihr Ziel ist eine straffe Kontrolle von Politik und Wirtschaft. Die «Silowiki» sind eine geheimnisumwitterte Spezies russischer Politik: Seit Jahrzehnten werden unter diesem Begriff die Mitarbeiter der "Ministerien der Macht" (auf russisch "Sil") subsumiert; in jüngster Zeit wird eine besonders einflussreiche Gruppe eingeschlossen: die Vertreter von Militär, Polizei und Geheimdienst, die nun drauf und dran sind, den Machtkampf gegen die Vertreter der alten Ordnung von Boris Jelzin für sich zu entscheiden. Dass nun Erdöl, Russlands Reichtum, ins Zentrum des Machtkampfs geraten ist, kann angesichts der Zahlen für nachgewiesene Ölreserven nicht erstaunen.

Bis hierher war ausschliesslich von Erdöl die Rede. Für Russland immer wichtiger ist auch die Gewinnung und Vermarktung der reichen Erdgasvorkommen. Längst ist auch dieser Energieträger in den Machtkampf geraten. Gazprom hat sich besonders ehrgeizige Ziele gesetzt; der Vorstandschef Alexej Miller will seinen Konzern zum weltweit führenden Energiekonzern ausbauen. "Gazprom soll nicht nur ein auffälliger Spieler auf dem globalen Energiemarkt werden, sondern muss auch die Spielregeln festlegen können", sagt Miller, und dafür will er in den nächsten zehn Jahren 100 Mrd. US$ investieren. So stolz der kühne Plan auch sein mag, so realistisch scheint er, wenn der aktuelle Datenkranz beachtet wird: Den Erdgasausstoss hat Gazprom im Jahr 2003 um 18.3 auf 540 Mrd. Kubikmeter gesteigert, einen Export-Rekorderlös von 471 Mrd. Rubel (über 16 Mrd. US$) eingefahren und den Reingewinn auf 142,6 Mrd. Rubel gesteigert, was fast einer Verdreifachung entspricht. Der aggressive Miller gesteht freimütig, dass er die Vorgänge um Yukos bedauert, aber keine ausgeschlachteten Teile kaufen möchte, sondern an gemeinsamen Förderprojekten interessiert sei.

Für die gewaltigen Investitionen - auch zur künftigen Belieferung Asiens - ist Gazprom auf finanzstarke Partner angewiesen. Deshalb wählte die Hauptversammlung nicht nur den Kreml-Administrationschef Dimitrij Medwedjew erneut zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates, auch Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann wurde zum fünften Mal in das Gremium gewählt. Die Eon-Tochter Ruhrgas hält nämlich 6,5% der Gazprom-Anteile. Der deutsche Ruhrgas-Konkurrent, die BASF-Tochter Wintershall, intensiviert die erfolgreiche Kooperation mit Gazprom ebenfalls: Wingas, ein zu 65% in Wintershall- und zu 35% in Gazprom-Besitz befindliches Gashandels-Joint-Venture hat seinen Absatz 2003 auf 3 Mrd. Euro gesteigert. Ob und allenfalls wie stark britische und amerikanische Interessen bei Gazprom mitschwingen, ist (bisher) nicht in Erfahrung zu bringen.

Putin hat öffentlich mit Nachdruck erklärt, er beanspruche für Russland 51% an Gazprom. Ist daraus zu interpretieren, dass diese Mehrheit beim "Prozess der Annäherung" gestört worden ist? Gibt es eine Vereinbarung, dass der Staat die strategisch wichtigen Unternehmen dominieren muss? Und warum 'will' die Eon weitere Investitionen in Russland mit ihren Gazprom-Aktien finanzieren, die doch auch für Eon strategisch unverzichtbar sind? Hat etwa der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder während seines 'Kurzbesuchs' in Moskau am 8. Juli diesbezügliche Zusicherungen gemacht - vielleicht gegen Putins Versprechen, dadurch sei die Rückzahlung von Russlands Schulden bei der Bundesrepublik in Höhe von rund 15 Mrd. Euro nicht gefährdet? Denn Putin ist von der Rothschild-Clique über die Oligarchen derart massiv auf die Füsse getreten worden, dass er nun mit allen verfügbaren Mitteln versuchen muss, sich wieder in Frontposition zu manövrieren - und die Deutschen sollen beim russischen Roulette offenbar auch zur Kasse gebeten werden!


© Walter Hirt
Quelle: Auszug aus "WIRTSCHAFT aktuell", Nummer XXIV/12, 30. Juni 2004


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