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Es geht sehr wohl um die Defizite

16.01.2006  |  Dr. Marc Faber
Ich kann leicht einsehen, dass man nicht von vorne herein behaupten kann, dass ein Handelsbilanzüberschuss "gut" und ein Handelsbilanzdefizit "schlecht". Wenn eine schnell wachsende Wirtschaft Grundkapitalgüter für die Produktion importiert oder Patentgebühren für die Anwendung mancher Ideen bezahlt, dann denke ich, dass man ein Handelsbilanzdefizit rechtfertigen kann, weil es sich auf die Formierung des Kapitals bezieht, das dann zu gesundem Wachstum aufgrund dieser Investitionen führt und schließlich die realen Einkünfte des Haushalts und den Lebensstandard nach oben treibt.

Wenn jedoch ein Handelsbilanzdefizit an den Verlust eines Wettbewerbsvorteils gekoppelt ist und weitestgehend mit dem Import von Verbrauchsgütern zusammenhängt, dann bezweifele ich, dass ein solches Defizit langfristig zu verbesserten Lebensstandards führen wird.

Vorübergehend und theoretisch könnte es einen Anstieg des Lebensstandards geben, wenn die Importpreise scharf zurückgehen und es den Haushalten deswegen möglich wird, einen größeren Warenkorb zu kaufen, während die Stellenverluste am Arbeitsmarkt sofort durch neue Stellen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, die die gleichen oder sogar bessere Löhne bezahlen. Aber das scheint in den westlichen Industrienationen und den USA gerade nicht der Fall zu sein, wo die durchschnittlichen Haushaltseinkommen seit 1999 um 4% gesunken sind. Auch die Daten aus dem Amt für Arbeitsstatistik untermauern diese These durch eine Studie, die von AFLCIO in Auftrag gegeben wurde.

Diese Untersuchung wurde von Peter D. Hart Research Associates Inc durchführt. Man befragte 805 arbeitende Amerikaner. die Fehlerspanne betrug 3,5%. Nur 11% der Befragten - mit Schwerpunkt auf Familien mit einem Jahreseinkommen von 75.000 Dollar und mehr - gaben an, dass sie glauben, ihre Familieneinkommen seien schneller gestiegen, als die Lebenshaltungskosten. Unter den 53% der Arbeiter, die sagten ihre Einkommen fielen immer weiter zurück, sagten weniger als ein Drittel, dass es ihnen besser ginge, als ihren Eltern im gleichen Lebensabschnitt.

Es ist jedoch immer noch möglich, dass die Lebensstandards gestiegen sind, wenn auch das mittlere Haushalteinkommen gefallen ist, was sich durch steigenden Verschuldungsgrade erklären lässt, die zu einer Inflation bei den Vermögenswerten geführt haben und der Illusion von Reichtum. Seit 1995 ist die Gesamtverschuldung am amerikanischen Kreditmarkt um mehr als 100% auf 37,3 Billionen US-Dollar gestiegen bzw. auf über 300% des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig sind die Verbraucherschulden um 120% auf heute 10,7 Billionen Dollar in die Höhe geschossen. Sie liegen heute bei mehr als 120% des privaten, verfügbaren Einkommens.

Wenn jedoch der Lebensstandard als Folge der höheren Verschuldung gestiegen ist, die wiederum zu steigendem Wohlstand der Haushalte führt, dann müssen zwei Punkte bedacht werden. Die Gewinne beim Wohlstand der Haushalte sind ungleich verteilt. Zwischen 1983 und 2001 haben die obersten 20% der Haushalte in Bezug auf Wohlstand Netto 89% des Gesamtwachstums erhalten, während auf die verbleibenden 80% der Haushalte nur 11% des Wachstums fielen. Ich würde daher behaupten, dass die Verzerrung der gesamten Marktmechanismen das zentrale Problem der monetären Inflation ist. Wenn die monetäre Inflation zu Verbraucherpreisanstiegen führt, dann hebt sie nicht alle Preise um den gleichen Wert; manche Preise steigen, andere bleiben zurück.

Genauso gilt, dass wenn die monetäre Inflation sich in den Preisen für Vermögenswerte zeigt, nicht alle Haushalte in gleicher Weise profitieren. Deswegen führt eine Inflation bei den Vermögenswerten normalerweise zu einer enormen Vergrößerung der Ungleichheit bei Wohlstand und Einkommen. (Wenn nicht die Steuerpolitik so gestaltet wird, dass sie den Wohlstand neu verteilt, was dann aber wiederum zu neuen Fehlanpassungen führt.)

Ich denke es sollte selbst dem Nicht-Wirtschaftswissenschaftler deutlich sein, dass immer dann, wenn sich Produktion und Investitionen in eine neue Region bewegen, dies zu höheren Beschäftigungszahlen in dieser Region führt und durch eine Reihe von Effekten zu steigenden Einkommen und steigendem Lebensstandard. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass wenn die Hersteller die Produktion nach Asien verlagern oder in eine andere der neu aufkeimenden Wirtschaftsregionen, dass diese auch immer mit einem Technologie- und Wissenstransfer verbunden ist, der dann das Bildungs- und Begabungsniveau der örtlichen Bevölkerung in Schwung bringt und zu vielen anderen Vorteilen führt. Ein Beispiel für Vorteile, die sich aus den damit verbundenen Nebenleistungen ergibt, ist die Bewegung von Lagern nach China und in andere asiatische Gegenden.

Laut einer Studie der Financial Times (vom 7. November 2005) verlagern die "amerikanischen Hersteller und Einzelhändler ihre Lager- und Distributionseinrichtungen zunehmend nach China, als Teil ihrer Bemühungen die Lieferwege effizienter zu gestalten. Bis vor kurzem war es üblich, dass Produkte, die in China hergestellt wurden, auf ihrem Weg zum Bestimmungsort durch Amerika kamen. Aber das hat bereits angefangen sich zu ändern. Zunehmend mehr Güter werden sortiert, verpackt und ausgezeichnet, noch ehe sie China verlassen. Wenn sie in Amerika ankommen, werden sie direkt an den Einzelhändler oder den Verbraucher geschickt, ohne den Umweg über die amerikanischen Lagerhäuser zu machen."

In diesem Artikel heißt es weiterhin, dass die meisten amerikanischen Unternehmen ihre eigenen Lagerhäuser besitzen, aber die Anlagen nutzen, die ihnen die Logistikpartner wie UPS und DHL zur Verfügung stellen. Man geht davon aus, dass UPS bis Ende des Jahres fünfzig Lagerhäuser in China besitzen wird. Im folgenden Jahr plant man weitere zehn Häuser. "Red Wing", ein Schuhhersteller, schriebt die Zeitung, hätte einen Teil der Arbeit vom Hauptlagerhaus in Salt Lake City in eine Anlage der UPS in Yantian verlagert.

Der Marketingdirektor sagte dazu: "Wir tun (in Utah) das gleiche, wo mehr Leute länger brauchen, um die Arbeit bei höheren Kosten zu erledigen." (Hier haben Sie die Wahrheit über das großartige amerikanische Produktivitätswunder.) Abgesehen davon kostet ein Lagerhausmitarbeiter in China nur zwei Dollar in der Stunde, verglichen mit 14-15 Dollar in den Vereinigten Staaten. (Aber dazu sollten Sie auch wissen, dass man zwei Dollar in China für einen guten Lohn hält.) Die Verlagerung von Lagerhäusern und Versandstellen nach China ist auch für Hong Kong nicht gut.

Der Wunsch ist Vater des Gedanken, wenn man glaubt, dass die großen Ingenieure, Wissenschaftler und Erfinder weiterhin im Westen ihren Sitz haben und dass die "ungebildeten" Asiaten weiterhin in den schlecht bezahlten Fabriken arbeiten werden und die zusätzlichen Dienstleistungen mit wenig Umsatz ausführen. Es ist meiner Ansicht nach wahrscheinlicher, dass in Zukunft Forschungs- und Entwicklungszentren folgen werden, nachdem die Herstellung nach Asien abgewandert ist, da die Vorteile, die sich ergeben, wenn - den Kostenvorteil einmal außen vor - Produktionsstätten und Entwicklungszentren dichter beieinander liegen offenkundig sind. Z.B. hat IBM kürzlich bekannt gegeben, dass man eine Einigung unterzeichnet hätte, die das indische Outsourcing Unternehmen HCL Technologien zum ersten Power Architecture Designzentrum außerhalb der firmeneigenen Einrichtungen macht. Dieses Designzentrum hat seinen Sitz mit 25 Mitarbeitern in Chennai (ehemals Madras). DerGeschäftsführer des Unternehmens sagte jedoch, dass man innerhalb der nächsten zwei Jahre auf 1.000 Angestellte anwachsen wolle.

Geht man davon aus, dass in China 2004 ungefähr 500.000 und in Indien 200.000 Ingenieure die Universitäten verlassen haben wohingegen in Amerika nur 70.000 einen Abschluss machten und bedenkt man weiterhin, dass man für den Preis, für den man in China fünf Chemiker und in Indien 11 Ingenieure einstellen kann, in Amerika gerade mal einen Ingenieur oder einen Chemiker bezahlen kann, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis R & D in China ausgeführt werden.

Die Vorstellung, dass der Westen einen riesigen technologischen Vorteil gegenüber Asien hat, wird auch durch die Ergebnisse von ipIQ widerlegt, einer Unternehmensberatung für intellektuelles Eigentum mit Sitz in Chicago. Unter Verwendung eines eigenen Datensatzes der dreißig Jahre zurückgeht, stufen ipIQ Patentdetails und Eigentumstransaktionen technologisch ein und erstellen ein Ranking von Firmen, auf der Basis der bewilligten Patente, unter Berücksichtung der Patente aus dem Vorjahr und dem Wachstum der Patente im Jahresvergleich. Insbesondere bewertet man auch den Einfluss der Patente indem man untersucht, wie regelmäßig sie in wissenschaftlichen Arbeiten Erwähnung finden und über einen selbst erstellten Wissenschaftsverlinkungsindex.

Im Jahr 2005 hat ipIQ die folgenden 10 Unternehmen als die Unternehmen eingestuft, deren Patente die höchste Qualität haben, basierend auf dem industriellen Einfluss der Innovationen und ihrer wissenschaftlichen Bedeutung.

1. IBM, 2. Micron Technology, 3. Hitachi, 4. Intel, 5. Hewlett Packard, 6. Samsung, 7. Canon, 8. Matsushita Electrical Industrial, 9. Toshiba, 10. Fujitsu. Und während man über diese Rangordnung vielleicht streiten kann, haben dennoch sechs der Top-Ten-Unternehmen ihren Sitz in Asien, was die Ansicht untermauert, dass der technologische und der wissenschaftliche Vorsprung der Vereinigten Staaten und Europas immer weiter zurückgehen wird.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den ich anbringen möchte, wenn es um den Glauben geht, dass die "weiterentwickelten" Nationen hoch profitables intellektuelles Eigentum produzieren und Dienstleistungen erbringen, während man die Herstellung mir ihren geringeren Gewinnspannen in die sich gerade erst entwickelnden Länder verlagert hat. Die USA haben einen Überschuss auf ihrer Bilanz für Dienstleistungen, dieser Überschuss ist jedoch in den vergangenen Jahren zurückgegangen - was einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit selbst in den hochprofitablen Bereichen des geistigen Eigentums und der Dienstleistungen nahe legt. Abgesehen davon ist der Überschuss in dieser Bilanz winzig und gemessen am Bruttoinlandsprodukt schrumpft er, wenn man ihn mit dem riesigen und (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) steigenden Defizit der Güterbilanz vergleicht.

Wirtschaftswissenschaftler werden jetzt vielleicht darüber streiten, ob sich die gegenwärtigen Handels- und Leistungsbilanzdefizite auf ewig halten lassen, was meiner Ansicht nach nicht möglich ist. Es braucht aber sicherlich kein besonders großes wirtschaftliches Hintergrundwissen, zu erkennen, dass der Rückgang bei der amerikanischen Bilanz für Dienstleistungen und die Explosion des Defizits bei den Gütern deutlich zeigen, dass es einen Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gibt. Das zeigt sich am besten anhand der Zahlen, die Bridgewater Associates zusammengestellt haben und die sie kürzlich veröffentlichten. Diese Zahlen zeigen, dass die USA Marktanteile an den Exportmärkten verloren haben.

Wenn ein Unternehmen Marktanteile verliert, dann hat das direkten Einfluss auf die langfristige Rentabilität und kann das Überleben des Unternehmens gefährden (davon zeugen General Motors). Wenn aber ein Land Marktanteile an den Exportmärkten verliert und wachsende äußere Defizite hat, dann hat das langfristig einen negativen Einfluss auf den Lebensstandard und auf die finanzielle Stärke. Ich gebe jedoch zu, dass die Lebensstandards zeitweilig gehalten und sogar gesteigert werden können, wenn eine solche Wirtschaft sich stärker verschuldet, was in den USA deutlich der Fall ist.


© Dr. Marc Faber

Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor´s Daily"



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