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Negativer Realzins - und seine Folgen

08.02.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Das eigentliche Ziel

Den Marktzins auf null Prozent zu senken oder ihn gar in den negativen Bereich drücken zu wollen, steht nicht nur für eine Politik, die unvereinbar ist mit einer freien Marktwirtschaft. Ein negativer realer Marktzins, der unter dem Urzins liegt, beendet nämlich den Zinsbezug. Es nimmt damit den Anreiz zu sparen und zu investieren, die Volkswirtschaft verfällt dem Kapitalverzehr. Dies war übrigens auch der Grund, warum Marxismus und Nationalsozialismus danach trachteten, den Zins abzuschaffen: Gelänge das Vorhaben, den Zins abzuschaffen, wäre eine freie, marktwirtschaftliche Ordnung nicht mehr durchführbar. Es käme zu einer Verarmung und De-Zivilisierung der Volkswirtschaft.

Zielt die Politik hingegen darauf ab, nur ausgewählte Marktzinsen - wie zum Beispiel die von Bankeinlagen und Staatsanleihen - negativ werden zu lassen -, so geht es ihr ganz offensichtlich darum, eben diese Schulden zu entwerten - und nicht darum, eine "gleichgewichtige Politik" zu betreiben. Denn der Urzins tritt nicht nur im Kreditmarkt, sondern in jedem menschlichen Handlungsbereich in Erscheinung. Die Befürworter der These, der gleichgewichtige Realzins sei negativ, müssten daher auch Politiken verlangen, die dazu führen, dass beispielsweise Investoren für eine Aktie mehr bezahlen als die Summe aller Zahlungsströme, die das Unternehmen erwirtschaftet. Um das zu erreichen, müssten sie wohl den Handelnden im wahrsten Sinne des Wortes die Pistole an den Kopf setzen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
www.thorsten-polleit.com


Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in: ifo Schnelldienst 2/2015, 68. Jahrgang, 29. Januar 2015, S. 18 - 21. Zitate nur aus der Ifo-Publikation.


(1) Für die Politik des negativen Einlagezinses gibt es Vorbilder. Beispielsweise hatte die dänische Zentralbank bereits vom 5. Juli 2012 bis zum 24. April 2014 einen Negativzins für Guthaben, die Banken bei ihr unterhielten, erhoben. Im Juli 2009 hatte die schwedische Riksbank den Einlagenzins bereits auf -0,25 Prozent abgesenkt.

(2) Siehe Mankiw, G., It May be Time for the Fed to Go Negative, The New York Times, 18. April 2000 (http://www.nytimes.com/2009/04/19/business/economy/19view.html?_r=0); auch den Vortrag von Larry H. Summers auf dem IMF Economic Forum am 8. November 2013

(https://www.youtube.com/watch?v=KYpVzBbQIX0). Die zentralen Überlegungen, die die These des gleichgewichtigen negativen Realzinses stützen sollen, sind "sekuläre Stagnation" und ein Überangebot an Ersparnissen ("Savings Glut"). Zur Diskussion siehe zum Beispiel Mayer, T., 2014, Larry Summers’ interest rate conundrum, CEPS, High-Level Brief, 16. Januar.

(3) Siehe z. B. Rogoff, K. (2014), Costs and benefits to phasing out paper currency, Paper präsentiert auf der NBER Macroeconomics Annual Conference in Cambridge, MA, am 11. April 2014.

(4) Siehe hierzu zum Beispiel die Beiträge zur (reinen) Zeitpräferenztheorie in: The Pure Time-Preference Theory of Interest, 2011, M. Herbener (Hrsg.), Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama.

(5) Siehe hierzu Fetter, F., Economic Principles, 1915, New York: The Century Co., S. 313. Zur Erläuterung der Faktoren, die die Zeitpräferenz erklären, siehe Hoppe, H.-H., 2006, On Time Preference, Government, and the Process of Decivilization, in: Democracy - The God That Failed. The Economics and Politics of Monarchy, Democracy, and Natural Order, Transaction Publishers, New Brunswick, London, insb. S. 3 - 15.

(6) Zur Erklärung siehe Mises, L. v., 1940, Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Editions Union Genf, insb. S. 474 - 488; siehe auch Rothbard, M. N., 2001 [1962], Man, Economy, and State, Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, 313 - 386.

(7) Siehe hierzu zum Beispiel Hayek, F. A. v., 1936, The Mythology of Capital, in: The Quarterly Journal of Eco-nomics, Vol. L, S. 199 - 228, insb. S. 223 f.

(8) Siehe Mises, L. v., 1940, Nationalökonomie, S. 434 - 459.

(9) Siehe hierzu etwa Mises, L. v., 1924, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, Duncker & Humblot, S. 433 - 436. Einen Einstieg in die monetäre Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie gibt die Aufsatzsammlung "The Austrian Theory of the Trade Cycle and other essays", Eberling, R. M. (Hrsg.), 1996, Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama.

(10) Die "Sättigung" wird zuweilen als Argument genannt, um zu zeigen, dass die Zeitpräferenz und damit der Urzins nicht immer und überall positiv sein müssen (sondern dass sie auch negativ sein können). Was ist davon zu halten?

Für den handelnden Mensch kann es eine Sättigung aller seiner Bedürfnisse im Sinne der Erreichung einer abschließenden "Zufriedenheit", eines "Ruhestandes" aus logischen Gründen nicht geben. Eine Sättigung würde bedeuten, dass menschliches Handeln nicht mehr stattfindet: Das menschliche Handeln bedeutet, dass ein Zustand durch einen anderen Zustand, der als vergleichsweise besser angesehen wird, ersetzt wird. Sollte der Handelnde aber den Zustand einer vollständigen Sättigung erreicht haben, könnte er nicht mehr handeln, weil ja sein Handlungsgrund - der Wunsch, Unwohlsein abzustellen - entfallen ist. Das aber ist denkunmöglich: Man kann nicht argumentieren, dass der Mensch nicht handelt.

Diese Einsicht lässt sich auch mit dem Hinweis auf 'handfeste‘ Beispiele nicht widerlegen. Um das zu zeigen, sei angenommen, Herr A habe durch Verkosten einer Speise seinen Hunger gestillt (er mag und kann nun keine weitere Speise zu sich nehmen). Es sind aber noch Essensreste übrig. Lässt sich daraus der Schluss ziehen: Weil Herr A jetzt satt ist, wertet er die Verkostung der Essensreste in der Zukunft höher als ihren gegenwärtigen Verzehr? Wertet er nun das Zukunftsgut (Verkostung der Speise in der Zukunft) höher als den Speiseverzehr in der Gegenwart? Widerlegt dieses Beispiel die Aussage, dass Zeitpräferenz und Urzins immer und überall positiv sein müssen? Die Antworten auf diese Fragen lauten: Nein.

Ökonomisch betrachtet sind Güter Mittel, die zur Erreichung eines Ziels eingesetzt werden. Dinge, die sich nicht (mehr) eignen, ein Ziel zu erreichen, sind aus Sicht des Handelnden keine Güter (mehr). Ist der Hunger durch die Speise gestillt, hören die Speisereste auf, ein Mittel zu sein, mit dem das Ziel "den gegenwärtigen Hunger stillen" erreicht werden kann. Die Speisereste können daraufhin möglicherweise zu einem Mittel werden, um andere Ziele zu erreichen (beispielsweise um die Hühner zu füttern); oder aber sie hören auf, für den Handelnden ein Gut zu sein - was etwa dann der Fall wäre, wenn die Speisereste (weil sie rasch verderben) nicht zur Erreichung anderer Ziele, die der Handelnde hat, eingesetzt werden können.

Es lässt sich also schlussfolgern: Das Argument der "Sättigung" kann die Einsicht, dass die Zeitpräferenz und damit der Urzins stets und überall positiv sind, nicht widerlegen.




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