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Die Oligarchisierung der Demokratie. Was von Robert Michels Thesen zu lernen ist

02.02.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Der Wirtschaftsoziologe Robert Michels hat 1911 das "Eherne Gesetz der Oligarchie" und damit The-sen zur Demokratieentwicklung vorgelegt. Seine Überlegungen können helfen, die Gründe für die Proteste und Umbruchbestrebungen (Stichwort:"Populist Nationalism") in vielen westlichen Ländern der Welt besser zu verstehen - und so Konfliktlösungen zu befördern.

Mit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" Anfang der 1990er Jahre wurde von vielen Kommentatoren der "Sieg" des Kapitalismus über den Sozialismus-Kommunismus ausgerufen. Zweifelsohne hatte der "harte Sozialismus" in den osteuropäischen Staaten, wo die Produktionsmittel verstaatlicht waren, abgewirtschaftet. Er war in Armut und Chaos geendet. Der "Gegner" des Sozialismus im Osten war aber nicht etwa der "reine" Kapitalismus im Westen, sondern der "Interventionismus": Ein System, in dem der Staat durch vielfältige Weise in das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem eingreift, um bestimmte politische Ziele zu erreichen; ein System, in dem die Märkte nicht mehr "frei", sondern "gehemmt" sind.


Intervetionismus

Im Interventionismus greift der Staat zum Beispiel durch Vorgaben, Regulierungen und Gesetze, durch Ge- und Verbote, durch Steuern und Abgaben in das Wirtschaften und das Zusammenleben der Menschen ein, um das politische Gewünschte zu realisieren. Im Interventionismus beeinflusst der Staat also die Märkte - und zwar indem er vor allem (direkt oder indirekt) Einfluss auf Angebot und/oder Nachfrage in den Güter- und Faktormärkten nimmt. Doch leider: Der Interventionismus funktioniert nicht in der gewünschten Weise.

    Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Der Staat erhebt einen Mindestlohn, um die Einkommensbedingungen der Arbeitnehmer zu verbessern. Ist der Mindestlohn niedriger als der Lohn, den die Unternehmer freiwillig zahlen, ist er irrelevant: Die Unternehmen zahlen freiwillig einen Lohn, der den Mindestlohn übersteigt. Ist der Mindestlohn höher als der Lohn, der sich beim freien Spiel um Angebot und Nachfrage im Arbeitsmarkt einstellt, ist ungewollte Arbeitslosigkeit die Folge: Bei solch einem Mindestlohn wird die Nachfrage kleiner sein als das Arbeitsangebot, und sie wird auch geringer sein im Vergleich zur Situation, in der der Staat keinen Mindestlohn erhebt. Eine Mindestlohnpolitik wird die Beschäftigungszahl also nicht steigern, sondern verringern. Besonders betroffen werden dabei die niedrig qualifizierten Arbeitnehmer sein, also diejenigen, die ohnehin schon ein geringes Einkommen haben. Sie sind die ersten, die bei einem Mindestlohn nicht mehr bezahlbar sind und keine Anstellung mehr finden.


Entweder erreichen die Interventions-Befürworter ihre angestrebten Ziele nicht oder nicht im gewünschten Ausmaß; oder sie erreichen ihre Ziele hier und da, aber gleichzeitig verursachen sie dadurch andere Übelstände, die es vor den staatlichen Eingriffen nicht gab, und das provoziert hernach weitere Interventionen, die für Besserung sorgen sollen. Eine unheilvolle "Interventionsspirale" kommt so in Gang: Unbeirrt greift der interventionistische Staat immer mehr und immer aggressiver ein, um seine politischen Ziele zu erreichen, beziehungsweise um die Probleme, die die vorherigen Interventionen verursacht haben, aus der Welt zu schaffen.

Open in new windowDie Volkswirtschaften verstricken sich dadurch immer tiefer im erstickenden Gestrüpp des Interventionismus. Kein Gesellschafts- und Wirtschaftsbereich bleibt vor seinen Zugriffen verschont: Ob Lehre und Ausbildung, Gesundheit, Recht und Sicherheit, Kredit und Geld, Altersvorsorge, Umwelt.

Irgendwann ist der Staat überall der dominante (Mit-)Spieler. Er wird immer mächtiger, und entsprechend schwinden bürgerliche und unternehmerische Freiheiten. Wachstum und Beschäftigung leiden: Sie fallen geringer aus, als sie ohne den Interventionismus ausfallen würden. In den letzten Jahrzehnten hat der Interventionismus nicht nur das Geschehen in vielen nationalen Volkswirtschaften immer stärker geprägt, sondern er ist mittlerweile auch zu einer nationale Grenzen übersteigenden Ideologie geworden.


Internationaler Interventionismus

Neben dem nationalen Interventionismus gibt es nämlich auch einen internationalen oder globalen Interventionismus; er lässt sich auch als Globalismus bezeichnen. Ihm zufolge sollen nicht die freien Marktkräfte, sondern politische Vorgaben die Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung auf dieser Welt maßgeblich bestimmen: Die weltumspannenden Inter- und Transaktionen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Sprach-, Kultur- und Religionsräumen sind nicht dem freien Markt zu überlassen, sondern politisch zu gestalten. In der Praxis verursacht eine solche Ideologie allerdings Probleme.

Der Globalismus erfordert, dass die nationale Selbstbestimmung der Menschen relativiert beziehungsweise mitunter auch aufgehoben wird: Nationale Entscheidungskompetenzen sind dafür auf supranationale Ebenen zu übertragen. Das bringt Konflikte mit sich, und zwar deshalb, weil die Nation, die nationale Selbstbestimmung der Menschen, eine tief verankerte polit-ökonomische Institution ist: Die Nation ist das gewachsene Ergebnis freiwilliger, gewünschter Kooperation zwischen Menschen. Diese Interpretation bedarf vermut-lich einer genaueren Erklärung.


Nationalitätenprinzip

Wenn Menschen in eine Arbeitsteilung treten (und danach streben sie), wird eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Werte- und Kultursystem notwendig. Der Hang nach friedvoller und produktiver Kooperation zwischen den Menschen ist der Ursprung der Nation, und die Nation lässt sich vielleicht am besten als freiwillig gewählte Sprach- und Wertegemeinschaft charakterisieren. Das Nationalitätenprinzip bedeutet daher nicht, dass eine Nation anderen Nationen feindlich gegenübertritt. Nein, Nationen können friedlich miteinander, in Arbeitsteilung koexistieren. Das war geschichtlich auch der Fall. Das Problem kam erst, als die Idee populär wurde, jede Nation bräuchte einen eigenen Staat.

Der Staat ist dabei zu verstehen als territorialer Zwangsmonopolist mit der Macht über alle Letztentscheidungen in seinem Gebiet. Und genau diese Art von Staat brachte die Nationen gegeneinander auf (man denke hier beispielsweise an Europa zur Zeit des Ersten und Zweiten Weltkrieges). Nicht die Nation, sondern die Idee, einen Staat (wie er vorangehend definiert wurde) zu errichten, sorgte für Konflikte zwischen den Nationen. Genau das aber wird heute häufig übersehen, und es trägt dazu bei (gerade im deutschsprachigen Raum), die Nation, die nationalen Eigen- und Besonderheiten der Menschen, in einem besonders kritischen Licht zu erblicken.

Wer also den ursprünglichen Entstehungsgrund der Nation nicht vor Augen hat - und das ist die Arbeitsteilung der Menschen in einer bestimmten geographischen Region zum Vorteil aller und nachfolgend auch ihr Kampf gegen Fremdbestimmung -, der kann leicht einer Fehlinterpretation erliegen: Dass nämlich die Nation notwendigerweise eine Brutstätte von Streit und Kriegen zwischen Nationen sei. Kurz und salopp gesprochen lässt sich jedoch sagen: Nicht die Nation ist das Problem, der Staat (wie wir ihn heute kennen: als territorialer Zwangsmonopolist für Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte in seinem Gebiet) ist das Problem. (Das ist übrigens auch der Grund, warum die liberalen Denker des 19. Und 20. Jahrhunderts danach trachteten, die Staatsmacht möglichst klein zu halten.)



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