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Unheimlich

26.10.2007  |  Klaus Singer
So ganz allmählich müsste jedem Beobachter der Finanz- und insbesondere der Aktienmärkte mulmig werden. Zuletzt mehren sich die Anzeichen für einen deutlichen Abschwung der Welt- und insbesondere der amerikanischen Konjunktur, die Ölpreise steigen auf neue Rekorde, die Unternehmen melden schlechte Quartalszahlen, die Kreditkrise schwelt weiter, der amerikanische Verbraucher scheint aus seinem Konsumrausch aufzuwachen, der Dollar bekommt einen Schwächeanfall nach dem anderen.

Aber trotz aller schlechten Nachrichten - die Aktienkurse halten sich in der Nähe ihrer Hochs auf.

Bullische Akteure erklären das damit, dass die schlechten Nachrichten regelmäßig "eingepreist" würden. Und wenn dies geschehen sei, könnten die Kurse wieder/weiter steigen. Diesem Argument kann man ja in früheren Phasen einer Hausse durchaus etwas abgewinnen. Aber auch noch nach über vier Jahren im Aufwärtstrend und fortschreitenden Zeichen für (mindestens) einen zyklischen Abschwung?

Das erinnert an einen Schwimmer, dem man ständig mehr Gewichte anhängt. Wenn er dann wieder auftaucht, freut man sich über dessen Robustheit und macht weiter. Irgendwann taucht er dann eben nicht mehr auf. So ähnlich ist die Situation im Aktiengeschäft: Die Risikofreude sieht sich mit jeder verdauten schlechten Nachricht bestätigt. Die Gier reißt alle mit. Bis zu viel zusammen kommt und die Gier in Angst umschlägt.

In den vergangenen Tagen sprach viel für "Werbe"-Aktivitäten großer Akteure. Bis 20:00 unserer Zeit ließ man die Aktienindices fallen, danach erholten sie sich deutlich. Dow und S&P 500 wurden an die EMA50 "hingedengelt", die von institutionellen Investoren viel beachtet wird. Die Umsätze waren dabei deutlich überdurchschnittlich. Jeweils zeitgleich erholten sich auch die "Liquiditätsindikatoren": Die Rendite der T-Bills stieg, die Wechselkurse von Euro und Dollar jeweils gegen Yen legten zu.

Die Akteure sind in Anbetracht der am Mittwoch stattfindenden Zinssitzung der Fed hin- und hergerissen zwischen deutlich steigenden Inflationsaussichten auf der einen und weiteren Zinsschnitten der Fed auf der anderen Seite. Inflation ist gut für Schuldner - und davon gibt es genug. Eine weitere deutliche Zinssenkung schürt die Hoffnung auf einen abgefederten zyklischen Abschwung und weitere günstige Verschuldung. Die steigenden Inflationsaussichten aber dämpfen die Hoffnung auf schnelle, weitere Zinsabschläge.

Nicht ganz ins bullische Bild passen da die Renditen von Staatsanleihen, die zuletzt deutlich gestiegen sind - und das, obwohl z.B. Bundesbankpräsident Weber kürzlich vor einer Beschleunigung der Inflation gewarnt hat. Die Papiere profitieren angesichts der weiter schwelenden Kreditkrise und konjunkturellen Belastungsfaktoren vom Wechsel aus riskanteren Anlagen in Staatsanleihen. Zudem rechnet kaum jemand für die nahe Zukunft mit Zinssteigerungen.

Es ist wahr - wird z.B. der S&P 500-Index um die Inflationserwartungen bereinigt, die sich aus der Entwicklung von Goldpreis und Zinsen ergeben, so liegt dieser "reale" Wert aktuell so hoch wie im Juni 2005 und deutlich unter den Spitzenwerten vom November 2001 und Juli 2003. Selbst der so bereinigte Ölpreis liegt noch unter dem Hoch aus August 2005 (Siehe Chart "Inflationserwartung" unter Intermarket auf der Web-Seite der TimePattern). Und genau der Blick durch die Inflationsbrille dürfte die bullische Attitüde gegenwärtig noch stützen - inflationsbereinigt notieren die Kurse nicht im Extrembereich. Fragt sich nur, was geschieht, wenn selbst die "realen" Kurse zu hoch liegen im Vergleich zu dem Niveau, das angesichts der fundamentalen Perspektiven "fair" wäre.

Zu dieser Frage hat sich kürzlich der Perma-Bär Stephen Roach von Morgan Stanley wieder mit einem lesenswerten Beitrag zu Wort gemeldet (Link im Diskussionsforum der Web-Seite der TimePattern).

Unter der Überschrift "A Subprime Outlook for the Global Economy" sieht er das exzessive Wachstum des US-Konsums zu Ende gehen. Das US-BIP ist aktuell zu 72 Prozent vom privaten Verbrauch bestimmt, nach durchschnittlich 67 Prozent in den letzten 25 Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Einkommens- und Vermögenseffekte gerieten jetzt unter Druck und würden den schuldenlastigen Verbraucher empfindlich treffen.

Mit der kommenden Konsolidierung des amerikanischen Konsums steigen zwar die Chancen für eine partielle Ausbalancierung der globalen Ungleichgewichte. Dies aber müsse nach Roach einhergehen mit einer Ausweitung des Konsums in den Ländern mit deutlich positiver Sparquote. Je weniger dies geschieht, je mehr muss der US-Verbraucher die Lasten des Anpassungsprozessen tragen. Dies würde wiederum einen bedeutenden negativen Einfluss auf das globale Wachstum haben und ein hohes und steigendes Rezessions-Risiko beinhalten.

Roach wäre nicht überrascht, wenn die Wachstumsraten der Weltwirtschaft nach Jahren um die 5 Prozent irgendwann in 2008 auf 3,5 bis 4 Prozent fiele. Das wäre für sich zwar kein Desaster, bliebe doch der nach-1970-Trend bei 3,7 Prozent immer noch intakt. Andersherum gerechnet würde das aber eine Reduktion der Wachstumsrate um 25 Prozent bedeuten. Und dies könnte dem Optimismus hinsichtlich der Entwicklung der Unternehmensgewinne einen empfindlichen Schlag versetzen, und damit auch den Aktienkursen. Positiv wäre, dass eine solche Entwicklung die Inflation dämpft und Staatsanleihen zu einem Comeback verhilft.

Aber, so schreibt Roach, die mittelfristige Prognose für die Weltwirtschaft steht nicht nur im Zeichen eines normalen zyklischen Abschwungs. Nein, Amerikas Finanzmarkt-bezogenes Wachstum kommt jetzt auf den Prüfstand. Und damit wiederum werden Kollateral-Schäden anderswo in einer USA-zentrierten Weltwirtschaft wahrscheinlich. Ein neuer, von den großen Wirtschafts-Nationen gemeinsam getragener Ansatz sei erforderlich - "before it´s too late".

Halten Sie eine solche konzertierte Aktion für wahrscheinlich?


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de





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