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Die Inversion der Zinskurven: Menetekel oder falscher Alarm?

09.07.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. *Nominale Wachstumsrate deflationiert mit der Jahreswachstumsrate der Inflation der US-Konsumgüterpreise.


In der Vergangenheit war eine inverse Zinskurve häufig Vorbote einer Finanz- und Wirtschaftskrise, einer Rezession (Abb. 2). Nun ist allerdings die Zinskurve in den USA und auch im Euroraum schon seit geraumer Zeit invers. Weil aber eine scharfe Rezession bisher ausgeblieben ist, fragen sich vermutlich viele Marktbeobachter: Ist die Zinskurve vielleicht kein verlässlicher Krisenindikator mehr? Dazu folgende Gedanken:

1) Die Zinserhöhungen der Zentralbanken wirken mit einer Zeitverzögerung. Es dauert also, bis die bremsende Wirkung steigender Kredit- und Kapitalkosten auf Konsum und Investitionen vollumfänglich zutage tritt. Es wäre demnach zu früh, die Signale der Zinskurve als fehlerhaft einzustufen.

2) Eine inverse Zinskurve belastet das Kreditgeschäft der Geschäftsbanken. Sie können keine Fristentransformation mehr betreiben, und das schmälert ihre Gewinnmöglichkeiten. Die Vergabe und Erhältlichkeit von Langfristkrediten werden erschwert – und das belastet die Konjunktur, erhöht den Druck auf die Zentralbank, die Zinsen zu senken.

3) Eine geringere Liquidität in den Finanzmärkten übt Abwärtsdruck auf die Vermögenspreise aus. Der Wert der Sicherheiten, die üblicherweise bei Krediten eingefordert werden, nimmt ab, und die Kredit- und Geldmengenausweitung ebbt ab, dämpft die Konjunktur, ermuntert die Finanzmarktakteure zu Zinssenkungserwartungen.

Wie Abb. 2 zeigt, ist die reale, die inflationsbereinigte Bankkreditvergabe in den USA seit einigen Monaten rückläufig. Dafür ist sicherlich auch die Inversion der Zinskurve verantwortlich (beziehungsweise die Kreditrestriktion wirkt zurück auf die Inversion der Zinskurve). In der Vergangenheit waren Phasen, in denen das reale Bankkreditwachstum negativ war, häufig mit Rezessionen verbunden. Was ist daraus zu lernen?

Gibt die Konjunktur nach, ist es aus unserer Sicht sehr wahrscheinlich, dass die Zentralbanken sich von ihrem Zinserhöhungskurs abkehren werden, die Kreditkosten wieder absenken. Und reagieren die Zentralbanken in solch einem Szenario rasch, ist durchaus denkbar, dass eine Rezession größeren Ausmaßes abgewendet werden kann.

Allerdings würde dadurch der Boden für eine neuerliche Inflationsphase bereitet – die steigende Vermögenspreise, aber früher oder später vermutlich auch wieder steigende Konsumgüterpreisinflation nach sich zieht. Investoren, die solch ein Szenario als wahrscheinlich einstufen, sollten weiterhin an ihren "Long-Positionen" im Aktien- und Edelmetallmarkt festhalten.

Rechnet der Investor hingegen mit einer scharfen Rezession, weil die Zentralbank nicht oder zu spät auf den Konjunktureinbruch reagieren, dass sie weiterhin an ihrer Politik er erhöhten Zinsen festhalten, wäre ein Abbau der Vermögenspositionen in den Bereichen Aktien, Immobilien, Unternehmensanleihen zu empfehlen, und stattdessen sollte Liquidität aufgebaut und auch ein Teil der liquiden Mittel in physischem Gold gehalten werden.

Denn in einer Phase um sich greifender Zahlungsausfälle macht es Sinn, der Werthaltigkeit des gelben Metalls zu vertrauen. – Die Inversion der Zinskurven ist folglich aus unserer Sicht eher ein Menetekel als ein falsches Alarmzeichen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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