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Griechenland mal ganz anders

05.07.2015  |  Manfred Gburek
Wahrscheinlich lesen Sie diese Zeilen, bevor das Ergebnis der griechischen Volksabstimmung bekannt ist. Also empfehle ich Ihnen den jüngsten Beitrag auf meiner Internetseite gburek.eu, wo ich die zu erwartenden Folgen beider Alternativen - Abstimmung zum einen für, zum anderen gegen Reformen - ausgelotet habe.

Wie brisant das Ganze mittlerweile ist, ergibt sich aus einer Stellungnahem von Axel D. Angermann, Chefvolkswirt von Feri EuroRating Services: "Es muss verhindert werden, dass populistische Kräfte in Spanien, Portugal, Italien und anderen Krisenländern aus falsch gesetzten Anreizen Profit schlagen. Wenn am Ende jeder im Euroraum glaubt, dass es besser ist, Reformzusagen nicht einzuhalten, ist die Gefährdung der Währungsunion größer, als sie es bei einem Ausscheiden Griechenlands sein könnte."

Doch wie lässt sich so etwas verhindern? Es gibt ja keinen Staat Europa, sondern nur ein Sammelsurium an internationalen Verträgen. Und die nationalen Parlamente - wie der Bundestag am vergangenen Mittwoch während einer von Pathos beherrschten Redeschlacht - können in ihrem jeweiligen Staat alle erdenklichen Meinungen vertreten und schließlich abstimmen, wie sie mögen. Aber sich in die Politik anderer Euroländer einmischen, das dürfen sie nicht bis zur letzten Konsequenz, und um die geht es jetzt.

Insofern kommt mir eine brandaktuelle Stellungnahme von Jan Pieter Krahnen gerade recht, hoch dekorierter Finanzprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität. Denn er schreibt zum Thema Einmischung: "Unvollendet ist die Währungsunion insofern, als die innere Verschuldungsdynamik, deren Auswüchse wir am Beispiel Griechenlands bestaunen, beim fehlenden guten Willen nur durch politische Entscheidungssetzung aufgelöst werden kann. Hierfür würde aber eine unionsweite politische Legitimation verbunden mit einer entsprechenden Steuerautonomie benötigt. Beide letztgenannten Institutionen - die politische Union und, in sie eingebettet, die fiskalische Union - sind bisher Tabuthemen."

Das ist noch recht freundlich formuliert. In Wahrheit handelt es sich bei der politischen einschließlich der fiskalischen Union um ein Phantasiegebilde, das aus zwei Hälften besteht: Die politische Union kann man bis auf Weiteres - nicht allein wegen Griechenland - einfach vergessen. Und die fiskalische Union funktioniert bereits, wenn auch ohne Mandat. Denn was die EZB mit ihrer Geldpolitik gerade betreibt, ist de facto Staatsfinanzierung, da mag EZB-Chef Mario Draghi noch so oft betonen, er handle "within the mandate". Je häufiger er diese Floskel verwendet, desto unglaubwürdiger wirkt er.

Krahnen hat seine Thesen so schön und vor allem treffend formuliert, dass ich ihn im Folgenden noch einmal zitiere, und zwar speziell zu den Verhältnissen in Griechenland:

"Ein schneller Wandel ist nicht zu erwarten, weil es an den wichtigsten Voraussetzungen fehlt, nämlich an funktionierenden und zuverlässigen rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen. Hierzu zählt unter anderem das Eigentumsrecht an Grund und Boden, das Justizwesen und die Steuerverwaltung. Ungesicherte Verwaltungsstrukturen fördern zudem die Korruption und verhindern ein Vertrauen in den Wettbewerb als Auslesemechanismus. Ohne die Reformen der Verwaltung, des Rechtswesens und der Wirtschaftsverfassung wird es dem Land nicht gelingen, Investoren aus dem Ausland und wieder Anschluss an eine europäische Entwicklung zu finden."

Wozu dann der ganze Griechenland-Poker? Das frage ich mich schon seit mehr als fünf Jahren, also seit Ausbruch der ersten Krise im Land am südöstlichen Zipfel des Euroraums. Insofern ist zur Beantwortung der Frage ein Blick in die Vergangenheit hilfreich, hier bis zum Frühjahr 2010, als die Krise auf ihren ersten Höhepunkt zusteuerte. In chronologischer Folge aufgehängt an Zitaten, die nachträglich überwiegend etwas Tragikomisches an sich haben:

"Der EZB-Rat begrüßt die überzeugenden zusätzlichen und auf Dauer angelegten Haushalts-Konsolidierungs-Maßnahmen, die die griechische Regierung heute angekündigt hat. Wir befürworten die vorgesehene sehr rasche Umsetzung dieser Maßnahmen." (EZB-Rat, 03.03.2010)

"Griechenland hat jetzt wichtige, mutige und glaubwürdige Maßnahmen eingeleitet, um seinen Haushalt und seine strukturellen Probleme in den Griff zu bekommen. Die Entschiedenheit der griechischen Regierung verdient Anerkennung." (Jürgen Stark, damals EZB-Direktor, 09.03.2010)

"Wir haben nicht gedacht, dass wir im Euroraum in eine Situation kommen, in der ein Land vor der Zahlungsunfähigkeit steht." (Kanzlerin Angela Merkel, 17.03.2010)

"Wir streben schon seit Jahren immer wieder Verfahren wegen übermäßiger Defizite gegen Griechenland an." (José Manuel Barroso, damals Präsident der EU-Kommission, 22.03.2010)

"Die deutschen und europäischen Steuerzahler werden nicht zahlen. Die Griechen werden die Rechnung begleichen müssen, und das tun sie auch." (Lorenzo Bini Smaghi, damals EZB-Direktor, 25.03.2010)

"Europa steht zusammen. Scheitert der Euro, dann scheitert mehr." (Kanzlerin Angela Merkel, 15.05.2010)

Als sich der Sommer 2010 dem Ende zuneigte, waren offenbar alle wieder versöhnt. Wohl nur so ist zu erklären, was Klaus Regling in seiner Funktion als Chef der Finanzmarktstabilisierungsfazilität, kurz EFSF, am 29. August von sich gab: "Der deutsche Haushalt profitiert von der Rettung Griechenlands. Griechenland hat im vergangenen halben Jahr mehr getan als zugesagt."

Hat der Mensch Töne! Vermutlich wissen auch Sie nicht, ob Sie nun lieber lachen oder weinen sollen. Verfolgen Sie auf jeden Fall das Szenario, denn es bleibt spannend.

Drohen die Börsen von ihm erschüttert zu werden? Von ihm eher nicht. Es gibt allerdings noch ein anderes Szenario. Es hat zwar direkt nichts mit Griechenland zu tun, wohl aber mit den Börsen. Ich meine den Kurssturz um 25 Prozent in nicht einmal drei Wochen beim Shanghai Composite Index, der bisher von der breiten Öffentlichkeit kaum beachtet wurde. Er erinnert mich an einen ähnlichen Verlust dieses Index, bevor 2008/09 erst die Finanz- und dann die Wirtschaftskrise über die Welt hereinbrach, und bestärkt mich in der These, sicherheitshalber lieber auf Cash und Gold zu setzen.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu

Herr Gburek ist Fachjournalist und Buchautor. Seine letzten Werke waren: Außer diversen Börsenbüchern schrieb er: "Das Goldbuch", das Wörterbuch "Geld und Gold klipp und klar von A bis Z", "Die 382 dümmsten Sprüche der Banker" und zuletzt das Ebook "Ach du liebes Geld!".






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