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Aktuelle Trends am Goldmarkt: Shanghai, Schulden und Schwarze Schwäne

08.07.2016  |  Michael J. Kosares
- Seite 2 -
Open in new windowEs wäre jedoch ein Fehler zu glauben, dass der Sturm vorübergezogen sei, ohne größere Schäden zu hinterlassen. Henry Kissinger warnt z. B.: "Die Wirkung des britischen Referendums ist deswegen so tiefgreifend, weil sich die Emotionen, die das Ergebnis widerspiegelt, nicht auf Großbritannien oder Europa beschränken." Alan Greenspan beschreibt die aktuelle Lage des Finanzsystems als "schlimmste Zeit, an die ich mich erinnern kann, seitdem ich im öffentlichen Dienst arbeitete." Anders gesagt stehen wir vermutlich nicht unbedingt am Anfang vom Ende, aber am Ende des Anfangs, um Winston Churchills berühmte Mahnung zu zitieren.

Obwohl der Brexit selbst also wahrscheinlich nicht als Schwarzer Schwan zu werten ist, könnte man die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung, die ihn ausgelöst hat, vielleicht als solchen bezeichnen. An diesem Punkt betreten Gold und Silber wieder die Bühne. Selbstverständlich schoss die Nachfrage nach Edelmetallen im Vereinigten Königreich infolge des Referendums in die Höhe. Infolge ernster Herabstufungen der Kreditwürdigkeit des Landes und des Einbruchs des britischen Pfundes wird die erhöhte Nachfrage sich voraussichtlich langfristig etablieren. Die Bank of England wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um auf dem Weg zum Brexit so viele Steine wie möglich beiseite zu räumen, doch wir leben in einer Zeit, in denen die Zaubertricks der Zentralbanken nicht mehr so gut funktionieren wie früher.

Außerhalb Großbritanniens wird die Nachfrage nach Gold wahrscheinlich schon allein deshalb zunehmen, weil zahlreiche Investoren weltweit schlussfolgern werden, dass weder die politische Situation noch die Wirtschaftslage des Vereinigten Königreichs auf der Welt einmalig sind. Schwarze Schwäne werden vielleicht eines Tages zu beiden Seiten des Großen Teiches gesichtet. Ein Investor mit gut diversifizierten Kapitalanlagen kann von einem Ereignis wie dem Brexit oder anderen geopolitischen Verschiebungen vielleicht überrascht werden, sein Portfolio jedoch nicht.


Eine Absicherung gegen den Cäsaropapismus

"Der Brexit", schreibt Ambrose Evans-Pritchard in der Zeitung The Daily Telegraph, "ist nicht die Ursache, und was wir derzeit beobachten, ist kein Übergreifen der Situation auf andere Staaten. Die jüngste Umfrage von Pew zeigt, dass der Ärger über Brüssel in Nordwesteuropa zum größten Teil genauso ausgeprägt ist, wie in Großbritannien. In Frankreich ist der Anteil der verärgerten Bevölkerung mit 61% sogar noch höher als im Vereinigten Königreich. Dieses Referendum war nie der Kampf zwischen Großbritannien und Europa, zu dem es so oft stilisiert wird. Es war vielmehr die erste Episode eines pan-europäischen Aufstandes gegen den Cäsaropapismus* des EU-Projekts und seiner technokratischen Priesterschaft. Es wird nicht die letzte bleiben." Zu dieser Einschätzung von Evans-Pritchard würde ich noch hinzufügen, dass der Aufstieg von Donald Trump und Bernie Sanders in den USA eine weitere Facette des gleichen Phänomens darstellt. Auch in den Vereinigten Staaten gewinnt eine vergleichbare Geisteshaltung an Einfluss.

(*Hinweis des Herausgebers: Wikipedia erklärt den Begriff Cäsaropapismus (von lat. caesar, "Kaiser", und papa, "Papst") als "Gesellschaftsform, in welcher der weltliche Herrscher gleichzeitig auch Oberhaupt der Kirche" ist. Wenn wir die Analogie von Evans-Pritchard weiterspinnen, wird die Brüsseler Bürokratie mit ihrer "technokratischen Priesterschaft" zum modernen Äquivalent des mittelalterlichen Vatikans. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union könnte folglich mit der Abkehr Henrys VIII. von der römisch-katholischen Kirche gleichgesetzt werden - ein weiteres Beispiel, in dem Großbritannien eine länderübergreifende Spaltung mit dauerhaften Folgen anführte.)

Im Moment beschränken sich die Auswirkungen hauptsächlich auf die politische Ebene, doch es wird nicht lange dauern, bis die Märkte beginnen, die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Nachwirkungen nur allzu deutlich zu reflektieren. Die unmittelbare, reflexartig negative Reaktion der Aktien- und Anleihemärkte, sowie die sofort einsetzende positive Entwicklung des Goldpreises werden in den nächsten Jahren vielleicht als erste fraktale Ereignisse angesehen, die einen Vorgeschmack geben sollten auf die darauf folgende, stärker ausgeprägte Instabilität.

Wenn dieser "Aufstand" wirtschaftliche Konsequenzen nach sich zieht, dann werden sich diese wahrscheinlich in den Anleihebewertungen niederschlagen. Neben dem crashenden britischen Pfund zählten tatsächlich auch die Schuldverschreibungen des Vereinigten Königreichs zu den ersten Opfern des Brexits, denn sie wurden von allen bedeutenden Rating-Agenturen herabgestuft. "Wir sind der Ansicht, dass die tiefen Gräben sowohl innerhalb der regierenden Conservative Party als auch innerhalb der gesamten Gesellschaft im Hinblick auf die Haltung gegenüber der EU nicht in naher Zukunft überwunden werden können und womöglich die Stabilität der Regierung gefährden und die politische Entscheidungsfindung bezüglich wirtschaftlicher und anderer Angelegenheiten erschweren werden", kommentierte Standard & Poor's die Lage.

Zwischen den Zeilen dieses Statements steht, dass Standard & Poor's die weitere Verstrickung Großbritanniens in das disinflationäre ökonomische Gewirr und das damit einhergehende systemische Risiko erwartet, das heutzutage zum Normalzustand geworden ist. Das Ereignis, das zum Anstieg des Goldpreises auf sein Allzeithoch von über 1.900 USD je Unze geführt hatte, war nebenbei bemerkt die Herabstufung der US-Schulden durch Standard & Poor's im August 2011. Vor dieser finalen Preisspitze hatte Gold seine Eignung als Absicherung gegen Disinflation im Rahmen der Finanzkrise von 2008-2009 bereits unter Beweis gestellt. Diese Entwicklung hatte viele Analysten und Investoren damals überrascht.

In dem gleichen Interview, das wir im ersten Abschnitt zitiert haben, fordert Alan Greenspan übrigens auch die Wiedereinführung des Goldstandards. In der Vergangenheit hatte der frühere Vorsitzende der US-Notenbank bereits zum privaten Goldbesitz geraten. "Gold stellt angesichts seines Wertes als Währung, die unabhängig vom politischen Kurs der Regierungen ist, heutzutage eine gute Kapitalanlage dar", so Greenspan. Auch Mervyn King, der ehemalige Gouverneur der Bank of England, hat die Sicherheit, die Gold bietet, auf ähnliche Wiese angepriesen, wie wir in der letzten Ausgabe des Newsletters berichteten.

Es wurde schon oft gesagt, dass es ohne einen allgemeine Goldstandard vernünftig sei, sich durch den Kauf von Goldmünzen und -barren selbst einen eigenen Goldstandard zu schaffen. Es ist weit mehr als nur von beiläufigem Interesse, dass zwei der angesehensten Zentralbanker der heutigen Zeit, die mit der Funktionsweise unserer modernen Weltwirtschaft engstens vertraut sind, Gold als sinnvolle Lösung für Privatanleger vorschlagen, die sich gegenüber den komplexen Verflechtungen des Systems absichern wollen.


Die US-Schulden - eine Bestandsaufnahme

Bis zum 31. Mai 2016, d. h. in den ersten acht Monaten des laufenden Finanzjahres, das am 30. September endet, hat die US-Regierung die Staatsschulden um 1,115 Billionen Dollar erhöht. Diese belaufen sich nun auf insgesamt 19,265 Billionen US-Dollar.

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Nach Angaben des Finanzministeriums liegt der durchschnittliche Zinssatz der US-Schulden bei 2,32%. In diesem Finanzjahr werden daher Zinszahlungen in Höhe von etwa 446 Milliarden Dollar fällig. Wenn die Federal Reserve die Zinsen innerhalb der nächsten Monate erfolgreich um 1% auf 3,32% erhöht, wächst dieser Betrag auf 640 Milliarden Dollar an.


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