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Aktienkurse im Höhenflug

11.11.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Aber auch für diejenigen, die in Aktien investieren, wirft das Niedrigzinsumfeld eine gewichtige Frage auf: Welchen Zins soll man zur Wertbestimmung zugrundelegen? Wählen Sie einen Zins, der zu hoch ist, entgehen Ihnen attraktive Investitionsmöglichkeiten, wenn sich nachfolgend herausstellt, dass der Marktzins niedriger ausfällt als erwartet. Legen Sie einen zu niedrigen Zins zugrunde, erleiden Sie Verluste, wenn die Zinsen höher ausfallen als erwartet. In diese Falle würde der Investor tappen, der beispielsweise mit einem historischen Durchschnittszins arbeitet in Höhe von, sagen wir, 5 Prozent, obwohl der Marktzins in den nächsten 10 Jahren nur bei 1 Prozent liegt.

Dann wird er heute Anlagen ausschlagen, die, sagen wir, 3 oder 4 Prozent bringen, und künftig wird er nur noch für 1 Prozent anlegen können. Nicht besser geht es dem, der eine Rendite von 0,4 Prozent zur Abdiskontierung verwendet, dann aber erkennen muss, dass der Marktzins auf 5 Prozent klettert. Er verpasst die Möglichkeit, sein Geld zu höherer Rendite anzulegen.

Die Bedeutung des Zinses lässt sich auch mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) illustrieren. Das KGV setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum Gewinn pro Aktie. Nehmen wir an, der Aktienkurs beträgt 150 Euro, der Gewinn pro Aktie 10 Euro. Das KGV ist 15. Diese Zahl lässt sich auf zwei Arten interpretieren.

Zum einen, dass der Anleger 15 Jahre warten muss, bis er seine Investition wieder eingespielt hat; und je höher (niedriger) das KGV ausfällt, desto größer (geringer) ist das Risiko für den Anleger. Zum anderen gibt das KGV Aufschluss über die Rendite: Der Kehrwert des KGV ist die Gewinnrendite: Bekommen Sie 10 Euro pro Jahr für eine Aktie, die Sie für 150 Euro kaufen, beträgt die Gewinnrendite 6,67 Prozent (10 Euro geteilt durch 150 Euro mal 100). Sie setzt sich aus zwei Elementen zusammen: dem Marktzins und einer Risikoprämie - denn der Aktionär wird nur investieren, wenn er für das Risiko bezahlt wird.

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Abbildung links: Quelle: Thomson Financial. Periode: März 1973 bis November 2017.
Abbildung rechts: Quelle: Thomson Financial.
Periode: März 1973 bis November 2017. Die durchgezogene Linie soll den zugrundeliegenden Trend verdeutlichen.


Das durchschnittliche KGV für den US-Aktienmarkt in der Zeit 1973 bis heute betrug knapp 17, die durchschnittliche Gewinnrendite etwa 5,9 Prozent. Derzeit liegt das KGV bei knapp 24, die Gewinnrendite also bei 4,2. Nun zeigt aber das KGV keine Tendenz, um einen konstanten Mittelwert zu schwanken. Im Betrachtungszeitraum ist es vielmehr im Trendverlauf gestiegen. Beim Marktzins verhielt es sich umgekehrt: Er ist einem negativen Trend gefolgt.

Der negative Zusammenhang zwischen KGV und Marktzins ist nicht überraschend: Ein fallender Zins treibt das KGV in die Höhe (wenn die Risikoprämie gleich bleibt oder nur wenig steigt). Und dass sich die Marktzinsen im ungedeckten Papiergeldsystem immer weiter der Nulllinie annähern, ist absehbar: Nur durch das Herunterdrücken des Zinses lässt sich der Schuldenturm vor dem Einsturz bewahren.

Was wäre, wenn sich die künftige Gewinnrendite zurückbildet, weil die Marktzinsen - ausgehend vom aktuellen US-amerikanischen Niveau - ihren Abwärtstrend beibehalten und sich so etwas wie "japanische Verhältnisse" im Zinsmarkt zementieren? Ein KGV von gut 30 könnte die neue Norm werden. Bei gegebenen Gewinnen hieße das, über den Daumen gerechnet, eine Steigerung der Aktienkurse um 25 Prozent. Ein plausibles Szenario. Und aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet, scheinen die Aktienmärkte zum aktuellen Bewertungsniveau immer noch nicht "zu teuer" zu sein:

Sie stellen dem Anleger weitere Bewertungszugewinne in Aussicht - wenn, ja wenn die Zinsen niedrig bleiben beziehungsweise weiter absinken. Man sollte jedoch daraus keine vorschnellen Schlüsse ziehen, sich nicht ermuntert sehen, blindlinks in die Aktienmärkte zu investieren.

Die Bedenken richten sich vor allem an die Anleger, die der Auffassung sind, man könne nicht dauerhaft besser abschneiden als der Aktienmarkt - dass also die systematische Erzielung von "Überrenditen" unmöglich sei und man daher am besten Aktienindex-Zertifikate oder Aktienindex-ETFs kauft. Diese Index-Strategie ist zwar einfach und ohne großen Aufwand umsetzbar. Im aktuellen Umfeld hat sie allerdings - und das gilt es zu bedenken - vor allem drei Nachteile.

(1) Aktienindizes enthalten stets Unternehmen, die wenig attraktiv sind, weil sie zum Beispiel in reifen Märkten operieren, und die folglich nur noch unterdurchschnittliche Wachstums- und Gewinnzuwächse in Aussicht stellen, oder sie erzielen eine geringe Kapitalrendite, fallen im Wettbewerb zurück. Wer solche Unternehmen per Indexkauf in sein Portfolio aufnimmt, bezahlt das mit einem Renditeabschlag.

(2) Das "Preis versus Wert"-Prinzip lässt sich nicht anwenden: Man erwirbt nicht nur alle im Index enthaltenen Aktien, sondern man übernimmt sie auch entsprechend ihrer Indexgewichtung. Letztere stellt aber nicht sicher, dass Aktien, die eine hohe Sicherheitsmarge haben, höher gewichtet werden, und dass Aktien, die eine geringere Sicherheitsmarge haben, geringer gewichtet werden, wie es sinnvoll ist.

(3) Die weitere Zinsentwicklung ist und bleibt unsicher. Auf steigende Bewertungen zu setzen, ist riskant. Besser ist es, gezielt in Unternehmen zu investieren, die lange Zeit in der Lage sind, eine hohe Rendite auf das Eigenkapital zu erzielen und den Gewinn pro Aktie zu steigern. Sie sorgen "ganz natürlich", quasi aus sich heraus für hohe Investitionsrenditen - und profitieren auch von höheren Bewertungen, sollten sie sich denn einstellen.

Diese drei Nachteile der Index-Strategie können in Phasen technologischer Neuerungen - und hierzu ist die digitale Revolution zu rechnen - groß werden. Was ist die Alternative? Sie besteht darin, sehr wählerisch zu sein, ein bewusstes "Stock Picking" zu betreiben - und dabei diszipliniert das "Preis versus Wert"-Prinzips zu befolgen. Das, was Investoren wirklich wollen, lässt sich nämlich erreichen: hohe Renditechancen bei geringem Risiko.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


Dieser Beitrag wurde auf WirtschaftsWoche Online am 8. November 2017 veröffentlicht.



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