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Zeit des Umbruchs

27.11.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Angesichts aufgelaufener Probleme fordert sie mehr staatliche Eingriffe in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben, damit die Dinge sich zum Besseren wenden: Mindestlöhne sollen Geringverdiener begünstigen, höhere Steuern sollen für eine gerechte Einkommensverteilung sorgen, Regulierung soll Krisen verhindern, enge Politikkoordinierung zwischen Staaten soll mehr Sicherheit bringen. Kurzum: Die autoritäre Idee baut auf der (allerdings ökonomisch falschen) These auf, der große Staat sei die Lösung, nicht die Ursache der beklagten Missstände.

Mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte mag man geneigt sein zu glauben, die autoritäre Idee habe bessere Karten, dass sie die marktwirtschaftliche Idee auch künftig übertrumpfen werde. Das aber mag vorschnell geurteilt sein. Denn mittlerweile scheint eine weitere, ebenso wichtige Idee ins Spiel gekommen beziehungsweise wiederentdeckt worden zu sein: Die Idee der Souveränität, der Selbstbestimmung feiert Renaissance. Noch ist sie ein zartes Pflänzchen: Aber eine wachsende Zahl von Menschen hat ganz offensichtlich bereits begonnen, die Vorzüge, die Freuden der Selbstbestimmung und Selbständigkeit wiederzuentdecken.

Das gilt insbesondere für die Bürger in Großstaaten beziehungsweise in Großstaatsverbänden. Der Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union (EU) ist dafür das erste, bisher sichtbarste Anzeichen: Es ist die bewusste Abkehr eines Landes vom Kartell der EU-Staaten.

Die Entscheidung der Briten öffnet den Blick für die Veränderungskräfte, die innerhalb vieler europäischen Staaten bereits am Werke sind: Das Baskenland und Katalonien wollen sich von Spanien lösen; die Schotten wollen sich von Großbritannien separieren; in Norditalien fordern die Lombardei und Venetien mehr Autonomie; die Flamen in Nordbelgien wollen ihre Eigenständigkeit. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Und es bedarf nicht viel Phantasie, sich weitere Sezessionsbewegungen auszumalen, die künftig in Europa zu erwarten sind.


Harte Landung

Schon jetzt ist die politische Euphorie, ein einheitliches Superstaatsgebilde in Europa zu errichten, verflogen. Die europäische Integrationsidee hat für viele Menschen ihre Anziehungskraft stark eingebüßt. Sie hat die in sie gesetzten Wachstums- und Wohlstandserwartungen nicht erfüllt. In den von der Euro-Krise hart gebeutelten Ländern macht sich Enttäuschung breit, weil die EU ihnen angeblich zu zögerlich Unterstützung gewährt und dabei zu strenge Reformauflagen stellt.

Die Menschen in den Geberländern fühlen sich ausgenutzt: Sie werden für Fehler und Misswirtschaft in anderen Ländern haftbar gemacht. Nationaler Souveränitätsverzicht ist nicht mehr en vogue. Dem Projekt der Europäischen Union (EU) droht damit eine harte Landung.

Wenn der Selbstbestimmungswille in Europa um sich greift, gibt es nun aber gute Gründe zu erwarten, dass die marktwirtschaftliche Idee und nicht die autoritäre Idee gestärkt wird. Der Rückbau der großen Einheit in kleinere Einheiten bringt wirtschaftspolitischen Veränderungsdruck. Kleinere politische Einheiten stehen im Wettbewerb. Sie müssen offen sein für freien Handel, Kapital- und Personenverkehr. Nur so werden sie in der Lage sein, ihren Wohlstand zu erhalten und zu mehren.

Niedrige Steuern, verlässliches Recht, ein freundlicher und zuvorkommender Staat sind wichtig, damit sich Unternehmen und Talente ansiedeln und nicht abwandern. Kurzum: Ein Europa der kleinen Einheiten - ein Europa der vielen "Schweizen" und der vielen "Liechtensteins" - stellt ein sebstbestimmtes, friedvolles Zusammenleben und höheren Wohlstand in Aussicht.

Schon häufig wurde die Metapher bemüht, die EU gleiche einem Fahrrad: Solange es sich nach vorn bewegt, bleibt es stabil, bleibt es aber stehen, fällt es um. Daran scheint etwas dran zu sein: In den letzten Jahren wurde der EU-Vergemeinschaftungsprozess vehement vorangetrieben. Allerdings getrieben durch schiere Not - und nicht durch Vernunft.

Es galt (und gilt noch immer), die Zahlungsunfähigkeit von Staaten und Banken abzuwenden und ein Scheitern des Europrojektes abzuwenden. Das ist auch der Grund, warum die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen auf die Nulllinie gezwungen hat, Euro-Staatsschulden aufkauft und dafür mit neu geschaffenen Euros bezahlt. Zudem wurde eine neue supranationale Verschuldungsebene geschaffen (der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)), und eine Bankenunion wird aus der Taufe gehoben.

Der Drang zur Vergemeinschaftung und die notgetriebene Schaffung einer Haftungsunion, die das Scheitern des Europrojektes abwehren soll, wirken wie aus der Zeit gefallen - in einer Zeit, in der die Idee der großen politischen Einheiten auf den Prüfstand kommt und zusehends an Anziehungskraft verliert. Es ist verfrüht zu meinen, die Euro-Krise wäre überwunden. Vermutlich steht die eigentliche Euro-Krise erst noch an.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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