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Labour Day: Bullen rücken vor

31.08.2007  |  Klaus Singer
Die Kreditkrise, die einmal eine Immobilienkrise war, ist trotz aller Eingriffe der Zentralbanken nicht erledigt. Die Aktienmärkte sind jedoch (vorerst) zur Tagesordnung übergegangen und preisen die zuletzt immer wieder zutage getretenen Gefahren für das Finanzsystem wieder aus.

Besonders brisant, dass dies gerade vor dem amerikanischen "Labour Day" geschieht, der dafür bekannt ist, dass danach an den Börsen alles anders ist als vorher. Das muss dieses Mal natürlich nicht so sein - solche historischen Analogien sind nicht mechanisch zwingend.

Aber daran denken sollte man, insbesondere weil die Bullen sich in den vergangenen Tagen arg ins Zeug gelegt haben, um die Aktienmärkte nicht abkippen zu lassen. Das zeigt u.a. der Verlauf der Umsatzverteilung im SPX, hier hat seit Monatsmitte eine dynamische Akkumulation stattgefunden. (Der Chart kann auf der Web-Seite der TimePattern eingesehen werden.) Diejenigen, die akkumuliert haben, möchten bald die Früchte ihrer Tätigkeit ernten und ihr Material zu hohen Preisen "verteilen".

Geholfen hat bei der Stimmungsverbesserung im Aktiengeschäft auch die Freigabe der chinesischen Regierung zum Kauf von H-Aktien durch Festland-Chinesen. Seitdem explodiert der entsprechende Index so vor sich hin und wird damit wohl erst aufhören, wenn er auf dem Niveau der A-Aktien angekommen ist.

Auch wenn die Aktienmärkte beachtliche Eigendynamik aufgenommen haben, und damit zunächst einmal recht "immun" gegen negative Nachrichten sein dürften, so muss man doch genau hinschauen, wie es um die Anschlusskäufe bestellt ist, wenn etwa der Dow über die Zone zwischen 13.500 und 13.650 hinausblicken will. Beim SPX entspricht das dem Bereich zwischen 1480 und 1500. Beim NDX steht nach der Hürde bei 1990 einem Test des jüngsten Hochs bei 2050 (fast) nichts mehr im Wege; aber auch hier die Frage nach der dann noch verbleibenden Kaufkraft.

Die "Carry-Trade-Indikatoren" Dollar/Yen und Euro/Yen zeigen wieder aufkommende Risikofreude. Davon sollten nun auch die Rohstoffe und Edelmetalle profitieren. Hierzu sei auf einen lesenswerten Artikel verwiesen, der auszugsweise im Diskussionsforum der Web-Seite veröffentlicht ist.

Die Aktienmärkte stützen sich u.a. auf "starke Fundamentaldaten" aus der Wirtschaft. So sind z.B. die ausgewiesenen Gewinne der großen amerikanischen Investmentbanken im zweiten Quartal weiter hoch, die Krise zeigt sich hier nicht. Geben Bilanzen im allgemeinen und die der Banken die Verhältnisse richtig wider? Hinter dieser immerwährenden Frage kann man in jüngster Zeit weitere Fragezeichen machen.

Das für die Bilanzstandards in den USA verantwortliche Financial Accounting Standards Board (FASB) hat nämlich im September 2006 neue Regeln zur Ermittlung des fairen Werts entwickelt, die ab 2008 bindend werden. Danach besteht der Gewinn einer Bank aus drei Komponenten: Level 1 fußt auf quotierten Preisen, Level 2 auf marktähnlichen Preisen, Level 3 basiert auf "nicht-beobachtbaren Inputs". Mit Level 3 ist dem Wunschdenken und Schönreden Tür und Tor geöffnet.

Da wundert es nicht, dass einige Banken diese bereits jetzt umgesetzt haben. Wie die FAZ darstellt, resultierten die "Level-3-Gewinne" bei Wells Fargo zu 1,21 Mrd. Dollar (bei 3,44 Mrd. Vorsteuergewinn) aus der Neubewertung der Zahlungsströme von Hypothekenkrediten (Mortgage Servicing Rights, MSR). JP Morgan verbuchte auf diese Art ein Plus von 952 Mio. Dollar, die Citigroup eines von 1,3 Mrd. Dollar. Andere Banken haben ähnliche Zuwächse aus Derivatekontrakten oder Private Equity verbucht.

Natürlich steigt der Wert von MSRs mit den Zinsen, denn die Zahl der Refinanzierungen nimmt dann ab, während die Tilgungsströme zunehmen. Das gilt aber nur so lange, so lange die Ausfallraten klein bleiben. In den vergangenen Jahren sind jedoch zahlreiche Hausbesitzer mit niedrigen Lockzinsen geködert worden, die nun vertragsgemäß steigen. Viele diese Hausbesitzer hatten und haben jetzt erst recht nicht die Bonität, um die Kreditkosten zu tragen. Die Folge: Die Hypothekendarlehen fallen aus und somit auch die Tilgungsströme.

Im Juli haben die Zwangsversteigerungen von Eigenheimen in den USA auf fast 180.000 Fälle nahezu verdoppelt. Der Case-Shiller-Hauspreisindex ist im zweiten Quartal um weitere 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal abgesackt. Nach vier Minus-Quartalen in Folge summiert sich das im Jahresvergleich auf 3,2 Prozent. Das ist der stärkste Rückgang seit Index-Start im Jahr 1987. Von 1990 auf 1991 gab es mit 2,2 Prozent den zweitstärksten Einbruch. Wie bereits vor einer Woche an dieser Stelle dargelegt, rechnen Beobachter mit bis zu zwei Millionen Zahlungsausfällen, was die Hauspreise um zehn Prozent drücken könnte. Damit aber wären die "Level-3"-Gewinne im wahrsten Sinne des Wortes Fabelhaft.

Und von der Immobilien- zurück zur Kreditkrise: Die Summe der ausstehenden ABS (Asset Backed Paper) ist per Ende 2005 auf 8,06 Bill. Dollar aufgelaufen. Allein in selbigem Jahr wurden neue im Gesamtwert von 3,07 Bill. Dollar ausgegeben. Neuere Zahlen liegen mir nicht vor, aber es ist kaum vorstellbar, dass es danach weniger schnell weitergegangen ist. Damit summieren sich die ausstehenden ABS auf die Größenordnung des BIP der USA (13,8 Bill. Dollar).

Rechnet man die vorstehenden Ausfallzahlen mit den durchschnittlichen Betrag eines Hypothekendarlehens (200.000 Dollar) hoch, so kommt man "nur" auf einen Betrag von 400 Mrd. Dollar. Wenn von hier aus aber der Funke überspringt, dann sind die ausstehenden ABS das Heu, das Feuer fangen kann. Kreditkrise eben.

Fundamental übergeordnetes Szenario? Die Unsicherheit, das Misstrauen bleibt. Es geht nicht mehr um die Bewertung oder Neubewertung von Risiken, niemand weiß genau, wo diese eigentlich genau liegen. Und die neuen Bilanzierungs-Richtlinien tragen nicht dazu, das das anders wird. Im Gegenteil. Außerdem ist es kaum vorstellbar, dass die (noch lange nicht ausgestandene) Kreditkrise ohne Auswirkungen auf die Güterwirtschaft bleibt. Ergo: Harte Landung - siehe z.B. Rezessionswarner auf der Web-Seite ("Intermarket").


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de

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