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Im Zeichen des Zinses (Teil 2): Nach 40-Jahren fallender Zinsen, wie geht es weiter?

19.02.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Man kann hier einwenden: Heute ist die Lage anders, weil die Inflation der Konsumgüterpreise mittlerweile sehr hoch ist, und daher der Handlungsspielraum der Zentralbanken stark eingeschränkt ist. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Das weltweite Fiatgeldsystem gerät in Probleme, wenn der Kreditmotor zu stottern beginnt, beziehungsweise wenn Schuldnerausfälle drohen. Die gesamtwirtschaftliche Bedrängnis, die daraus erwachsen kann, kann die Menschen nur allzu leicht verleiten, im Fortbestand hoher Inflation das vergleichsweise kleinere Übel zu erblicken, um einem vermeintlich größeren Übel (Rezession und Arbeitslosigkeit) zu entgehen.

Nicht zuletzt ist in Rechnung zu stellen, dass die Zentralbanken in letzter Konsequenz die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der Regierungen unterstützen. Dazu gehört insbesondere auch, die Lücken in den Staatshaushalten mit bezahlbaren Krediten zu finanzieren. Das trifft insbesondere im aktuellen Umfeld zu, in dem die Regierungen einen weitreichenden Umbau der Volkswirtschaften anstreben (Stichwort: Abkehr von fossilen Energieträgern), und der Erfolg dieser Vorhaben entscheidend von üppigen staatlichen Transferzahlungen abhängt.

Während allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Faktoren gegen eine "echte Zinswende" sprechen (etwa in dem Sinne, dass die Zentralbanken für einen Bärenmarkt sorgen wie beispielsweise ab Ende der 1960er Jahre, um die Inflation abzusenken), ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios nicht Null.

Man denke nur einmal an die Möglichkeit, dass das Vertrauen der Menschen in den Geldwert ernstlich schwindet (beispielsweise ausgelöst durch eine Naturkatastrophe oder sonstige exogene Effekte), und die Zentralbank gezwungen ist, eine anhaltende Hochzinspolitik zu verfolgen, um die Währung zu erhalten. Doch die Erfahrung mit der Hochzinspolitik der Fed, die in den späten 1960er bis hin zu den frühen 1980er Jahren gemacht wurde, gibt vermutlich keine Hinweise darauf, mit welchen Folgen für Wirtschaft und Finanzmärkten heutzutage zu rechnen wäre. Zum einen war die allgemeine Verschuldung deutlich geringer. Ende der 1970er Jahre lag sie bei etwa 160 Prozent des US-Volkseinkommens, während sie gegen Ende 2022 bei etwa 360 Prozent lag. Zudem waren die Kreditkosten, mit denen die Schulden damals refinanziert wurden, deutlich höher als heute.

Weiterhin ist zu beachten, dass die "Überdehnung" des ungedeckten Geldsystems noch nie so ausgeprägt gewesen ist wie heute - wenn man als Maßstab die Relation zwischen der ausstehenden ungedeckten Geldmenge und den offiziellen Goldreserven zugrundelegt (Abb. 2). Ende der 1970er Jahre standen einer Feinunze Reservegold noch knapp 600 US-Dollar in Form der monetären Basis gegenüber beziehungsweise etwa 1.400 US-Dollar in Form der Geldmenge M1* (Bargeld und Sichtguthaben bei Banken). Heute dagegen steht 1 Feinunze der US-Goldreserve 20.000 US-Dollar in Form des Basisgeldes beziehungsweise knapp 28.000 US-Dollar der Zahlungsmittelmenge (M1*) gegenüber.

In den frühen 1980er Jahren - der Goldpreis lag bei ungefähr 600 USD/oz (in der Spitze erreichte er kurzfristig 850 USD/oz im Januar 1981) - hätte man daher vermutlich relativ unproblematisch zu einer Golddeckung des US-Dollar zurückkehren können, wäre dies zur Stützung des US-Dollar-Währungswertes als erforderlich angesehen worden. Heutzutage sind jedoch die ausstehenden Geldmengen derart stark ausgeweitet worden im Verhältnis zu den verfügbaren offiziellen Goldreserven, dass eine Wiederverankerung des US-Dollar im gelben Metall sehr wahrscheinlich mit extremen wirtschaftlichen Turbulenzen verbunden wäre.¹

Die aktuellen Zinssteigerungen der Zentralbanken sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Rückkehr zu "normalen Zinshöhen" mit gewaltigen Anpassungskosten verbunden sein würde; und dass auf diesem Weg überaus große wirtschafts- und gesellschaftspolitische Hindernisse zu überwinden wären. Aus unserer Sicht ist es daher wahrscheinlich, dass sich der derzeitige Zinsauftrieb - der sich durchaus noch etwas weiter fortsetzen kann - letztlich doch als eine zeitlich begrenzte Erscheinung erweisen wird, gefolgt von wieder gemäßigteren Zinshöhen, herbeigeführt durch eine Wiederaufnahme der Schuldpapierkäufe durch die Zentralbanken.

Ein Szenario, in dem die realen, das heißt inflationsbereinigten Zinsen wieder über die Nulllinie gehoben werden, erscheint uns hingegen nicht sonderlich wahrscheinlich zu sein.

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Den ersten Teil des Artikels können Sie hier lesen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



¹ Übrigens gibt es derartige Vorschläge (wieder). Siehe hierzu Degussa Marktreport, 13. Oktober 2022, Vorschlag im US-Kongress: Wiedereinführung der Golddeckung für den US-Dollar.


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