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Euroraum unter Zinsnarkose

28.05.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 3 -
Folgen des NIiedrigzinses

Lässt sich daraus schließen, dass die EZB-Niedrigzinspolitik richtig war, dass der Euroraum nun über den Berg ist? Die keynesianisch Gesinnten werden diese Frage mit Ja beantworten. Einige von ihnen werden nun sogar die Auffassung vertreten, dass sich die EZB von der Niedrigzinspolitik wieder abkehren kann (und sollte), weil ein "tragfähiger Aufschwung" in Gang gekommen ist, der höhere Zinsen "aushält".

Doch es gibt auch eine ganz andere Sicht der Dinge. Sie lautet: Die EZB-Niedrigzinspolitik hat einen Scheinaufschwung angezettelt, der nur Bestand hat, solange die Zinsen extrem niedrig bleiben. Zinserhöhungen werden das Konjunkturgebäude zum Einsturz bringen.

Die Wahrheit liegt vermutlich (wie so oft) zwischen den beiden Sichtweisen. Es ist durchaus denkbar, dass der Konjunkturaufschwung, angetrieben durch künstlich gesenkte Zinsen, die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften etwas verbessert hat, und dass daher (leicht) steigende Zinsen nicht notwendiger-weise eine neue Krise auslösen müssen. Zum anderen ist aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass steigende Zinsen die Volkswirtschaften schnell "überfordern", weil der Aufschwung durch künstlich niedrige Kreditkosten in Gang gekommen ist und dass steigende Zinsen sein Ende einläuten. Abb. 4 zeigt eindrücklich, wie die Konjunktur aufgrund des negativen Realzinses angezogen hat.

Zusätzlich dazu gesellt sich ein weiteres Problem: die brisante finanzielle Lage des Euro-Bankenapparates.(1) Nach dem geplatzten Kreditboom 2008/2009 haben die Aktienkurse der Euro-Banken stark an Wert verloren - vergleichbar mit dem Verfall der japanischen Bankaktienkurse in den 1990er Jahren (Abb. 5 a). Geringe Ertrags- und Rentabilitätszahlen, hohe Bestände an faulen Krediten (sie werden offiziell auf rund 759 Mrd. Euro geschätzt, also etwa 30 Prozent des bilanzierten Bankeneigenkapitals) und wachsende Regulierungsdichte haben die Geschäftsaussichten vieler Euro-Banken stark eingetrübt. Dramatisch sind auch die Kursverluste der beiden deutschen Großbanken (Abb. 5 b).

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Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen. (1) Januar 1980 = 100. (2) Januar 2006 = 100)


Sollten die Euro-Banken nicht mehr in der Lage oder willens sein, Kredite auf ihren Bilanzen zu halten, wird es heikel. Wenn Banken daraufhin ihre Bilanzen schrumpfen, indem sie fällige Kredite nicht mehr erneuern und keine neuen Darlehen mehr ausreichen, nimmt die bisher ausstehende Euro-Kredit- und -Geldmenge ab. Es käme zu einem deflationären Effekt. Die Güterpreise würden fallen, und Schuldner gerieten in arge Bedrängnis: Ihre nominalen Schulden blieben unverändert bestehen, gleichzeitig gingen aber ihre nominalen Einnahmen zurück. Kreditausfälle und Konjunkturabschwung wären vermutlich unabwendbar.

Höhere Zinsen wären für die Euro-Banken auf der einen Seite positiv: Denn dann lässt sich wieder etwas verdienen im Kreditgeschäft. Auf der anderen Seite könnte das, nach langen Jahren des Nullzinses, die Kreditausfälle in die Höhe treiben. Das wiederum würde die Eigenkapitaldecke der Banken angreifen und - wenn sich kein neues Eigenkapital beschaffen lässt - zu einer weiteren Schrumpfung der Euro-Kredit- und -Geldmenge führen. Welcher Effekt für das Bankgeschäft überwiegt, wenn die Zinsen steigen - Verbesserung der Gewinnlage oder Verschlechterung des Kreditportfolios - lässt sich vorab nicht mit Gewissheit sagen.

Dass die EZB so entschieden an ihrer Niedrigzinspolitik festhält, liegt vermutlich daran, dass die Politik der niedrigen Zinsen als eine vergleichsweise risikoarme Strategie eingestuft wird, und weil sie auch der Mehrheit der Regierungen im Euroraum in die Hände spielt: Wenn die Kredite billig sind, brauchen sie unliebsame Reformen nicht anzugehen. Die besonders hoch verschuldeten Länder erhalten dadurch die Möglichkeit, sich auf Kosten der weniger stark verschuldeten Länder ihrer Kreditlasten zu entledigen - eine grenzüberschreitende Umverteilung, die erheblichen politischen Sprengstoff birgt.


Aufgeblasene Vermögenspreise

Weiterhin ist zu beachten, dass die niedrigen Zinsen die Vermögenspreise - die Preise für Aktien, Häuser und Grundstücke - in die Höhe treiben. Beispiel Aktienmarkt: Es ist zwar natürlich, wenn die Aktienkurse im Zeitablauf steigen, weil Unternehmen, wenn sie erfolgreich arbeiten, Werte schöpfen. Aus diesem Grund werden auch die Aktien der Unternehmen über die Zeit mehr wert. Allerdings spielt auch der Zins eine wichtige Rolle für die Aktienkurse. Denn sie werden durch die Abzinsung der in der Zukunft erwarteten Unternehmensgewinne bestimmt. Nimmt der Zins ab, so bewirkt das zwei Dinge:


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