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Euroraum unter Zinsnarkose

28.05.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Wie drückend die Euro-Zwangsjacke für Italien geworden ist, zeigt sich zudem in einem Vorentwurf des Regierungsprogramms, in dem ein Schuldenschnitt in Höhe von 250 Mrd. Euro (insgesamt hat Italien Staatsschulden von 2.300 Mrd. Euro) gefordert wurde. Der Entwurf ist zwar vom Tisch, Wunsch und Idee werden jedoch weiterleben. Denn Italien steht nach wie vor nicht gut da. Der Euro ist zum akuten Problem geworden: Das Land kann seinen Wechselkurs nicht mehr abwerten, um wettbewerbsfähiger zu werden. Italien ächzt unter einer Staatsschuldenquote von 132 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Dabei zeigt Italiens Wirtschaft nur wenig Wachstumsdynamik: Seit Beginn der Euro-Währungsunion ist sie nur um durchschnittlich 0,5 Prozent pro Jahr gewachsen; und seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise beträgt das jährliche Wirtschaftswachstum durchschnittlich minus 0,5 Prozent pro Jahr. Die Arbeitslosigkeit der Frauen zwischen 15 und 24 Jahren beträgt etwa 36 Prozent, die der gleichaltrigen Männer etwa 32 Prozent.

Die italienischen Banken haben, im Vergleich mit den übrigen Euro-Banken, die höchsten faulen Kredite in ihren Bilanzen: Im vierten Quartal 2017 waren es etwa 164 Mrd. Euro. Angesichts des EU- und Euroskeptischen Tons der Koalition ist das Szenario nicht von der Hand zu weisen, dass sich nun wirklich dunkle Wolken über der Zukunft der Einheitswährung bilden.


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Quelle: Thomson Financial


Die Finanzmärkte haben darauf bereits reagiert: Die Zinsen für kurz- und langlaufende italienische Staatsanleihen haben angezogen. Allerdings weitaus weniger stark als noch zu Zeiten der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Grund liegt auf der Hand: Die Investoren rechnen damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) im "Notfall" eingreift und italienische Staatsanleihen - und bei Bedarf auch andere Euro-Staatsanleihen - kauft, um die Lage zu beruhigen. Und mit dieser Erwartungshaltung dürften die Akteure auf den Märkten auch richtig liegen - denn eine solche Reaktion der EZB wäre die logische Fortsetzung der seit 2010 eingeschlagenen "Euro-Rettungspolitik".

Die Koalition in Rom scheint sich ihrer starken Verhandlungsposition bewusst zu sein: dass sie ziemlich ungestraft den gesamten Euroraum in Geiselhaft nehmen kann. Italien kann die Rechnung für die eigene Schuldenmisswirtschaft den übrigen Euro-Teilnehmerländern aufbürden, indem sie die EZB "durch die Kraft des Faktischen" dazu bringt, Schulden zu monetisieren. Das Anwerfen der elektronischen EZB-Notenpresse ist zweifellos ein machtvolles Instrument: Es kann den Zahlungsausfall von Staaten und Banken verhindern.

Doch der Preis dafür ist hoch: Die Kaufkraft des Euro wird entwertet und das schadet Bürgern und Unternehmen im Euroraum. Zudem führt eine Euro-Entwertung zu einer - nicht parlamentarisch abgesegneten - Umverteilung von Einkommen und Vermögen im Euroraum in großem Stil, die für noch mehr Zank und Streit und Erbitterung zwischen den Ländern sorgen dürfte. Die Geschehnisse in Italien sind also schlechte Nachrichten für den Euro.


Die niedrigen Euro-Zinsen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Defizite der Euroraum-Staaten sich in den letzten Jahren verringert haben (Abb. 2 b). Zum einen war dafür die sinkende Zinslast (dank der EZB-Niedrigzinspolitik) direkt verantwortlich. Zum anderen spielte den Staaten die EZB-Niedrigzinspolitik auch noch indirekt in die Hände: Der extreme Niedrigzins im Euroraum hat in nahezu allen Euro-Ländern die Konjunktur belebt. Und die steigende Wirtschaftsleistung hat wiederum die Schulden- und Defizitquoten abgesenkt.

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Quelle: Thomson Financial; eigene Berechnungen. (1) Deutscher 2-Jahreszins abzüglich der Inflation der Konsumgüterpreise im Euroraum



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