Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Interview mit Bernd Rodler: "Echte Innovation und Fortschritt finden jenseits von Big Tech statt"

26.05.2022  |  Claudio Grass
- Seite 2 -
Bernd Rodler: Wir alle wissen, dass Bürokratien gut mit standardisierten Vorgängen und großen Datenmengen umgehen können. Große Unternehmensinstanzen - mit einer Handvoll von Ausnahmen, die noch immer von ihren Gründern geleitet werden - sind in gewisser Weise selbst Bürokratien.

Doch noch nie haben wir deutliche Innovation ausgehend von monolithischen, monopolistischen Organisationen beobachten können, die über Wettbewerb hinausgehen. Innovation entstammt immer kleinen Instanzen, die Diskussion, Experimente und Teamarbeit ermöglichen. Indem sie ihre Ergebnisse als Open Source bereitstellen, hauptsächlich "Code und Ideen", fordern sie ihre Mitstreiter permanent heraus, ebenso wie ihre Kunden.

Demnach sind wir absolut davon überzeugt, dass die Zukunft in Open Source liegt, nicht nur in der Softwareentwicklung, sondern auch darüber hinaus. Echte Innovation und Fortschritt finden also jenseits von Big Tech statt.

Im zweiten Teil wenden wir uns den Fragen der Sicherheit und der Entscheidungen zu, die wir als Individuen in unseren Interaktionen mit Technologie und der Online-Welt treffen können, während wir zudem die Zukunft und die Auswirkungen auf die weitreichendere Dezentralisierung besprechen.


Claudio Grass: Viele Leute empfinden es noch immer als sicherer, auf ein großes, etabliertes Unternehmen zu setzen, und erachten diese Lösungen als verlässlicher und robuster, vor allem bei Unternehmensanwendungen. Was halten Sie davon?

Bernd Rodler: Das ist eine durchaus verständliche Ansicht, zumindest aus Sicht eines Managers, der eine "Rette-deinen-Hintern"-Strategie anwendet. Wer kann ihm die Schuld daran geben, wenn das SAP-Projekt schiefgeht? Nun, sie sind der Marktführer, also kann es nicht seine Schuld sein.

Jedoch bin ich nun schon seit mehr als 20 Jahren in der IT-Branche tätig und in dieser Zeit sind viele große, selbst weltweit führende Unternehmen wie Enron, WorldCom und Yahoo zusammengebrochen, haben fusioniert oder wurden aufgelöst. Und ich möchte nicht einmal an all die Produkte denken, die eingestellt oder vom Markt genommen wurden, was dann enorme Probleme für Kunden verursachte, die diese im betriebsnotwendigen Umfeld verwendeten. Nicht zu vergessen das Druckmittel der stetig steigenden Software-Lizenzkosten.

Ich bezweifle also, dass große Unternehmen an sich stabil sind. Im Gegenteil. Die gesamte Welt ist heutzutage praktisch auf Steroiden. Innovation setzt schnelle Anpassungs- und Entwicklungsvorgänge voraus. Diese sind selbst im Vergleich zu vor fünf Jahren deutlich schneller geworden, sodass es scheint, als würden große Einheiten still stehen. Die Hierarchien, die man überwinden muss, bevor man zu einem Fazit und einer Entscheidung gelangt, bedeuten, dass man immer etwas, vielleicht sogar zu spät ist.

Das ist wahrscheinlich der Grund, warum VNClagoon bei Projekten gegen die Goliaths der Branche gewinnt.


Claudio Grass: Wenn wir einige der größten Veränderungen der Technologiebranche betrachten und die Art und Weise, wie der Normalbürger mit der Online-Welt interagiert, geschäftlich oder privat, würden Sie dann zustimmen, dass es selbst unter denjenigen, die alles andere als Experten sind, eine Art „Erwachen“ gegenüber Sicherheitsrisiken und Fragen der Privatsphäre gibt?

Bernd Rodler: Ich hoffe und denke, dass es tatsächlich ein Umdenken oder "Erwachen" stattfindet. Wenn wir uns die massiv rückläufigen Zahlen bei den Abonnenten der Medienunternehmen und die zunehmende Zahl an Followern, Abonnenten und Lesern der sogenannten "neuen Medien" anstehen, dann bin ich davon überzeugt, dass die Leute schlauer sind als viele glauben. Und die Menschen scheinen Gedankenkontrolle und Zensur zu hassen.

Auch auf geschäftlicher Ebene verzeichnen wir zunehmend Anfragen mit Fokus auf Sicherheit und Privatsphäre. Erstaunlicherweise stammen diese eher von Regierungsklienten als von Unternehmen. Was ziemlich merkwürdig ist oder vielmehr zeigt, dass die Abhängigkeiten von Anlegern, Aktionären, Hedgefonds und anderen Fonds extrem stark sind.


Claudio Grass: Angesichts der Tatsache, dass nur wenige von uns die technischen Fähigkeiten und das Knowhow besitzen, um diese Risiken effektiv zu mindern und die verschiedenen Dienstleistungen und Lösungen, die angeboten werden, zu evaluieren, was sind hier einige der Haupteigenschaften und Parameter, die wir im Auge behalten sollten? Oder welches grundlegende Wissen sollten wir uns aneignen?

Bernd Rodler: Eine gute Frage und schwierig zu beantworten. Wir müssen diesen Zustand des digitalen Unwissens definitiv überwinden. Wenn Sie die Grundlagen der Software, Verschlüsselung, AI nicht verstehen, können Sie keine gewissenhaften Entscheidungen treffen. Ich denke, dass das Programmieren in Schulen wie Mathematik unterrichtet werden sollte. Zeitgleich würde ich die Vermittlung von Philosophie, Ethik und Geschichte sowie Geopolitik empfehlen. IT ist eine weltweite Macht. Wenn Sie nicht verstehen, was die Interessen der großen Marktteilnehmer sein könnten, dann könnten Sie als ein Sklave der Technokratie enden.

Ich könnte hier außerdem einige Stichwörter oder Sätze erwähnen: Verschlüsseln Sie Ihre Daten, wählen Sie Ihren Provider sorgfältig aus, verwenden Sie nur Open-Source-Werkzeuge, offenbaren Sie sich nicht auf Facebook oder ähnlichen Plattformen. Doch nicht jeder kann diesen Empfehlungen einfach folgen. Wenn Organisationen wie die NSA Sie ausspionieren möchten, dann haben sie eine Menge Werkzeuge, um dies zu tun. Ich glaube mit Sicherheit, dass eine Verschlüsselung Ihrer Daten wichtig für den Schutz Ihrer Privatsphäre ist. Doch erlauben Regierungen überhaupt Verschlüsselung? Ist der Verschlüsselungsalgorithmus Closed Source? Dann können Sie ihn vergessen.

Ebenfalls wichtig hervorzuheben ist, dass der Eigenschutz oftmals den Verlust von Bequemlichkeit und Praktikabilität bedeutet, was die meisten Menschen nicht mögen. Die einzige Möglichkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit zu kombinieren, ist die Etablierung eines Ökosystems dezentralisierter Provider mit einer Vielzahl an benutzerfreundlichen, nützlichen Werkzeugen, die positive Aspekte für z. B. soziale Zusammenarbeit bieten. Wir verlassen uns - wie ich bereits sagte - auf dezentralisierte, jedoch vernetzte Produkte. Technisch ist das machbar.

Dezentralisierung ist ein weiterer Archetyp neben Open Source. Sie ist ein Muss. Das größere Problem ist das Geschäftsmodell, da Provider für ihre Server und Netzwerkzugang zahlen müssen. Nutzer möchten alles kostenlos, doch jeder muss sich bewusst sein, dass nichts gratis ist. Der größte Preis, den Sie zahlen, ist das Aufgeben Ihrer Daten. Wie können Eltern es akzeptieren, dass Ihre Kinder im Hintergrund von AI überwacht werden? Das meine ich ganz wörtlich, jeden einzelnen ihre Tastenanschläge, ihre Stimmen und Gesichter. Stellen Sie sich vor, dass das bereits für Arbeitgeber ausreichen wird, um zu entscheiden, ob sie diese Person einstellen möchten oder nicht.

Letztlich müssen wir zudem dafür sorgen, dass Täter im Falle von schweren Datenschutzverletzungen zur Verantwortung gezogen werden. Und die großartige Erfindung der Technikfolgenabschätzung muss wiederbelebt werden. Nicht alles, was wir technisch tun können, ist auch richtig. Wir müssen die Technologie auf eine pro-humanistische und nicht trans- oder post-humanistische Weise einsetzen.


Claudio Grass: Wenn Sie eine Prognose darüber anstellen müssten, wie die Zukunft der Online-Zusammenarbeit und -Kommunikation aussehen könnte, würden Sie dann erwarten, dass sie überwiegend dezentralisiert ausfällt? Oder werden zentralisierte Top-Down-Systeme vorherrschen?

Bernd Rodler: Es gibt keinen Platz mehr für zentralisierte und geschlossene Systeme, da bin ich mir sicher. Nicht-monopolistische und dezentralisierte Systeme werden nicht nur für die Technologiebranche die beste Praxis sein, sondern auch für die Gesellschaft im Allgemeinen. Subsidiarität, beispielsweise, macht Länder wie die Schweiz so effizient und erfolgreich.

Überlassen Sie die Verantwortung der Ebene, der sie zusteht. Und definitiv keinem losgelösten Vorstand, Politikern oder anderen Möchtegern-Oberhäuptern einer "Weltregierung“.


© Claudio Grass
www.claudiograss.ch


Teil 1 dieses Artikels wurde am 17.05.2022 auf claudiograss.ch und Teil 2 am 19.05.2022 auf claudiograss.ch veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.


Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"