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Die Inversion der Zinskurven: Menetekel oder falscher Alarm?

09.07.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Inversion der US-Zinskurve, im Zusammenhang mit einem real schrumpfenden Bankkreditangebot, scheint auf Rezession hinzudeuten. Ein Signal, das die Investoren nicht leichtfertig ausblenden sollten.

Finanzmarktpreise lassen sich nicht immer einfach interpretieren. Das liegt daran, dass sie erwartungsgetrieben sind: Nicht das Hier und Heute beeinflusst sie, sondern die Erwartungen über das, was künftig passieren wird. Doch nicht immer sind die Erwartungen, die gegenwärtig die Finanzmarktpreise bestimmen, richtig – nicht selten stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Erwartungen zu optimistisch oder zu pessimistisch waren.

Eine bekannte Größe aus dem Preisgeschehen im Finanzmarkt, der Investoren in der Regel große Aufmerksamkeit entgegenbringen, ist die sogenannte "Zinskurve".

Die Zinskurve bezeichnet die Renditen in Abhängigkeit von der Laufzeit der im Markt gehandelten (Staats-)Anleihen. Wenn die langfristigen Renditen (sagen wir für 10-jährige Anleihen) höher sind als die kurzfristigen Renditen (für, sagen wir, 1-jährige Anleihen), dann spricht man von einer "normalen Zinskurve". Ist der Unterschied zwischen Lang- und Kurzfristrenditen gering (hoch), nennt man das flache (steile) Zinskurve. Und wenn die Langfristrenditen unter den Kurzfristrenditen liegen, so heißt das "inverse Zinskurve".

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. *100 Basispunkte = 1 Prozentpunkt.


Eine normale Zinskurve ist in der Tat das, was man üblicherweise erwarten würde: Je länger die Laufzeit der Anleihe ist, je mehr Zeit also vergeht, bis der Kreditgeber sein Geld wieder zurückbekommen hat, desto höher fällt auch die Anleiherendite aus. Eine inverse Zinskurve – wie man sie seit geraumer Zeit in den USA und auch im Euroraum beobachten kann – ist so gesehen etwas Außergewöhnliches (Abb. 1). Wie kann das geschehen? Der Antwort auf diese Frage kommt man näher, wenn man sich die sogenannte "Zinsarbitrage" vor Augen führt. Die Idee ist einfach.

In einem funktionierenden Kapitalmarkt kann man entweder eine 10-jährige Anleihe kaufen und über die gesamte Laufzeit halten, oder man kann zehn Mal hintereinander jeweils 1-jährige Anleihen erwerben. Von Transaktionskosten abgesehen, sollten beide Strategien (in einem informationseffizienten Kapitalmarkt) zum gleichen Ergebnis führen. Man kann das Ganze auch so ausdrücken: Der Langfristzins reflektiert den erwarteten Pfad der künftigen Kurzfristzinsen.

Nehmen wir an, der 1-Jahreszins beträgt 5,25 Prozent, der 2-Jahreszins 4,0 Prozent. Eine Investition von 100 Euro in das zweijährige Papier erzielt 100 * (1+0,04)^2 = 108,16 Euro. Wenn man hingegen in das 1-jährige Papier investiert, dann hat man nach einem Jahr 105,25 Euro. Damit man durch das weitere Investieren im zweiten Jahr auf letztlich 108,16 Euro gelangt (also den Ertrag des zweijährigen Papiers), wird die Anlagerendite für das 1-jährige Papier in Jahr zwei bei etwa 2,764… Prozent liegen (müssen). Die Inversion der Zinskurve in diesem Beispiel spiegelt also eine erwartete Zinssenkung wider.

Und da die Kurzfristzinsen mehr oder weniger von der Zentralbank diktiert werden, kann eine inverse Zinskurve tatsächlich darauf hindeuten, dass die Marktakteure bereits heute schon mit künftigen Leitzinssenkungen der Zentralbank rechnen. In diesem Fall reagieren also die Marktzinsen früher als die Leitzinsen, sinken die Langfristzinsen bereits ab, (lange) bevor sich die Kurzfristzinsen bewegt haben.


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