Der Inflationsboom. Verführerich, betrügerisch, zerstörerisch
21.06.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit

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Ein Inflationsboom wird dadurch ausgelöst, dass neues Geld auf dem Kreditweg in die Volkswirtschaft eingespeist wird. Die Zentralbank in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken weitet das Kreditangebot aus, ohne dass es ein entsprechendes Sparangebot gibt. Sie schaffen sprichwörtlich neues Geld "aus dem Nichts", schwindeln es sozusagen herbei. Eine Folge dabei ist, dass die Marktzinsen zunächst künstlich herabgedrückt werden. Das wiederum senkt die Ersparnis, erhöht den Konsum, und zudem steigt die Nachfrage nach Investitionen. Die Volkswirtschaft beginnt sprichwörtlich über ihre Verhältnisse zu leben. Doch auf den Boom folgt der "Bust".Dazu muss man wissen, dass der künstlich gesenkte Zins die volkswirtschaftliche Produktionsstruktur verzerrt: Arbeit und Kapital werden zusehends in zeitintensive Produktionswege investiert, das heißt Produktionswege, deren Produktionsabschluss weit(er) in der Zukunft liegen. Der künstlich gesenkte Zins macht gerade diese langfristigen Investitionsprojekte attraktiv. Doch nachdem der Einschuss von neuem Geld seine Wirkung entfaltet hat - wenn er Investitionen in Gang gesetzt sowie Löhne und Preise in die Höhe getrieben hat -, kommt das böse Erwachen. Firmen bemerken plötzlich, dass ihre Investitionsrechnungen nicht aufgehen, dass die erhoffte Rentabilität ausbleibt.
Der Grund: Die Produktionskosten fallen höher aus als ursprünglich gedacht, und/oder die erhoffte Nachfrage nach den Produkten bleibt aus. Die Investitionen werden liquidiert, Personal wird abgebaut. Arbeitnehmer realisieren, dass die Lohnerhöhungen nur eine einmalige Sache waren. Die "Reichtumsillusion" verpufft. Die privaten Haushalte reduzieren ihren Konsum, die Ersparnis steigt. Aus dem Boom wird ein Bust. Der Bust ist nichts anderes als die "Bereinigung" der Fehlentwicklungen, die der Inflationsboom hervorgebracht hat. Doch kaum jemand mag den Bust: Unternehmer wollen keine Verluste machen, Arbeitnehmer ihren Job nicht verlieren und bedürftig werden.
Vor allem wollen Regierungen keine Rezession. Denn sie kann ihnen gefährlich werden, ihre Macht gefährden: Eine große Rezession birgt die Gefahr, dass die Regierten die Regierenden aus dem Amt jagen. Wenn Regierende und Regierte also den Bust scheuen, ist absehbar, was geschieht: Sobald ein Bust droht (als unausweichliche Folge des inflationären Booms), greift man zu noch mehr Inflation: Mit einer erneuten Kreditausweitung zu noch niedrigeren Zinsen versucht die Zentralbank, den drohenden Bust abzuwenden, ihn in einen neuen Boom umzumünzen. Und das kann durchaus um das ein oder andere Mal gelingen.
Doch im Kern ist das eine zerstörerische Politik. Die Zentralbank muss zu einer immer inflationäreren Politik greifen, um zu verhindern, dass der Boom in einen Bust umschlägt. Und je länger der Bust aufgeschoben wurde, desto größer wird die Notwendigkeit für ein "reinigendes Gewitter", beziehungsweise die Kosten der Bereinigungskrise steigen immer weiter an. Das wiederum verstärkt den Widerstand gegen einen Bust, erhöht den Anreiz, Zuflucht in der Politik der Inflation zu suchen. Die Politik der Inflation, wenn man sich nicht von ihr abkehrt, führt zu immer höherer Inflation mit all ihren verführerischen, aber auch betrügerischen und zerstörerischen Folgen.
Wohin das führt
Der Ökonom Fritz Machlup (1902-1983) hat das Ergebnis des Inflationsbooms eindrücklich formuliert: "Die Prosperität kann eine Zeitlang andauern. Sie dauert so lange, als es möglich ist, die Schaffung zusätzlicher Kaufkraft immer weiter fortzusetzen. Eines Tages muß es sich dann zeigen, daß es mit der Ausdehnung des Notenbankkredits nicht mehr weiter gehen kann, sei es dadurch, daß die Bevölkerung das sich entwertende Geld ablehnt, sei es, daß das Bewußtsein von der übermäßigen Inanspruchnahme von Kredit dem allzu großen Optimismus ein Ende setzt. Was dann nachfolgt, wissen alle.
Es ist die Krise mit ihrer Katastrophenstimmung, mit den Verlusten, Schleuderverkäufen, Konkursen und dem Offenbarwerden einer furchtbaren Verarmung."
Wie sind vor diesem Hintergrund die aktuellen Geschehnisse einzuordnen? Die Volkswirtschaften befinden sich seit Jahren in einem Inflationsboom, der durch die Geldpolitik in der Lockdown-Krise noch weiter verschärft wurde. Das Umschlagen des Booms in einen Bust wird dadurch verhindert, dass die Zentralbanken die Zinsen auf sehr niedrige Niveaus geschleust haben und dort festhalten, sie daran hindern anzusteigen. Solange das Kredit- und Geldmengenangebot weiter steigt, kann auf diese Weise ein Zusammenbruch des Finanzsystems bis auf weiteres abgewehrt werden. Während eine "Kreditkrise" wie in 2008/2009 unwahrscheinlich geworden ist, steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit für eine "Währungskrise".
Eine Währungskrise erwächst aus der Sorge der Menschen, dass die Kaufkraft des Geldes entwertet wird. Das geschieht meistens dann, wenn die Preisinflation "sichtbar" wird, wenn der Anstieg der Preise für Güter und Dienstleistungen das akzeptable Maß übersteigt. Die Menschen verringern daraufhin ihre Geldhaltung, versuchen es gegen Sachwerte (Aktien, Häuser etc.) einzutauschen.
Eine "Flucht aus dem Geld" setzt ein, wenn befürchtet wird, dass sich der Preisanstieg beschleunigt und nicht mehr zum Stillstand kommen wird. Hoch- beziehungsweise Hyperinflation ist die Folge. Eine drängende Frage für den Anleger ist derzeit: Wie stark wird die Preisinflation, die die Zentralbanken bereits auf den Weg gebracht haben, ausfallen?
Die bislang erfolgte monetäre Expansion wird wohl noch keine Währungskrise auslösen. Sollten die Konsumgüterpreise um Jahresraten von 4 bis 6 Prozent zulegen, in der Spitze vielleicht sogar bis 10 Prozent, wäre das zwar äußerst schmerzlich für alle, die auf die Kaufkraft von US-Dollar, Euro und Co vertrauen. Wie die Erfahrung in vielen Ländern zeigt, führen derartige Inflationsraten jedoch noch nicht zu einer breit angelegten Flucht aus dem Geld.
Entscheidend ist, welche Inflationserwartungen die Menschen haben. Wenn sie erwarten, dass die erhöhte Inflation eine "einmalige Sache" ist, kommen die Zentralbanken mit ihrer Inflationspolitik unbestraft davon. Anders ist es, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren, mit einer immer weiter steigenden Geldentwertung rechnen.