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Der nüchterne Realitätssinn der Investoren. Oder: Gefangen im Sicherheitsnetz

30.05.2023  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Werden die Zentralbanken vielleicht schon in den kommenden Monaten die Leitzinsen senken – also früher, als die Marktakteure es derzeit erwarten? Wie die voranstehenden Überlegungen deutlich gemacht haben, sprechen die monetären Entwicklungen für eine Verschlechterung der Kreditmarktsituation – Kredit wird knapper, Kredit zu erhalten schwieriger und teurer – und damit einhergehend für eine Verlangsamung der Wirtschaftsaktivität, für erhöhte Rezessionswahrscheinlichkeit.

Und zumindest kurzfristig bedeutet der Streit über die Anhebung des US-amerikanischen Staatsschuldendeckels eine zusätzliche Belastung ("Stress") für die Kreditmärkte. Man wird entgegnen wollen: Die Inflation ist doch nach wie vor zu hoch, als dass die Zentralbanken die Zinsen bald senken werden.

Ein wichtiger Aspekt. Und damit läuft es auf die Beantwortung der folgenden Fragen hinaus: Werden die Zentralbankräte eine (starke) Rezession in Kauf nehmen, um die Gü-terpreisinflation in die Knie zu zwingen? Oder wird man Zugeständnisse machen – also die Konjunkturen mit Zinssenkungen stützen, auch wenn dadurch die Güterpreisinflation hoch bleibt, beziehungsweise sie nur langsam fällt? Zugegeben, die Antworten auf diese Fragen können so oder so ausfallen, und an dieser Stelle gibt es keine Eindeutigkeit – ja es steht sogar die Ankündigung der Zentralbankräte im öffentlichen Raum, die Güterpreisinflation wieder auf die 2-Prozentmarke bringen zu wollen. Und wer wollte das anzweifeln?

In der Abwägung der Szenarien kommen wir jedoch zur Einschätzung, dass die Zentralbankräte der Konjunkturstützung vermutlich schon bald den Vorrang einräumen werden vor der Inflationsverringerung. Zumal die US-Güterpreisinflation bereits auf dem Abstieg ist (Abb. 7): Das drastische Abschwächen des Geldmengenwachstums (das sich als Vorlaufindikator erweist, und das mittlerweile rückläufig ist) übt Abwärtsdruck auf die Teuerung aus. Nimmt das Geldmengenwachstum weiter ab, und gibt die US-Konjunktur nach, ist sogar eine beschleunigte Abwärtsdynamik bei der Inflation recht wahrscheinlich.

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Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. *1,5 Jahre nach vorn verschoben.
Das Geldmengenwachstum deutet bereits auf einen sinkenden Trend der Konsumgüterpreisinflation hin. Setzt sich die Geldmengenschrumpfung fort, und knickt die Konjunktur ein, dürfte der Rückgang der Inflation sogar noch schneller und kräftiger ausfallen.


Wir wären nicht überrascht, wenn schon in der zweiten Jahreshälfte 2023 die US-Leitzinsen abgesenkt werden, weil das Sicherheitsnetz der Zentralbanken wieder einmal getestet wird – und es sich zeigt, dass die Volkswirtschaften quasi im Sicherheitsnetz der Zentralbanken gefangen sind. Mit einer leichten Zeitverzögerung werden dann sehr wahrscheinlich auch die Euro-Zinsen reduziert. Der US-Leitzins könnte Mitte 2024 zwischen 2,5 und 3,0 Prozent liegen, der Hauptrefinanzierungszins der Europäischen Zentralbank (EZB) in einer ähnlichen Bandbreite.

Die langfristigen Kapitalmarktzinsen werden sehr wahrscheinlich der richtungsmäßigen Vorgabe der Leitzinsen folgen. Die Aussicht auf fallende Zinsen bei weiterhin erhöhter Güterpreisinflation – und damit das Andauern negativer Realzinsen – wird die Vermögenspreise – vor allem die Preise für Aktien und Häuser – stützen. Das ist ein Umfeld, das zudem auch positiv für die Edelmetallpreise, vor allem für die Preise von Gold und Silber, sein dürfte.


Geldmenge und Konsumgüterpreise im Euroraum

Die nachstehende Graphik zeigt das Jahreswachstum der Euro-Geldmenge M3 und das der Konsumgüterpreise im Euroraum von Januar 1971 bis April 2023. Man erkennt: Die beiden Zeitserien scheinen auf den ersten Blick nicht allzu eng miteinander verbunden zu sein. Gleichwohl weisen beide einen im Zeitablauf sinkenden Trendverlauf auf.

Jahreswachstum Euro-Geldmenge und Konsumgüterpreise in %

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.


Trendverläufe: Euro Geldmenge und Euro-Konsumgüterpreise, Jahreswachstum in %

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa


Wenn man jedoch die Trendverläufe betrachtet, dann erkennt man, dass die beiden Zeitserien weitaus enger (und nach wie vor positiv) miteinander verbunden sind, als man zunächst hätte denken können. Es illustriert die Auffassung, dass die Güterpreisinflation letztlich immer und überall ein monetäres Phänomen ist.

Aus der jüngsten Datenlage lässt sich zudem schließen: Wenn das Euro-Geldmengenwachstum nicht wieder zulegt, sich weiter abschwächt, dann wird auch die künftige Inflation der Konsumgüterpreise im Euroraum weiter nachgeben. Entscheidend wird letztlich jedoch sein, wie die Euro-Geldpolitik verfährt: Verharrt das Geldmengenwachstum auf dem gegenwärtigen Niveau, wird die Inflation stärker fallen, als viele derzeit erwarten; treibt die Euro-Geldpolitik das Geldmengenwachstum durch Zinssenkungen jedoch wieder in die Höhe, bleibt die Inflation hoch, beziehungsweise sie wird wieder ansteigen.



© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


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