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Auf dem Weg der europäischen Desintegration ...

23.11.2011  |  Folker Hellmeyer
Auf dem Weg der europäischen Desintegration, in die globale Finanzkrise als Prolog der globalen Depression mit anschließender Destabilisierung der politischen Systeme?

Der Euro eröffnet heute (07.55 Uhr) bei 1.3470, nachdem im asiatischen Handel Tiefstkurse der letzten 24 Handelsstunden bei 1.3447 markiert wurden. Der USD stellte sich gegenüber dem JPY auf 77.00. In der Folge notiert EUR-JPY bei 103.70, während EUR-CHF bei 1.2310 oszilliert.
  • Wir haben in den letzten 18 Monaten in diesem Format häufig wiederholt, dass die fiskalische Erholung an der Konjunkturerholung hängt.

  • Wir haben darauf verwiesen, dass die politische Elite in der Eurozone mit der Konjunkturlage nicht spielen sollte, da ansonsten die Reformprozesse unterminiert würden.

  • Wir haben die Absurditäten einer unsachlichen Spekulation thematisiert. So wurde Irland trotz einer Liquiditätsreserve in Höhe von 25% des BIP unter den Schutzschirm gezwungen. Reformerfolge wurden ignoriert.

  • Wir haben angemahnt eine solidarische Politik während des Reformprozesses in der Eurozone zu leben, die politische Risiken für die nationalen Wirtschaften in der Eurozone und der Weltökonomie verhindern sollte.

  • Wir haben eine Abschirmung im Außenverhältnis gefordert (Eurobond und/oder EZB), die von einem mit Sanktionen belegten Innenverhältnis in der Eurozone begleitet wird, um die Reformprozesse nachhaltig zu gewährleisten.

Fakt ist, dass die deutsche Politik diese Politikansätze nicht im erforderlichen Maße verfolgte. Desinformation und Unsachlichkeit scheinen zu gewinnen. Unbestreitbare Tatsachen, dass die Eurozone Paradepferd der Stabilität in Neuverschuldung, Gesamtverschuldung und Reformpolitik ist, wurden sträflich missachtet.

Solitäre Fokussierung auf fraglos gegebene Verfehlungen in Griechenland (nominale Reduktion der NVS, nicht Verfehlung der Strukturreformen) wurde zum ultimativen Maß der Überlebensfähigkeit der Eurozone von unseren Freunden in London und New York unter Hilfestellung einiger deutscher und europäischer Kollegen hochstilisiert.

Die lauten Stimmen in den deutschen Talkshows der Herren Sinn, Henkel, Hankel und Konsorten haben in Berlin Traktion gefunden. Dabei wurde zum Teil aggressive Desinformation geliefert. Es wurde der Eindruck erweckt, als würden wir Deutsche alles bezahlen. Dabei waren wir bis heute der größte Begünstigte, einerseits der globalen Konjunkturprogramme (Deutschlands Teil klein im Konzert der G-10 in % des BIP) aber auch der Spekulation an den Kapitalmärkten, die ein absurd niedriges Zinsniveau für Deutschland zur Folge hatte.

Der aktuelle Prozess der konjunkturellen Abkühlung unterminiert die fiskalische Gesundung global. Die europäischen Reformländer werden konjunkturell in noch schwereres Fahrwasser gebracht. Damit rückt ein Scheitern der Eurozone näher.

Das Verhalten der deutschen Politik war in den letzten 20 Monaten prozyklisch und verschärfte die Krise. Die Tatsache, dass Länder wie Italien in den Sog spekulativer Attacken gezogen wurden, ist nahezu absurd, gleiches gilt für Frankreich und auch Spanien.

Gerade die deutsche Position verhinderte den Einsatz der stärksten Mittel in diesem Finanzkrieg. Damit konnte sich der Virus latent gegen die Eurozone fortsetzen und hat heute eine Situation kreiert, die geeignet ist, unseren Kindern eine europäische Zukunft zu zerstören.

Kommen wir zu den Fakten des Marktes. Spanien hat gestern für dreimonatige Papiere 5,1% Zinsen zahlen müssen. Sechsmonatige Titel lieferten eine Zins in Höhe von 5,23%. Dabei hat Spanien eine Staatsverschuldung von 65% des BIP (D 81%, USA 100%), Spanien setzt Reformen um, Spanien hat das Problem der zu großen Baubranche bereinigt, Spanien ist nach Deutschland größter Automobilzulieferer der Welt, Spanien ist mit Deutschland Technologieführer bei alternativen Energien, Spanien ist im Agrarmarkt perfekt aufgestellt, in Spanien domizilieren sechs der größten Untenehmen der Welt. Das Lesitungsbilanzdefizit Spaniens ist von 2007 auf 2011 von 71 auf 11 Mrd: Euro gesunken. Wenn sich diese Entwicklung für Spanien an den Geld- und Kapitalmärkten fortsetzt, ist das spanische Geschäftsmodell gefährdet. Es ist gefährdet nicht aus einer sachlichen Diskontierung der Fakten heraus, sondern wegen spekulativer Attacken und einer völlig fehlgeleiteten Politik aus Deutschland heraus.

Werfen wir einen Blick auf Italien. Italien hat eine Staatsverschuldung in Höhe von 1.900 Mrd. Euro und eine Verschuldung der privaten Haushalte in Höhe von 616 Mrd. Euro. Das private Geldvermögen liegt bei 3.565 Mrd. Euro. Das gesamt Privatvermögen stellt sich auf 8.588 Mrd. Euro. Exakte Angaben zum Staatsvermögen sind nicht erhältlich. Größenordnungen von 600 Mrd. an am Markt verwertbaren Aktiva sind realistisch (Staatsvermögen ist größer). Italien unternimmt Reformen in einem Volumen von 100 Mrd. Euro! What are we talking about? Wir könnten diese sachlichen Aufreihungen fortsetzen.

Da Sachlichkeit jedoch in den letzten 20 Monaten nicht verfangen hat, wenden wir uns einem in Deutschland prominenten Thema zu.

Unsere deutsche Bundeskanzlerin warnt mit Herrn Weidmann und Herrn Schäuble als auch den Herren Schäffler und Sinn vor der Vergemeinschaftung der Schulden. Das klingt sehr charmant. Weil wir diesen überschaubaren Weg der Solidarität nach außen und der Sanktion nach innen nicht gehen, haben wir jetzt eine Vergemeinschaftung der Folgen nicht nur für Europa, nein für die ganze Welt in einem dramatischen Ausmaß. Wo ist die Abstraktionsfähigkeit in Berlin und Frankfurt?

Der globale Konjunkturzyklus schwächt sich nicht wegen einer Übersättigung ab (anders als 2008), sondern wegen der systemischen Risiken, die von der Eurozone ausgehen. Der Potentialwachstumsverlust liegt im laufenden Jahr bei circa 1% des Welt-BIP (unsere Schätzung). Die Kursverluste der Risikoaktiva an den globalen Finanzmärkten liegen bei weit mehr als dem 10-fachen der griechischen Staatsverschuldung. Diese Risikoaktiva dienen der Besicherung von Krediten. Ergo wird der Kreditzyklus durch die derzeitige Bewertung behindert. Wegen eines überschaubaren Risikos Griechenlands in Höhe von 370 Mrd. Euro Staatsschuld (laut Sinn ein Fass ohne Boden …) stehen wir heute vor einem
globalen Scherbenhaufen (Das ist das Fass ohne Boden!). Chapeau!

Und dieser Scherbenhaufen ist erst der Anfang. Wenn nicht in kürzester Zeit von Deutschland angemessen gehandelt wird, steht das Thema einer schärferen Finanzkrise als 2008 bei gleichzeitiger Desintegration der Eurozone auf der Agenda. In der Folge reden wir über eine potentielle Depression der Weltwirtschaft mit einer Destabilisierung der politischen Systeme analog zu 1932 ff. … und zusätzlich eine Unterordnung unter die Kräfte, die für die Krisen der letzten Dekade verantwortlich sind.

Ordnungspolitik ist in normalverteilten Lagen durchsetzbar, nicht in Extremlagen, die von aggressiver Spekulation dominiert sind. Wenn Deutschland an den aktuellen Positionen festhält, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir zum Katalysator einer größeren Krise als 1929/32 werden. Saubere Ordnungspolitik wäre dann das scharfe Schwert, an dem Europa und die Welt verblutet. Ist es das wert?

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das zunächst eine neutrale Haltung in der Parität EUR-USD favorisiert. Ein nachhaltiger Ausbruch aus der Bandbreite 1.3350 - 1.3880 eröffnet neue Opportunitäten.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefanalyst der Bremer Landesbank



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