EU-Schuldenpolitik: Freifahrtschein für Regelreißer?
28.08.2025 | Vertrauliche Mitteilungen
Mit der faktischen Abschaffung der Schuldengrenze leitete die neue "Große" Koalition eine neue finanzpolitische Ära ein. Es ist eine Entwicklung, die sogar diejenigen Ökonomen nachdenklich stimmt, die einer deutlichen Ausweitung der deutschen Staatsschulden nicht grundsätzlich negativ entgegenstehen. Ein solcher Experte ist Jeromin Zettelmeyer, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Zettelmeyer hält die massive Ausweitung der deutschen Staatsverschuldung sogar für einen "Befreiungsschlag", der noch eine weit über die deutschen Grenzen hinausgehende Wirkung zeigen dürfte.
Trotzdem schlägt dieser Ökonom gleichzeitig auch Alarm. Denn Deutschland gibt mit seinen neuen Schuldenorgien seine bisherige Mahnerfunktion zwangsläufig auf, weil es mit seiner Neuverschuldung die bisherigen Maastricht-Regeln massiv verletzen wird. Warum, so lautet die im Raum stehende Frage, sollen andere Länder noch auf deutsche "Mahnungen" hören, wenn sich Berlin zu einem neuen "Neuverschuldungsmeister" aufschwingt?
Doch statt den Versuch zu starten, die Bundesregierung noch in letzter Minute von einer Politik des Maßhaltens zu überzeugen, schlägt Zettelmeyer ganz einfach eine Regeländerung vor.
Warum nicht einfach die Grenzen für die Schuldenquote (derzeit 60% des Bruttoinlandsproduktes) oder das jährliche Defizitlimit (3% des BIP) um beispielsweise die Hälfte auf 90% bzw. 4,5% erhöhen? Trotz einer massiven Neuverschuldung – bei der niemand weiß, wie die eines Tages auflaufenden Zins- und Tilgungsleistungen erbracht werden können – würde Deutschland dann die Maastricht-Kriterien noch immer nicht "reißen" und könnte sich gegenüber anderen Nationen auch weiterhin als Mahner betätigen.
Ob diese Mahnungen dann auch nur noch ansatzweise ernst genommen würden, das steht freilich auf einem anderen Blatt geschrieben.
Konflikte sind vorprogrammiert, und das bereits ab dem 1. Juli dieses Jahres. Denn dann übernimmt Dänemark die EU-Ratspräsidentschaft und wird dann gleich als erstes Land mit dem neuen deutschen Dilemma konfrontiert sein. Dänemark, das auf europäischer Ebene traditionell der "Sparfraktion" zugeordnet wird, hatte sich in den letzten Jahren unter Premierministerin Mette Frederiksen sogar noch deutlicher als bisher schon von der in weiten Teilen Europas anzutreffenden "Schuldenorthodoxie“ gelöst.
Was die deutsche Regierung verharmlosend als "Investitionsoffensive" zu verkaufen trachtet, dürfte sich schon bald als politischer Sprengstoff, als Türöffner für eine neue Phase der Regel-Erosion in der gesamten Europäischen Union, entpuppen.
Natürlich, meinen nicht nur Zettelmeyers Gegenspieler, braucht Europa strategische Investitionen. Dies aber stets auf Basis realistischer, belastbarer Regeln. Alles andere wird langfristig das (teilweise schon jetzt nur noch ansatzweise gegebene) Vertrauen in den Euro und die ihn begründenden Institutionen nachhaltig erschüttern. Und das braucht gewiß niemand!
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Auszug aus den "Vertrauliche Mitteilungen", Nr. 4660