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Das Rätsel der Elektron-Münzen

07.08.2019  |  John Paul Koning
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Laut Wallace stolperte unser Lyder jedoch über eine Lösung: Er prägte sein rohes Elektron zu Münzen. Warum würde ein potenzieller Käufer dem Elektron in Münzform mehr vertrauen als in Barrenform? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass der Besitzer des Elektrons nicht irgendwelche normalen Münzen geprägt hat. Anstatt Scheiben auszugeben, die anhand ihres (unsicheren) Metallgehalts bewertet wurden, designte der Lyder sie als Wertmarken.

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Elektron-Münze aus Ephesus, 625 bis 600 v. Chr. mit einem grasenden Hirsch (Quelle)


Ein geprägtes Stück Metall kann entweder anhand des Materials oder anhand des Symbols, das darauf abgebildet ist, bewertet werden. Bei einer Wertmarke trifft letzteres zu. Im Gegensatz dazu trifft ersteres auf Hacksilber zu. Dessen Wert ist auf das Silber an sich zurückzuführen.

Wie hat eine einfache Prägung einen Wert erschaffen? Wallace stellte die Theorie auf, dass die Prägung des Emittenten ein Versprechen gewesen sein könnte, die Münzen zu einer festgelegten Rate "zurückzunehmen oder einzutauschen." Ein skeptischer Käufer hätte demnach kein Problem damit, eine Elektron-Wertmarke in einer Handelstransaktion zu erhalten. Denn schließlich garantierte die Prägung, dass der Emittent sie zur selben Rate wieder zurückkaufen würde.


Austauschbarkeit

Indem er den Rücknahmepreis der Wertmarken hoch genug setzte, stellte der Emittent sicher, dass der Marktwert seiner Münzen den innewohnenden Wert des Elektron-Wertes übersteigen würde. Das hätte den zusätzlichen Effekt, dass alle seine Elektron-Münzen austauschbar wären. Denn wenn man sowohl silberreiche Elektron-Wertmarken als auch goldreiche Elektron-Münzen beim Emittenten für denselben, festgelegten Preis einlösen konnte, dann war keine Münze besser als die andere.

Elektron konnte nun frei zirkulieren, anstatt durch seine fehlende Uniformität benachteiligt zu werden. Die Entscheidung, Elektron zu Münzen zu prägen, hatte "Bestände unzuverlässigen und unsicheren Materials zu handelbarer Währung mit großen und festen Werten gemacht", so Wallace. Dabei wurde unser Elektron-Besitzer ein viel reicherer Mann als er zuvor je gewesen wäre.


Was ist mit der Zirkulation anhand Zählung?

Trotz der Tatsache, dass das Gewicht der Elektron-Münzen präzise kalibriert wurde, glauben Numismatiker, dass die Lyder die Münzen anhand Gewicht anstatt Zählung handelten, ähnlich wie Hacksilber. Der Hauptbeweis hierfür ist die Tatsache, dass Elektron-Münzen niemals "abgekratzt" wurden.

"Abkratzen" ist, wenn jemand einen Teil des Metalls von der Münze schabt oder kratzt, bevor diese weitergegeben wird. Der Kratzer behält die Abschabungen für sich selbst. Münzen, die anhand Zählung zirkulieren werden oftmals zum Opfer derartiger Kratzer. Da Verkäufer die Münzen nach kurzem Blick auf die Prägung akzeptieren, kann ein Käufer, der zuvor einen Teil des Metalls von der Münze kratzt, einfach damit davonkommen.

Das Ausbleiben des Kratzens deutet auf Handel anhand Gewicht hin, da nur die Münzen akzeptiert wurden, bei denen die Qualität stimmte. Wenn eine Münze nur etwas zu leicht war, dann wurde sie vom Verkäufer nicht akzeptiert. So machte sich niemand die Mühe, die Münzen abzukratzen.

Doch wenn die Elektron-Münzen anhand Gewicht und nicht Zählung zirkulierten, dann scheint das keine sonderlich technologische Verbesserung zum Hacksilber zu sein. Der lydische Handel war noch immer so langsam und umständlich wie zuvor.

Doch die Notwendigkeit, die Elektron-Münzen zu wiegen, könnte einem Zweck gedient haben. Es hätte ein Sicherheitsmerkmal sein können, das darauf ausgerichtet war, den Reichtum des Emittenten zu schützen. Stellen Sie sich vor, dass unser Emittent der Elektron-Wertmarken einige Stater in Zirkulation gebracht hat. Bevor er sie zur Rücknahme annahm, wurden diese Stater abgekratzt. Da er nun weniger Elektron besitzt als zuvor, hat der Reichtum unseres Emittenten abgenommen.

Um sich gegen diese Art von Diebstahl abzusichern, schlägt Wallace vor, dass der Emittent nicht alle Wertmarken zurücknehmen würde. Als Sicherheitsmaßnahme würde er nur die Münzen zurücknehmen, die noch ihr ursprüngliches Gewicht besaßen. Da kein Händler mit einer Münze festsitzen wollte, die er nicht eintauschen konnte, wogen sie die Münzen jedes Mal, wenn sie ihnen angeboten wurden. Somit wurde vermeiden, leichtere Münzen entgegenzunehmen.


Inländische Zirkulation

Wallaces Theorie erklärt ein weiteres merkwürdiges Merkmal der Elektron-Münzen. Angesichts der Verbreitung derartiger Elektron-Münzsammlungen nehmen Numismatiker an, dass sie nicht außerhalb ihres Produktionsgebiets zirkulierten. Das ist untypisch für antikes Münzgeld. Römische Münzen konnten sogar in Sumatra gefunden werden, während sassanidische Münzen (die im heutigen Iran geprägt wurden) in England zirkulierten.

Doch wenn Elektron-Münzen mit der Garantie geprägt wurden, dass ihr Emittent sie zurücknehmen würde, dann erklärt das, warum sie nicht weit zirkulierten. Die Leute in fernen Städten hätten das Versprechen eines unbekannten Emittenten nicht anerkannt oder diesem vertraut und hätten die Münzen somit auch nicht im Handel akzeptiert.



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