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Fortgesetzte Verunsicherung – BGA-Präsident fordert mehr EU-Freihandelsabkommen – Kanzler Scholz fordert "Deutschland-Pakt"

07.09.2023  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1,0731 (05:42 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1,0704 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 147,59. In der Folge notiert EUR-JPY bei 158,36. EUR-CHF oszilliert bei 0,9562.


Märkte: Fortgesetzte Verunsicherung

Die internationalen Finanzmärkte zeigen sich weiter verunsichert. Europa spielt in dem Kontext eine hervorgehobene Rolle, allen voran das Wirtschaftsschwergewicht Deutschland, "noch" die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Deutschland und Europa sind eine "Hypothek" für die Welt.

Die Veröffentlichung des Kollapses des deutschen Auftragseingangs per Juli um 11,7% im Monatsvergleich unterstrich das Problem neben den jüngst veröffentlichten PMIs, die belegen, dass Deutschland im internationalen Kontext stark abrutscht. Hier helfen keine milden Worte, beispielsweise die Einlassungen von Bundesbankpräsident Nagel gestern, da es sich ursächlich um strukturelle Probleme handelt, die jetzt konjunkturelle Wirkung zeitigen. Hier sind massive Neuausrichtungen in der Standortpolitik, allen voran der Energiepolitik erforderlich.

Damit eröffnet sich ein Vergleich zu Griechenland. Vor 10 Jahren war Griechenland der „kranke Mann“ Europas. Stringenteste Reformen, flankiert von starker Unterstützung durch die Länder der Eurozone, drehten das Bild. Im 2. Quartal 2023 wuchs das BIP Griechenlands im Jahresvergleich um 2,7%, während Deutschland im 2. Quartal 2023 mit -0,6% die rote Laterne Europas und der Welt vor sich her trägt.

Dem Economist ist zuzustimmen, dass Deutschland durch eigenes diskretionäres Handeln und Nichthandeln (Merkel) heute diese Rolle des "kranken Mannes" (strukturelle Defizite) ausfüllt. Erinnern Sie sich noch an die Hybris unserer Medien, der Experten und Politiker bezüglich Griechenlands seinerzeit, inklusive der lange anhaltenden Ignoranz gegenüber strukturellen Fortschritten, die immer erst mit Zeitverzug konjunkturelle Wirkung entfalten (Aristoteles)? In den USA ergibt sich laut "Beige Book" der Fed ein moderates Wachstumsbild. Die US-PMIs unterstützen diese Wahrnehmung.

Aktienmärkte standen unter mildem Druck. Das Thema der erhöhten Ölpreise belastete die Rentenmärkte. 10 jährige Bundesanleihen rentieren aktuell mit 2,65% (Vortag 2,61% ), während US-Staatstitel eine Rendite in Höhe von 4,29% abwerfen (Vortag 4,26% ). Der USD befestigte sich gegenüber dem EUR in der Spitze bis auf 1,0704. Gold und Silber verloren gegenüber dem USD.


BGA-Präsident fordert mehr EU-Freihandelsabkommen

Die deutschen Großhändler fordern eine pragmatischere Handelspolitik, um die exportabhängige Wirtschaft nicht zu bremsen.

Kommentar: Pragmatismus tat und tut diesem Land und Europa gut. Moralisierende Ideologie erreichte das weder in der Vergangenheit, noch wird es in der Zukunft funktionieren.

Es sei zu lange nichts passiert, sagte der Präsident des Großhandelsverbandes BGA. In Brüssel fehlte eine gewichtige deutsche Stimme für den Freihandel. Das geplante Freihandelsabkommen mit vier südamerikanischen Staaten (Mercosur) wäre nach Jahren noch immer nicht ratifiziert, eine Modernisierung der Vereinbarung mit Mexiko stünde noch aus.

Deutschland wartete immer wieder mit neuen Forderungen in Verhandlungen auf. Die Ampel-Regierung dürfe Gespräche nicht überfrachten. Das gelte insbesondere für Nachhaltigkeitsforderungen. Deutsche Sozial- und Umweltstandards könnten nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen werden.

Kommentar: Exakt, denn das stellte einen Eingriff in die Souveränität dieser Staaten dar (UN-Charta Artikel 2).

In einer Umfrage des BGA hätten zuletzt 63% der befragten Unternehmen angegeben, für den deutschen Außenhandel 2023 eine rückläufige oder sogar stark rückläufige Tendenz zu sehen. Nur 6% rechneten mit einer besseren/wesentlich besseren Entwicklung. 31% erwarteten keine Veränderung. Das seien laut BGA alarmierende Werte.

Kommentar: So ist es! Die aktuell prekäre Lage Deutschlands hat viele Gründe. Wenn Entwicklungen so konträr zur Erwartungshaltung laufen, sollten sich die Verantwortlichen hinterfragen und Demut ob des angerichteten Schadens zeigen und vor allen Dingen leben.


Kanzler Scholz fordert "Deutschland-Pakt"

Bundeskanzler Scholz hat Länder, Gemeinden und Opposition zu einem nationalen Kraftakt aufgerufen, um die Wirtschaftskrise und den Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft zu bewältigen. Deutschland sei diesen Stillstand leid.

Kommentar: Ja, das erkennt man an Umfragen, die für die Regierung mehr als kritisch sind.

Scholz bot einen "Deutschland-Pakt" an. Der "Deutschland-Pakt" solle unser Land schneller, moderner und sicherer machen. Er lehnte ein neues Konjunkturprogramm ab, es ginge um Strukturpolitik.

Kommentar: Das Datenkonvolut, das den dynamischen Verfall der deutschen Konkurrenzfähigkeit belegt, zwingt die Politik, zu handeln. Ja, Strukturpolitik ist das A und O (Aristoteles)! Leider adressiert Scholz nicht alle Felder, zumal nicht den virulentesten Katalysator der aktuellen Krise. Wir hören die Worte, wir messen an Taten!

Dabei geht es um die Themen der Energieversorgungssicherheit und konkurrenzfähigen Energiepreislichkeit (auch laut DIHK und BDI), beides ist hier nachhaltig nicht gewährleistet. Wir leben in einem energetischen Zeitalter. Japan setzt das Beispiel mit dem höchsten Wachstum der westlichen Welt dank Atomstrom und Russland-Importen fossiler Brennstoffträger via Sachalin, weil es sich nur auf dem Papier an den Sanktionen beteiligt.

Wird die nachhaltige Versorgungssicherheit und eine konkurrenzfähige Preisgestaltung nicht dauerhaft umgesetzt (ergo Industriestrompreis für alle ohne Zeitlimit, Stromsteuer ade, Atomstrom an und Ausbau der Netze), bis alternative Energien ein konkurrenzfähiges Preisniveau offerieren, werden die jetzt angestrebten Maßnahmen, die alle in die richtige Richtung weisen (Infrastruktur, IT, Bürokratie) nicht im erforderlichen Maße die Erwartungen erfüllen. Das Risiko, das Deutschland sein Geschäftsmodell verliert, ohne ein neues Modell zu haben, ist real. Es war seit 1949 niemals größer als heute!



Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

China: Handelsbilanzüberschuss geringer

Die Handelsbilanz wies per August einen Überschuss in Höhe von 68,36 Mrd. USD (Prognose 73,90 Mrd. USD) nach zuvor 80,60 Mrd. USD aus. Exporte sanken im Jahresvergleich um 8,8% (Prognose -9,2%, Vormonat -14,5%), während Importe per August um 7,3% (Prognose -9,0%, Vormonat -12,4%) nachgaben.


Eurozone: D: Auftragseingang bricht ein – Griechenland wächst bemerkenswert

Die Einzelhandelsumsätze sanken per Juli im Monatsvergleich um 0,2% (Prognose -0,1%) nach zuvor +0,2% (revidiert von -0,3%). Im Jahresvergleich ergab sich ein Rückgang um 1,0% (Prognose -1,2%) nach zuvor -1,0% (revidiert von -1,4%).

Der Einkaufsmanagerindex für den Bausektor sank per August von 43,5 auf 43,4 Zähler (Deutschland 41,5). Es war der schwächste Indexwert seit Dezember 2022.

Deutschland: Der Auftragseingang der deutschen Industrie kollabierte per Juli im Monatsvergleich um 11,7% (Prognose -4,0%) nach zuvor +7,6% (revidiert von 7,0%). Griechenland: Das BIP legte per 2. Quartal 2023 im Quartalsvergleich um 1,3% und im Jahresvergleich um 2,7% zu.


USA: PMIs signalisieren moderates Wachstum für die Gesamtwirtschaft

Der MBA Hypothekenmarktindex verzeichnete per 1. September 2023 einen Rückgang von 189,0 auf 183,6 Punkte, dem schwächsten Wert seit 05/1995. Die Handelsbilanz wies per Juli ein Defizit in Höhe von 65,,0 Mrd. USD (Prognose -68,0 Mrd. USD) nach zuvor 63,7 Mrd. USD (revidiert von 65,5 Mrd. USD ) aus.

Der von S&P ermittelte Einkaufsmanagerindex des Dienstleistungssektors stellte sich laut finaler Fassung per August auf 50,5 Zähler (vorläufiger Wert 51,0). In der Folge ergab sich für die finale Fassung des Composite Index (Gesamtwirtschaft) ein Wert von 50,2 (vorläufiger Wert 50,4). Der vom ISM ermittelte Einkaufsmanagerindex des Dienstleistungssektors stellte sich per August auf 54,5 Punkte (Prognose 52,5, Vormonat 52,7).


Japan: Frühindikator und Index der Lagebeurteilung geben nach

Die Devisenreserven lagen per Berichtsmonat August bei 1.251,2 nach zuvor 1.253,7 Mrd. USD. Der Index der Frühindikatoren sank per Juli um 1,2 Punkte, während der Index der Lagebeurteilung um 1,1 Punkte nachgab.


Kanada: Keine Leitzinsveränderung

Die Notenbank Kanadas hat auf ihrer Sitzung beschlossen, den Leitzins bei 5,00% zu belassen.

Derzeit ergibt sich für den EUR gegenüber dem USD eine negative Tendenz. Ein Überwinden der Widerstandszone bei 1.0920 – 1.0950 negiert das für den USD positive Szenario.

Viel Erfolg


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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